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Festung Europa

Die deutsche Regierung bereitet gemeinsam mit der Regierung Italiens die Errichtung von Auffanglagern in Libyen vor. Dies bestätigt der italienische Innenminister nach einem Gespräch mit seinem deutschen Amtskollegen. In die geplanten Lager sollen Menschen eingewiesen werden, die ohne gültiges Visum in die EU einzureisen suchen. Die sogenannten “EU-Aufnahmeeinrichtungen” sind Teil eines mehrgliedrigen Internierungssystems zur Abwehr unerwünschter Einwanderung und entsprechen langfristigen Planungen Berlins. Menschenrechtsorganisationen bezeichnen die geplante Maßnahme als Verstoß “gegen das deutsche Grundgesetz, die EU-Verfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention”.

Wie während des Aufenthalts des deutschen Innenministers in Sant’Anna di Stazzema verlautete, sollen für die Auffanglager in Libyen EU-Gelder zur Verfügung gestellt werden. Ein Sondergesandter der italienischen Regierung ist mit konkreten Verhandlungen mit der Regierung Libyens befasst. Deutschland und Italien könnten die Initiative bei einem für Oktober anberaumten Treffen Frankreich, Großbritannien und Spanien vorlegen. Die fünf Staaten bilden seit geraumer Zeit ein informelles Bündnis (“G 5”), das die Innen- und Justizpolitik der EU präjudiziert und einer weit reichenden Entmachtung der kleineren EU-Staaten auf diesen Gebieten gleichkommt. Mit Widerstand gegen das deutsch-italienische Vorhaben wird nicht gerechnet.

Hardliner

Die geplanten Auffanglager sind Teil eines umfassenden Internierungssystems, das seit Jahren entwickelt und aufgebaut wird. Es dient dazu, unerwünschte Einwanderung in die EU abzuwehren. Schon in den 1990er Jahren entwarf Berlin Konzepte, die darauf abzielten, Migrationsbewegungen nahe ihrer Herkunftsgebiete zu stoppen und Flüchtlinge “heimatnah” in Lagern unterzubringen. Die Menschenrechtsorganisation “Pro Asyl” kritisierte bereits im Sommer 1998 “Pläne, Auffanglager für Flüchtlinge aus dem Irak und der Nachbarregion in der Türkei zu errichten”: Deutschland ziehe “die Federführung für eine harte Linie zur Koordination einer europäischen Abschottungspolitik an sich” und sei “der Hardliner bei der Abwehr von Flüchtlingen”, hieß es damals. 1 In großem Maßstab erprobt wurde das System der Auffanglager während des Überfalls auf Jugoslawien, als die Kriegsflüchtlinge systematisch nur wenig entfernt von den jugoslawischen Grenzen in Massenlagern untergebracht wurden.

Ring von Lagern

Die Erfahrungen aus dem Kosovo-Krieg sollen nun offenbar angewandt werden, um die unerwünschte Migration aus Afrika nach Europa mittels von der EU betriebener Auffanglager in Nordafrika zu stoppen. Das Motiv für den Einwanderungswunsch spielt dabei keine Rolle: Wie der deutsche Innenminister mitteilt, sollen auch politisch Verfolgte, denen nach geltendem internationalem Gesetz Asyl in der EU zusteht, von den EU-Auffanglagern aus in einen afrikanischen Aufnahmestaat vermittelt werden. 2 Mit hochgerüsteter Küstenüberwachung und einer Kette von Auffanglagern entlang der nordafrikanischen Küste wäre es möglich, die Migrationsbewegungen noch vor dem Eintritt in die EU zu stoppen. Damit wäre für die Südgrenzen der EU ein Zustand erreicht, der entlang ihrer Ostgrenzen mit deutscher Hilfe inzwischen weitgehend durchgesetzt ist. Dort überwachen Grenzbeamte mit in weiten Teilen deutscher Technologie und unter Aufsicht der EU die Außengrenzen des europäischen Wohlstandsblocks. Nur wenig außerhalb der EU-Grenzen, die inzwischen als undurchdringliche Bollwerke gelten, zieht sich ein System von Auffanglagern, in denen Flüchtlinge unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen leben. 3

Zweiter Ring

Der Ring von Lagern entlang der EU-Außengrenzen wird ergänzt durch eine weitere Behinderung von Flüchtlingen in noch größerer Entfernung. So verhandelt die EU mit Libyen über Unterstützungsmaßnahmen zur Kontrolle der libyschen Südgrenzen nach Niger, Tschad und Sudan. Unter italienischem Druck kontrolliert Ägypten inzwischen die Seefahrt im Roten Meer auf Flüchtlingsschiffe. Tunesien hat mit italienischen Geldern bislang 13 Abschiebehaft-Einrichtungen installiert, von denen elf vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden. Kritiker erwähnen Berichte, nach denen viele der dort internierten Abschiebehäftlinge zur tunesisch-algerischen Wüste transportiert und dort ausgesetzt werden. 4

Zentrum

Während Auffanglager entlang der EU-Außengrenzen dafür sorgen sollen, dass die Einwanderung in die EU möglichst gering bleibt, dient ein ausgeklügeltes System weiterer Lager der Sammlung unerwünscht Eingewanderter und ihrer Verfügbarkeit für die erzwungene Ausreise (Flughafenlager, Abschiebegefängnisse, “Ausreisezentren”). Die von Berlin EU-weit durchgesetzte “Drittstaatenregelung” ermöglicht die Abschiebung von Flüchtlingen in ihre Transitstaaten. So genannte “Rücknahmeabkommen” hat Berlin mit zahlreichen Staaten jenseits der EU-Ostgrenzen bereits abgeschlossen, die EU verhandelt mit Algerien und Marokko über entsprechende Verträge. Kern des Konzepts sei ein “flüchtlingsfreies Europa, umgeben von einem Ring geschlossener Lager für Schutzsuchende”, heißt es bei “Pro Asyl”: Dieser “Ansatz verstößt gegen das deutsche Grundgesetz, die EU-Verfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention”. 5

Anmerkungen:

1 Presseerklärung vom 6. Juli 1998; www.proasyl.de

2 “Ich finde nichts Anstößiges daran, Menschen zurückzuführen.” SZ-Interview mit Otto Schily; Süddeutsche Zeitung 02.08.2004

3 Ukraine: Grim gateway to new Europe; BBC 12.12.2002

4 Das diskrete Sterben. Die Verlagerung europäischer Grenzkontrollen nach Nordafrika zeitigt schon jetzt in Wüste und Meer tödliche Folgen; Frankfurter Rundschau 14.08.2004

5 Bundesinnenminister Schily fordert Asyllager in Nordafrika; Pressemitteilung von Pro Asyl 20.07.2004

Quelle: Informationen zur Deutschen Außenpolitik vom 17.08.2004

Veröffentlicht am

17. August 2004

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