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Leyla Zana ist frei: Kurdische Menschenrechtlerin aus türkischer Haft entlassen

Von Michael Schmid

Das Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V. begrüßt die Entscheidung des türkischen Berufungsgerichts zur Haftentlassung von vier kurdischen PolitikerInnen, die auf einen Antrag des Generalstaatsanwalts zurückgeht. Nach zehn Jahren kamen am 9. Juni 2004 die bekannte kurdische Bürgerrechtlerin Leyla Zana und mit ihr die drei kurdischen ehemaligen Abgeordneten Hatip Dicle, Selim Sadak und Orhan Dogan frei. Die vier kurdischen PolitikerInnen waren wegen angeblicher Mitgliedschaft in der kurdischen Arbeiterpartei PKK 1994 zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Noch im April 2004 hat das Staatssicherheitsgericht in Ankara diese Haftstrafe bestätigt.

Nach dem Verlassen des Gefängnisses wurde Leyla Zana von einer großen Menschenmenge gefeiert, die Freilassung wurde allgemein begrüßt, auch von der türkischen Regierung.

“Das ist ein Sieg für das türkische Recht. Es ist ein echter Wendepunkt”, sagte Zanas Anwalt Yusuf Alatas dem Privatsender CNN-Türk. Die Abgeordneten wurden 1994 von einem Staatssicherheitsgericht zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil sie Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) gehabt haben sollen. Jetzt war das Urteil wegen Verfahrensfehlern aufgehoben worden. Ein neuer Prozess wurde für den 8. Juli angesetzt.

Der türkische Justizminister Cemil Cicek wertete die Freilassung als weiteren Schritt zu einer EU-Mitgliedschaft. Mehr Rechte für die kurdische Minderheit sind eine der Voraussetzungen für den von der Türkei angestrebten Beitritt zur Europäischen Union. “Das türkische Rechtssystem hat seinen Teil erledigt. Jetzt sind andere am Zug”, wurde Cicek von der Nachrichtenagentur Anadolu zitiert.

Die türkische Menschenrechtlerin Eren Keskin begrüßte die Freilassung, doch sei die Entscheidung nur auf Druck der EU getroffen worden. “Es ist ein positiver Schritt und ein Grund zur Freude”, sagte Keskin. “Gleichzeitig hat sich die türkische Justiz ihre eigene Ungerechtigkeit eingestanden.”

Außer der Freilassung der vier kurdischen PolitikerInnen ist die Türkei gestern der kurdischen Minderheit und damit Forderungen der EU auch in einem anderen Punkt entgegen gekommen: Erstmals strahlte das staatliche Radio Sendungen in kurdischer Sprache aus. Damit wird eine Reform Wirklichkeit, die vor wenigen Jahren noch undenkbar war. Der Radiosender TRT sendete ein 30-minütiges Programm auf Kürmandschi, der am meisten verbreiteten kurdischen Sprachvariante.

Im Fernsehprogramm wurde eine kurdische Nachrichtensendung mit türkischen Untertiteln gezeigt. “Es ist schwer zu glauben, dass dies kein Traum, sondern Wirklichkeit ist”, sagte der kurdische Schriftsteller Seyhmus Diken. Neben den kurdischen Angeboten gibt es jetzt auch Sendungen in den Minderheitensprachen Bosnisch, Arabisch und Tscherkessisch.

h3.Leyla Zana: Langjährige Haft wegen Einsatz für Freundschaft zwischen türkischem und kurdischem Volk

Nach ihrer Freilassung aus zehnjähriger Haft hat die türkische Kurdenpolitikerin Leyla Zana zur Verständigung zwischen Türken und Kurden aufgerufen. Eine neue Seite werde aufgeschlagen, sagte Zana am Mittwoch vor Journalisten in Ankara. Sie wandte sich dagegen, “Schmerzen und Streit” der Vergangenheit nun neu anzufachen. Wenn die Türkei ihre Probleme löse, könne sie zum “Stern” in ihrer Weltgegend werden, sagte Zana weiter.

Leyla Zana wurde 1961 in der Stadt Bahçe in der mehrheitlich von KurdInnen bewohnten türkischen Provinz Diyarbakir geboren. Gemeinsam mit ihrem Mann, Mehdi Zana, der für einige Zeit das Amt des Bürgermeisters von Diyarbakir ausübte, begann sie sich schon früh für die Rechte der KurdInnen in der Türkei einzusetzen. Beide distanzierten sich dabei stets klar von den Gewalttaten, die einige kurdische Gruppen im Namen des Kampfes gegen die brutale Unterdrückung ihres Volkes begingen und versuchten, den Weg der Verhandlung und des gewaltlosen Widerstandes zu gehen. Nachdem die türkischen Militärs bei einem Putsch im September 1980 die Macht im Land übernommen hatten, wurde Mehdi Zana wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet und schwer gefoltert. Obwohl auch Leyla Zana immer wieder von den Sicherheitskräften drangsaliert wurde, gelang es ihr, Kontakt mit ihrem Mann zu halten, bis dieser 1991 freigelassen wurde.

