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Auf dem deutschen Schienennetz nach Auschwitz: elftausend Kinder

In vier deutschen Städten werden am 27. Januar 2005 Gedenkveranstaltungen auf zentralen Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG stattfinden. Dies bestätigen die Initiatoren eines Offenen Briefes (siehe unten) auf Anfrage von german-foreign-policy.com. Demnach haben sich in Wuppertal, Frankfurt am Main, Leipzig und Dresden Initiativgruppen gebildet, um an die Todestransporte der Jahre 1942 bis 1944 zu erinnern. Damals waren 11.000 Kinder aus Frankreich, darunter 520 Kinder deutscher Emigranten, über das Schienennetz der Reichsbahn nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet worden. Die Deutsche Bahn AG hat eine entsprechende Ausstellung auf ihren Publikumsbahnhöfen untersagt.

In einem Interview mit german-foreign-policy.com verlangt Dr. Nathan Durst 1 , klinischer Direktor des psychosozialen Zentrums für Überlebende des Holocaust (Haifa), “dass alles unterbleibt, was das öffentliche Gedenken behindern könnte”. Nathan Durst ermutigt zur Teilnahme an den Gedenkveranstaltungen, die eine “praktische, aktive Hilfe” darstellten. “Die Menschen guten Willens in Deutschland werden unserem stummen, verzweifelten Schrei all dieser Jahre eine Stimme geben.”

Mit “Entsetzen” habe er von der Weigerung der Deutschen Bahn AG erfahren, die Ausstellung über das Schicksal der 11.000 deportierten Kinder dem Reisepublikum zugänglich zu machen, teilte Dr. Durst den Initiatoren des Offenen Briefes mit(siehe unten). Die Begründung dieser Weigerung, man verfüge weder über ausreichend Geld noch über Personal, sei “nicht ernst” zu nehmen und stelle eine Beleidigung der Ermordeten dar. “Die Deutsche Bahn kann unsere Verletzungen nicht übergehen. Wenn das Unternehmen die Vergangenheit weiter verleugnet, dann verleugnet es die Morde an unseren Familien”, heißt es in dem Interview mit german-foreign-policy.com. Herr Durst floh 1939 aus Berlin. Zwei seiner Schwestern im Alter von 13 und 16 Jahren wurden mit der deutschen Reichsbahn nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht.

Nicht zu verbieten

Trotz der Weigerung der DB AG werden am Auschwitz-Gedenktag auf mehreren deutschen Personenbahnhöfen Gedenkveranstaltungen stattfinden. Damit folgen Initiativgruppen und Einzelpersönlichkeiten dem Aufruf des Offenen Briefes. Dort hatte es geheißen, man wolle “angemessen” und “würdig”, aber auch “entschlossen” an die Auschwitz-Opfer erinnern. Darin werde man sich von nichts und niemandem behindern lassen.

Auch Beate Klarsfeld, Sprecherin der französischen Organisation “Fils et Filles des Deportés Juifs de France” / FFDJF (Söhne und Töchter der jüdischen Deportierten Frankreichs), ermutigt zu Aktionen. “Erinnerung kann man nicht verbieten”, äußerte Frau Klarsfeld in einem Interview mit german-foreign-policy.com. 2

Internationale Presse

Um eventuellen Übergriffen von Beauftragten des deutschen Bahnunternehmens zuvorzukommen, haben sich die Initiatoren an die internationale Presse gewandt und unterstreichen den friedlichen Charakter ihres Gedenkens. Gleichzeitig betonen sie, dass man sich Erinnerungsverboten unter keinen Umständen beugen werde. Im Mittelpunkt der Veranstaltungen sollen Fotos der ermordeten Kinder sowie Dokumente über die Bahndeportation stehen (Auszüge auf der Infoseite Auf dem deutschen Schienennetz nach Auschwitz: elftausend Kinder ).

Zuspruch

Der Offene Brief, der die Gedenkveranstaltungen angestoßen hatte, findet weltweiten Zuspruch. Zeichner in der Tschechischen Republik, in der Schweiz, in Frankreich und in den USA unterstützen die Forderung nach Freigabe der deutschen Personenbahnhöfe für die Erinnerung an die Deportationen. german-foreign-policy.com veröffentlicht auf der Infoseite eine Auswahl der neuen Zeichner des Offenen Briefes.

Anmerkungen:

1 Siehe dazu Interview mit Dr. Nathan Durst

2 Siehe dazu Interview mit Beate Klarsfeld

Quelle: german-foreign-policy.com vom 22.01.2005.

