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Person des Jahres 2003 entfernt sich unerlaubt von der Truppe…

Von Wolfgang Krauß

Person des Jahres 2003 …

… entfernt sich unerlaubt von der Truppe
… wehrt sich gegen sexuelle Gewalt
… verweigert den Kriegsdienst

David Stutzmann arbeitet im mennonitischen Friedensbüro als Koordinator und Berater des “Military Counseling Network” (MCN). Die Wahl des US-Soldaten zur Person des Jahres 2003 veranlasst uns, drei Fälle aus der Beratungspraxis zu skizzieren.

Früher wählte das US-Magazin “Time” den “Mann des Jahres”, heute politisch korrekt die “Person des Jahres”. Ende 2003 fiel die Wahl (ebenso politisch korrekt!?!) auf “The American Soldier”, den “amerikanischen Soldaten”, damit ist aber nicht etwa der paraguayische, argentinische oder kanadische Soldat gemeint, sondern der US-Soldat bzw. die US-Soldatin.

Zusammenfassend heißt es in Time: “Der amerikanische Soldat. Sie fegten über den Irak und nahmen Bagdad in 21 Tagen. Sie stehen Wache auf Straßen, die mit Skepsis und Erbitterung übersät sind wie mit Schlaglöchern. Sie fingen Saddam. Sie sind das Gesicht Amerikas, seine Macht und sein guter Wille; sie arbeiten dafür, Demokratie an einen chaotischen Ort zu bringen. Der US-GI ist die Person des Jahres.” Fotos und Gemälde(!) dieser letzten TIME-Ausgabe 2003 malen das Bild unerschrockener Helden. Einzelne kritische Töne in den Artikeln werden davon optisch locker übertönt. TIME, Dec 29, 2003/Jan 5, 2004 www.timeeurope.com

In der Arbeit des “Military Counseling Network” haben wir beeindruckende Männer und Frauen des Jahres 2003 kennengelernt. Stellvertretend seien hier drei von ihnen genannt.

Person des Jahres 2003 Nr. 1 entfernt sich unerlaubt von der Truppe

Vor über drei Jahren entfernte er sich unerlaubt von der Truppe (AWOL = absent without leave). Er war depressiv, litt unter Schlaflosigkeit, hatte Alkoholprobleme, dachte an Selbstmord und hatte oft Albträume, in denen er Kameraden tötete. Er hielt es nicht mehr aus, rannte weg aus der Armee und tauchte unter.

Im Herbst 2003 nun wollte er sich der Armee stellen, um in die Legalität zurückzukehren und wieder nromal leben zu können. Er suchte nach Hilfe und nahm dazu Kontakt mit MCN und Connection e.V auf. Wir trafen uns mehrmals mit ihm und bereiteten seine Rückkehr vor. Wir sammelten Unterstützungsbriefe, die die Gründe für seine Flucht bestätigten. Wir organisierten medizinische und psychologische Untersuchungen.

Wir machten uns auf die Suche nach einem Rechtsanwalt, der ihn durch das Kriegsgerichtsverfahren und die sonstige rechtliche Prozedur bringen konnte. Wir fanden einen Armee-Rechtsanwalt (Judge Advocate General-JAG), der bereit war, ihn vor dem Verfahren zu treffen und seine Rückkehr zu koordinieren. Wir hofften, es gäbe genug Gründe für die US-Armee seine dreijährige Abwesenheit zu übersehen, damit er um ein Kriegsgerichtsverfahren herumkommen und stattdessen eine “andere als ehrenhafte Entlassung” erhalten könnte. Wir erwarteten durchaus auch eine Anklage wegen Desertion, hielten eine Haftstrafe für wahrscheinlich, ebenso die Nichtzahlung des Soldes oder eine unehrenhafte Entlassung.

Wir begleiteten John*, als er in die Kaserne zurückehrte. Anschließend saß John über vier Monate dort, ohne dass ihm eine Uniform oder Sold zugeteilt wurde. Jetzt erfuhren wir, dass er innerhalb weniger Tage freigelassen würde und zwar als ehrenhafte oder “allgemeine Entlassung unter ehrenhaften Bedingungen”. Auch würde er noch ausstehenden Sold erhalten und ganz ohne Haftstrafe davonkommen.

Durch die Nachlässigkeit seines Kommandanten, der ihn nach seiner Rückkehr nicht wieder in eine Uniform steckte, hatte der JAG-Offizier die Möglichkeit den europäischen Commander zu veranlassen, die Desertionsvorwürfe zu übergehen und ihn zu entlassen, wie einen Soldaten, der seine Dienstzeit normal beendet hat. Ein für uns sehr überraschender Ausgang, über den wir sehr, sehr glücklich sind!!!

Person des Jahres Nr. 2 wehrt sich gegen sexuelle Gewalt

Während ihrer Stationierung im Irak wurde sie von einem “Kameraden” vergewaltigt. Mehrere Monate blieb sie danach noch im Irak stationiert. So begegnete sie wiederholt ihrem Vergewaltiger, der sie auch weiter verfolgte. Wegen Panikattacken war sie in ärztlicher Behandlung und erhielt starke Medikamente. Als sich ihre psychische Situation verschlechterte, wurde sie zurück nach Deutschland geschickt. Doch auch dort begegnete sie dem Vergewaltiger, den man nach Deutschland “strafversetzt” hatte. Ihre psychische Verfassung wurde noch schlechter.

Ihr Bruder machte sich nun große Sorgen. Über das Internet fand er MCN und brachte uns in Kontakt mit Sally*. Nach einigen Wochen telefonischen Kontakts besuchte ich sie zusammen mit einer MCN-Mitarbeiterin in einem Armeekrankenhaus in der Pfalz. Wir hatten ein intensives Gespräch. Sie lächelte und sagte, es gehe ihr gut. Normalerweise weinte sie nur, wenn sie über ihre Situation erzählte. Wir brachten sie in Kontakt mit der Organisation STAMP (Survivors Take Action Against Abuse of Military Power), deren Beraterinnen sich nach der Verlegung in eine Klinik nach Washington D.C. um sie kümmern
wollten.

Person des Jahres Nr. 3 verweigert den Kriegsdienst

Er wartet immer noch auf seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Er ist noch immer in Bagdad stationiert. Er wird im Februar nach Deutschland zurückkehren, da seine Dienstzeit dann zu Ende geht. Er befürchtet, dass das Militär ihn hinhält bis zu seiner turnusgemäßen Entlassung. Daniel* will jedoch immer noch als Kriegsdienstverweigerer anerkannt und als solcher entlassen werden. Seinen Antrag hatte er schon im April 2003 nach reiflicher Überlegung gestellt. Doch die Aussicht, auf jeden Fall bald aus der Armee herauszukommen, ermutigt ihn.

*die Namen wurden geändert

Weitere Texte zum Military Counceling Network auf der Lebenshaus-Website:

>> Beratungsstelle für US-Verweigerer gegründet

>> “Er muss selbst die Folgen tragen” - US-Soldat zur Kriegsdienstverweigerung entschlossen

>> Der Deserteur. “An Krieg habe ich nicht gedacht”: Warum ein in Deutschland stationierter US-Soldat seine Einheit verließ

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Military Counseling Network,
c/o Deutsches Mennonitisches Friedenskomitee (DMFK),
Hauptstr. 1, D-69245 Bammental, Tel 06223-47506 Fax 47791, mcn@dmfk.de

Veröffentlicht am

23. Januar 2004

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