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Nichts ist gewonnen im Irak

Mit Kriegsgeschrei über Massenvernichtungswaffen zogen Bush und Blair gegen Irak ins Feld. Die Wahrheit ist: Der Krieg selbst und desorientierte Besatzer haben Irak zu einer echten Gefahr gemacht.

Von Karl Grobe

Irak ist nicht sicherer geworden, seit die Besatzungs-Koalition - faktisch die USA - am 28. Juni die Souveränität an die Übergangsregierung übertragen hat. Dick Cheney, der US-Vizepräsident, sagte am Montag, er selbst und Präsident George W. Bush seien entschlossen, den “Krieg gegen den Terror” zu Ende zu führen. Was nur bedeuten kann, dass aus Washingtoner Sicht nichts gewonnen ist, auch nicht in Irak.

Anzahl und Intensität der Angriffe auf Einrichtungen und Personal der bisherigen Koalition haben nicht nachgelassen; im Gegenteil. Das Washingtoner Institute for Policy Studies stellte Ende September fest: Seit der Übergabe werden monatlich im Durchschnitt 747 US-Militärangehörige getötet oder verwundet; in der Periode der offiziellen Besatzungsherrschaft, seit Mai 2003, waren es 415. Monatlich kamen seit der Übergabe statistisch 17,5 “contractors” ums Leben, in den 14 Besatzungsmonaten waren es 7,6. Unter “contractors” sind jene rund 20 000 Personen zu verstehen, die vertragsweise für Firmen tätig sind, darunter auch bewaffnete Söldner mit Aufgaben, die sie der US-Armee abnehmen. Die Zahlen sind beweiskräftig. Die Opfer unter der irakischen Zivilbevölkerung werden dabei nicht einmal exakt erfasst.

Die Kräfte des bewaffneten Widerstands haben sich, rund gerechnet, seit November vorigen Jahres vervierfacht, wie aus Schätzungen des Pentagon hervorgeht, das nun gerade nicht an einem Zahlenbeweis für den Misserfolg seiner Tätigkeit interessiert ist. Die US-Regierung bemüht sich, Beweise für die Verbindung des bewaffneten Widerstands und der dort vermuteten Kräften des gestürzten Saddam-Hussein-Regimes mit Al Qaeda zu finden. Vor dem Krieg war Al Qaeda in Irak nicht vorhanden.

Der von Vizepräsident Cheney beauftragte Geheimdienst CIA konnte dieser Tage keinen Beweis dafür finden, dass Abu Mussab al-Sarkawi, dem die jüngsten Entführungen und Morde an Verschleppten angelastet werden, mit “Saddamisten” zusammenarbeite oder irgendwann zusammengearbeitet habe. Ein Wutanfall Cheneys auf diesen Bericht hin ändert nichts an dem Befund, wie der Londoner Daily Telegraph berichtet.

Nun hat schon US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vor einer Woche ausgeplaudert, dass ein Saddam-Qaeda-“Link” niemals bestanden habe. Der Schluss liegt nahe: Erst nach der Besetzung Iraks, wenn überhaupt, ist der “internationale Terrorismus” in Irak aktiv geworden. Den bewaffneten Widerstand im so genannten sunnitischen Dreieck hat die Besatzungsmacht hingegen selbst provoziert ebenso wie den der schiitischen Gruppen und Bewegungen. Diese Kräfte reichen weit über den Einflussbereich des militanten Demagogen Muktada as-Sadr hinaus und sind zu einem Machtfaktor bei den geplanten Wahlen geworden.

Dass diese Parlamentswahlen im ganzen Land durchgeführt werden können, ist mehr als fraglich. Sie auf “ruhige” Gebiete ohne Anschläge und Demonstrationen beschränken zu wollen bedeutet, sie von vornherein zur Farce zu machen. Solche Pläne werden gleichwohl erwogen. Damit kann der Gedanke, Irak werde Anfang nächsten Jahres endlich auf den verheißenen Weg einer demokratischen Gesellschaft mit regionalem Modellcharakter einschwenken, als unbegründete Utopie gelten.

Auch unterhalb der “politischen Ebene”, im Alltag, hat die Übergangsregierung nicht mehr leisten können als die Besatzungsverwaltung vor ihr. Strom- und Wasserversorgung funktionieren, von wenigen Gegenden abgesehen, weiterhin nach dem Zufallsprinzip. Eine die Sicherheit auf den Straßen und im engen Rahmen von Dörfern und Stadtteilen gewährleistende Polizei ist allenfalls auf dem Papier vorhanden. Es gelingt nicht einmal, die für Irak überlebenswichtigen Öleinrichtungen nachhaltig vor Sabotage und Zerstörung zu schützen.

“Was ist in Irak schief gelaufen?”, fragte der frühere hochrangige Besatzungs-Berater Larry Diamond kürzlich in dem gewiss nicht regierungsfeindlichen Magazin Foreign Affairs. Seine ernüchternde Antwort: von Anfang an praktisch alles. Mit der Behauptung, Saddam Hussein habe Massenvernichtungswaffen - eine der wichtigsten Kriegslügen -, hat es begonnen. Zwei Fachleute konstatierten im Sommer, ebenfalls in Foreign Affairs, da hätten die UN-Sanktionen lange vorher ganze Arbeit geleistet. Und aus den Befragungen des gefangenen Saddam Hussein scheint hervorzugehen, er habe den Anschein, solche Waffen versteckt zu haben, nur erwecken wollen, weil er einen iranischen Angriff befürchtete, falls Teheran seine militärische Ohnmacht erkannt hätte.

In der Endphase des US-Wahlkampfes sind das unbequeme Wahrheiten. Nur: Sie sind ganz und gar nicht neu.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 13.10.2004. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht am

13. Oktober 2004

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