Im Oktober 1991 wurde Leyla Zana als Mitglied der pro-kurdischen “Demokratischen Partei” (DEP) ins türkische Parlament gewählt. Dort setzte sie sich, wie sie selbst es formulierte, für die “Versöhnung zwischen Kurden und Türken” ein.

Der Weg der Gewalt, wie er etwa von der Untergrundbewegung PKK (“Türkische Arbeiterpartei”) beschritten wurde, war ihr weiterhin fremd. Ihr Engagement für die Menschenrechte brachte Leyla Zana und die anderen Abgeordneten der DEP schon bald in Gefahr. Sie erhielten Morddrohungen, was in einem Land, in dem politische Morde und Folterungen an der Tagesordnung waren, nur allzu ernst zu nehmen war. Tatsächlich wurden mehrere DEP-Mitglieder ermordet, andere verschwanden spurlos und mehrere wurden festgenommen und gefoltert.

Als Leyla Zana ihren Eid auf die Verfassung (in türkisch) ablegte, fügte sie auf kurdisch hinzu:
“Es lebe die Freundschaft zwischen dem türkischen und dem kurdischen Volk!”

Die türkischen Behörden nahmen diese Aussage und den Umstand, dass sie in der verbotenen kurdischen Sprache getätigt worden war, zum Anlass, gegen Leyla Zana ein Verfahren wegen “Hochverrats” einzuleiten. Die Mehrzahl der Parlamentsmitglieder stützte die brutale Unterdrückung der KurdInnen im Land (Leyla Zana war während ihrer Vereidigung im Parlament sogar tätlich angegriffen worden) und war nur allzu gerne bereit, die Immunität der Beschuldigten aufzuheben. Leyla Zana wurde gemeinsam mit drei anderen kurdischen Abgeordneten der Prozess gemacht, bei dem der Staatsanwalt die Todesstrafe forderte. Im Dezember 1994 wurde Leyla Zana zu 15 Jahren Haft verurteilt.

“Ich liebe das Leben. Doch stärker ist mein Wunsch nach Gerechtigkeit für mein Volk”, schrieb sie nach ihrer Verurteilung. 1995 wurde Leyla Zana der “Sacharow-Preis” des Europäischen Parlaments für die Verteidigung der Menschenrechte zugesprochen. Im selben Jahr stellte eine Arbeitsgruppe der UNO fest, dass ihre Inhaftierung willkürlich und eine Verletzung der Menschenrechte war. Im Juni 2002 verurteilte auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof das Vorgehen der türkischen Behörden und sprach Leyla Zana eine Entschädigung von 50.000 Euro zu. Doch trotz allen Verurteilungen und internationalen Protesten bleibt Leyla Zana weiterhin in Haft.

Erst am 21. April 2004 hat das Staatssicherheitsgericht in Ankara das Urteil über Leyla Zana und ihre Freunde bestätigt. Die kurdischen Politiker seien Mitglied in der illegalen Kurdischen Arbeiterpartei PKK gewesen und hätten deren bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat tatkräftig unterstützt, hieß es zur Begründung.

Mit dem Unrechtsurteil gegen die 1991 frei gewählte kurdisch-türkische Parlamentarierin Leyla Zana provozierte die Türkei ihre 20 Millionen kurdischen Bürger. Damit war den 6.500 wegen angeblicher separatistischer Umtriebe inhaftierten Kurden jede Hoffnung auf Freilassung genommen und den 2,5 Millionen verelendeten kurdischen Bauern die Aussicht auf eine Rückkehr in ihre rund 3.400 von der türkischen Armee zerstörten Dörfer geraubt worden. Die türkische Reform in Sachen Minderheitenrechte galten als gescheitert. Mit der Freilassung der vier kurdischen PolitikerInnen und der Ausstrahlung von Rundfunk- und Fernsehsendungen in kurdischer Sprache am 9. Juni 2004 deutet sich nun eine Änderung an.

Als Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. fordern wir nach der Freilassung von Leyla Zana eine Generalamnestie für die rund 3500 anderen kurdischen politischen Häftlinge und eine Fortsetzung des angedeuteten Reformkurses zugunsten der Rechte der Minderheiten in der Türkei.

Siehe ebenfalls:

Veröffentlicht am

11. Juni 2004

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