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Atomkrieg

Militärstrategen der Europäischen Union präzisieren die von Berlin angestoßene EU-Sicherheitsstrategie und ziehen einen atomaren Erstschlag in Betracht. Bereits die von Berlin initiierte EU-Militärdoktrin - die erste in der Geschichte der EU - sieht die Möglichkeit zur Führung von Angriffskriegen (“Präventivkriegen”) ausdrücklich vor. In einem jetzt vorgelegten “European Defence Ilanr”, das unter Mitwirkung eines ehemaligen deutschen Staatssekretärs erarbeitet wurde, werden der EU-Erstschlagstrategie auch Atomwaffen zugeordnet. In die Präventivkriegsoption könnten britische und französische Nuklearstreitkräfte “explizit oder implizit” einbezogen werden, heißt es.

Ultimativ

Bei dem “European Defence Ilanr” handelt es sich um ein von den EU-Regierungen in Auftrag gegebenes konzeptionelles Dokument zur Europäischen Militärpolitik. Es soll die Anwendung der 2003 beschlossenen “Europäischen Sicherheitsstrategie” 1 präzisieren. Die Autoren der Studie - eine Gruppe hochrangiger Militärberater - fordern eine energische, unverzügliche und umfassende Aufrüstung der EU. Ziel müsse sein, den Status einer zur Führung von Angriffskriegen fähigen Weltmacht zu erreichen: “Sharing more global responsibilities (…), and taking on a preventive engagement strategy are ambitious goals that will stay unfulfilled if the current gap between ends and means persists.” 2 Die Außenminister der EU werden sich demnächst mit diesem Dokument befassen und konkrete Entscheidungen über Stand und Perspektiven der militärischen Optionen fällen.

Zentral

Verantwortet wird das Strategiepapier vom Institute for Security Studies (ISS), das bis 2001 für den europäischen Militärpakt Westeuropäische Union (WEU) arbeitete. Seit der Übertragung der operativen Funktionen der WEU an die EU fungiert es als autonomes EU-Institut. Dominiert wird es vom deutsch-französischen Machtkartell: In Paris angesiedelt, steht das ISS seit Oktober 1999 unter der Leitung von Nicole Gnesotto, die zuvor beim offiziösen französischen think tank “Institut français des Relations internationales” tätig war. Stellvertretender Direktor ist Burkard Schmitt, ehemaliger SPD-Mitarbeiter in der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung. In Schmitts Verantwortungsbereich fallen Aufrüstungsstrategien der EU - “nuclear issues” inklusive. In seinen Veröffentlichungen fordert der deutsche “senior research fellow”, die waffenproduzierenden Industrien der EU-Mitgliedsstaaten müssten einer zentralen Rüstungsbeschaffungsdirektive unterstellt werden (“should be subject to a specific defence procurement directive”). 3 Das ist mit der Einigung auf eine “Europäische Verteidigungsagentur” inzwischen beschlossene Sache. 4

Unvermeidlich

Der angestrebten Rüstungs-Zentralisierung sind aber wegen des Widerstrebens einiger Staaten immer noch Grenzen gesetzt - insbesondere wenn es um Massenvernichtungswaffen geht. 5 Der deutsche Waffenexperte Schmitt hält daher eine Debatte über diese Beschränkungen für unvermeidlich. 6 Auch Berliner Militärs und Regierungsberater sondieren seit einiger Zeit atomare Optionen und fordern von der Bundesregierung eine Konzeption zur Überwindung der noch bestehenden Widerstände gegen die beabsichtigte “Nuklearmacht Europa”. 7 So forderte die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Anfang 2004 eine “Neuausrichtung des teilweise überkommenen Völkerrechtsverständnisses”. Es müsse die “Zulässigkeit von Präventivschlägen” festgestellt und ein Angriffskrieg mit Atomwaffen legitimiert werden, heißt es bei der KAS: “Selbst die nukleare Präemption ist eine zumindest theoretisch vorstellbare Option.” 8 In einem deutsch-französischen Strategiepapier wurden zur selben Zeit konkrete Vorschläge für den gemeinsamen Einsatz von Atomwaffen unterbreitet. Das Papier schlägt vor, Widerstände taktisch zu umgehen, um dennoch “alle Stufen der Eskalationsleiter abzurufen (…), bis hin zur Drohung eines Einsatzes nuklearer militärischer Mittel”. Urheberin des Papiers war die “Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik”, Mitverfasser das erneut hervorgetretene “Institut français des relations internationales”. 9

Explizit oder implizit

Die Vorstellung eines nuklearen Angriffskrieges ist jetzt auch auf europäischer Ebene verankert worden. Lothar Rühl, ehemaliger Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium und Mitautor des “European Defence Ilanr”, stellt zufrieden fest, dass das Thema “Präemption/Prävention” in dem Dokument zwar vorwiegend unter dem Aspekt von Kriegseinsätzen mit konventionellen Streitkräften und operativen Spezialkräften behandelt wird. ,,Immerhin” werde aber die Möglichkeit erwähnt, britische und französische Nuklearstreitkräfte “explizit oder implizit” einzubeziehen. 10 In der Tat heißt es in dem Strategiepapier bezüglich der Kriegsszenarien der künftigen EU-Streitmacht: “[W]e have not avoided presenting scenarios in which the national nuclear forces of EU member states (France and the United Kingdom) may enter into the equation either explicitly or implicitly.” 11

Anmerkungen:

1 Siehe auch EU-Strategie: “Präventivkriege” weltweit und Aktionspläne .

2 Institute for Security Studies, European Union: European defence. A proposal for a White Ilanr; Paris, May 2004, ISBN 92-9198-056-0 (www.iss-eu.org), S. 13. Weiter heißt es: “These goals call for rapidly deployable and long-term sustainable forces, they imply a better integration of civilian and military missions; they are based on the assumption of a more autonomous Union in defence matters (…). The credibility of Europe’s strategy will ultimately be based on its capacity to fulfil these ambitions.”

3 Burkard Schmitt: The European Union and armaments. Getting a bigger bang for the Euro; Chaillot Ilanr 63 - August 2003 (www.iss-eu.org), S. 55.

4 Siehe auch Wettbewerbsdruck und Das Ende einer “Zivilmacht” .

5 “Nuclear, radiological, biological and chemical products should continue to be excluded from European rules”. Burkard Schmitt: The European Union and armaments. Getting a bigger bang for the Euro; Chaillot Ilanr 63 - August 2003 (www.iss-eu.org), S. 55.

6 Nuclear weapons: A new Great Debate (Edited by Burkard Schmitt); Chaillot Ilanr 48 - July 2001 (www.iss-eu.org), S. 168

7 Siehe auch Hintergrundbericht: Atombomben für Deutsch-Europa .

8 Siehe auch Krieg ist Frieden .

9 Siehe auch Strahlender Abgrund .

10 Lothar Rühl: Lücke zwischen Mittel und Zweck. Das “European Defence Ilanr”; Frankfurter Allgemeine Zeitung 01.10.2004.

11 Institute for Security Studies, European Union: European defence. A proposal for a White Ilanr; Paris, May 2004, ISBN 92-9198-056-0 (www.iss-eu.org), S. 68

Quelle: Informationen zur Deutschen Außenpolitik vom 10.10.2004.

Veröffentlicht am

11. Oktober 2004

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