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Offener Brief

An die
Deutsche Bahn AG
Konzernleitung
Potsdamer Platz 2
10785 Berlin

Sehr geehrter Herr Mehdorn,
sehr geehrte Damen und Herren,

wie wir aus der Presse erfahren, lehnt es die Deutsche Bahn AG ab, auf ihren Bahnhöfen an die Todeszüge französischer und deutscher Kinder zu erinnern, die zwischen 1942 und 1944 über das reichsdeutsche Schienennetz nach Auschwitz rollten. Etwa 11.000 verschleppte Kinder allein aus Frankreich passierten die Gleisanlagen in Saarbrücken, Mannheim, Frankfurt a.M., Fulda und Dresden, bevor sie einem grausamen Tod ausgeliefert wurden. Die genaue Zahl der Opfer anderer Nationen, die auf dem Schienenweg in die Vernichtung geschickt wurden, ist unbekannt. Es dürfte sich um mehrere Hunderttausend Menschen handeln.

Sicherlich befinden sich im Kreis Ihrer Unternehmensleitung Väter und Mütter, die das Schicksal der Deportierten nachempfinden können, wenn sie an das Leben ihrer eigenen Kinder denken. 60 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz erfüllt es uns mit Trauer, Fassungslosigkeit und Entsetzen, dass sich die deutschen Massenverbrechen auch auf 11.000 Kinder und Jugendliche aus Frankreich erstreckten, die von ihrem Schienenweg in den Tod nie mehr zurückkehrten.

An diese Kinder erinnert eine Wanderausstellung auf den Bahnhöfen der französischen Staatsbahn SNCF, die der Vorstandsvorsitzende dieses Unternehmens jüngst zum Anlass nahm, im Pariser Gare du Nord die Mitverantwortung der SNCF einzugestehen.

Wir halten es für unabweisbar, dass sich die Deutsche Bahn AG als Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn in einem vergleichbaren öffentlichen Akt zu ihrer Mitverantwortung bei der Durchschleusung von Todestransporten nach Auschwitz und zu anderen Vernichtungsstätten anlässlich des bevorstehenden Jahrestages der KZ-Befreiung bekennt. Für ebenfalls notwendig halten wir die Präsentation der Ausstellung auf den betroffenen deutschen Personenbahnhöfen.

Repräsentantin der Ausstellungsorganisatoren (“Fils et Filles des Juifs Déportés de France” / F.F.D.J.F.) ist Madame Beate Klarsfeld (Paris).

Eine Marginalisierung der Erinnerung durch Verweis des Ausstellungsgedenkens in das Bahnmuseum Nürnberg lehnen wir ab. Eine solche Präsentation wäre unangemessen, weil nur einer beschränkten Öffentlichkeit zugänglich. Wir möchten Sie bitten, eine in sämtlichen Teilen der Bundesrepublik wahrnehmbare Darstellung des Schicksals der 11.000 Kinder und der übrigen Deportierten im Fahrgastbereich Ihres Unternehmens noch im Laufe dieses Jahres zu ermöglichen. Für diesen Fall bieten wir unsere Unterstützung an.

Gleichzeitig rufen wir dazu auf, in den betroffenen Bahnhofsstädten sowie an anderen Orten Aktionskomitees zu bilden, um das Gedenken an die über deutsche Gleisanlagen verschleppten Menschen, darunter 11.000 Kinder aus Frankreich, anlässlich des bevorstehenden Jahrestages der Häftlingsbefreiung im KZ Auschwitz angemessen, würdig und entschlossen durchzusetzen.

Wir hegen die Hoffnung, dass Sie dieser Initiative beitreten können, und stehen für Rückfragen jederzeit zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

gez.
Prof. em. Dr. Martin Bennhold (Universität Osnabrück)
Tatjana Engel (Lehrerin)
Lothar Evers (Support for Survivors of Nazi Persecution International)
Prof. Dr. Gudrun Hentges (Fachhochschule Fulda)
Anne Klein (Historikerin)
Hans-Rüdiger Minow (Regisseur)
Bernhard Nolz (Träger des Aachener Friedenspreises)
Andreas Plake (Sozialwissenschaftler)
Prof. em. Dr. Wolfgang Popp (Universität Siegen)
John Rosenthal (Publizist)
Christoph Schwarz (Lehrer)

Quelle: german-foreign-policy.com vom 15.01.2005.

Veröffentlicht am

24. Januar 2005

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