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China: Das Ende der Viererbande

Von Karl Grobe

Die Tiere sollen es geahnt haben, die Menschen nicht. Von Küken im Hungerstreik, von panisch herumrennenden Mäusen und Wieseln und sogar von einem Goldfisch, der in Angst aus dem Aquarium sprang, berichteten Überlebende in Tangshan. Nachher. Vorher aber gab es keine Erdbebenwarnung für Menschen. Und hinterher tagelang in ganz China keine zuverlässige Nachricht. Erst viel später hieß es 242.419 Menschen seien gestorben. Nach unabhängigen Schätzungen lag die Zahl der Todesopfer bei 650.000 bis 1,5 Millionen.

Es war im Juli 1976, politische Krisenzeit, Kampf in der Führung der Kommunistischen Partei zwischen den Ultralinken - der “Viererbande” - und den Pragmatikern. Eine Entscheidungssituation; noch lebte Mao Zedong, auf den sich die so genannte Viererbande stützte. Ein Zeichen des Himmels, ein böses Omen, konnte nur ungelegen kommen.

Im Jahrtausende alten Volksglauben galt: Wenn die Harmonie zwischen dem Himmel und der Erde gestört ist, künden Naturkatastrophen davon: Erdbeben, Überschwemmungen, Dürre. Der Himmel hat dem Herrscher das Mandat entzogen, es muss an andere übertragen werden, Auftrag zum Wandel, geming, Revolution.

In Tangshan starben in jener Julinacht mehr als 650.000 Menschen, vielleicht gar anderthalb Millionen in der weiteren Umgebung. Zehntausende wurden allein in den Steinkohlebergwerken des Konzerns Kailuan verschüttet, einem der ersten chinesischen Großbetriebe. In den vereinigten Kailuan-Gruben waren in den 20er Jahren die ersten militanten Gewerkschaften entstanden, für die viel später gegründete Partei ein Teil des Gründungsmythos und ihrer Revolutionsgeschichte.

Die “Viererbande” tat zunächst bitter wenig, die Folgen der Naturkatastrophe zu bewältigen. Sie suchte sie zu verschweigen, und als das nicht mehr möglich war, sie viel kleiner zu reden. Regierungschef Hua Guofeng wurde damit beauftragt, die Rettungsarbeiten zu leiten. Ein Wort des todkranken Mao Zedong wurde kolportiert: “Hast du die Sache in der Hand, wird mir leicht ums Herz.”

Hua Guofeng machte daraus seine Legitimations-Legende: Der Vorsitzende selber habe ihm die Nachfolge übertragen. Gemälde mit der Darstellung der Szene hingen später an allen prominenten Plätzen der Volksrepublik. Das war nach Maos Tod (9. September) und dem Sturz der “Viererbande”.

Zwei Jahre später verdrängte Deng Xiaoping den vermeintlichen Erben aus der Führung. Der Volksglaube konnte das dann so interpretieren, dass das Mandat des Himmels “Reform” heiße.

Aber nicht immer hat die Katastrophe einen Umsturz angekündigt. Nach dem gewaltigsten Erdbeben der Geschichte, das 1556 jedem zweihundertsten Chinesen denTod brachte, regierte Kaiser Shizong unangefochten acht weitere Jahre. Seine Dynastie, die Ming, erlag erst 88 Jahre später den Mandschu.

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Tangshan-Erdbeben

In Tagshan bebte die Erde am 28. Juli 1976. Die Zahl der Toten bezifferten die Behörden auf 242.419, nach unabhängigen Schätzungen lag sie bei 650.000 bis 1,5 Millionen. 80.000 Neubauwohnungen entstanden schon bis 1980. Die Stadt hat jetzt gut 1,5 Millionen Einwohner. Bergwerke übertreffen seit 1986 die Förderung von 1975.

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Quelle: Frankfurter Rundschau vom 14.01.2005. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht am

14. Januar 2005

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