Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Hoffnung ist wichtig beim Engagement für die Überwindung von Gewalt

Von Michael Schmid - Rede bei einer Mahnwache gegen Krieg, für Frieden am 5. Januar 2004 in Gammertingen.

Bei unserer ersten Mahnwache im neuen Jahr möchte zunächst einen Blick zurückwerfen ins Jahr 2003. Dies war nicht nur für mich ein sehr trauriges Jahr: der Krieg gegen die Menschen in Afghanistan und im Irak, die Millionen Opfer der neoliberalen Globalisierung, all die Leidtragenden von direkter und struktureller Gewalt. Ein Jahr mit viel Finsternis. Es gab aber auch viel Erfreuliches, wie z.B. die weltweit zig Millionen Menschen, die gegen die Irak-Invasion protestierten und gewaltfreien Widerstand leisteten. Mit unseren Aktivitäten konnten wir diese Invasion nicht verhindern. Aber ich bin mit Rosa Luxemburg überzeugt, dass sie nicht umsonst waren.

Proteste

Auch wenn sie in der Sache
Wirkungslos geblieben sind.
Sie sind in den Gesamthaushalt
Unserer Gesellschaft eingegangen.
Sie haben unsere Hirne wacher und
Unsere Herzen wärmer gemacht.

(Rosa Luxemburg)

Ich freue mich gemeinsam mit euch, dass wir zu diesen vielen Menschen auf der Erde gehören, die sich für eine friedlichere und gerechtere Welt eingesetzt haben und weiter einsetzen werden. Ohne um die vielen engagierten Menschen zu wissen, könnte es gut sein, dass ich längst verzweifelt wäre.

Zu Beginn dieses neuen Jahres 2004 sehe, dass folgendes Realität ist: Die Welt gibt immer mehr Geld für Waffen aus - hauptsächlich die USA unter George W. Bush, aber zugleich hungern und verhungern immer mehr Menschen. Das US-Militär gibt zur Zeit alle 32 Stunden so viel Geld aus wie die UNO in einem Jahr zu Verfügung hat.

Die Zahl der Hungernden ist seit 1995 um 18 Millionen auf 842 Millionen gestiegen. Jeder siebte Erdenbewohner hat nicht genug zu essen. Die Hauptursachen des Hungers sind die bekannten vier K: Krieg und Krankheit, Korruption und Klimakatastrophe.

An Bürgerkriegen sind Industriestaaten oft durch schuldig, weil sie ihre eigenen Ressourcen-Interessen verfolgen. Und an der Klimakatastrophe trifft die industrialisierten Länder eine grundsätzliche Schuld.

Rüstungsexporte aus Oberndorf und anderswo

Dazu kommen Rüstungsexporte, welche einerseits Ressourcen der armen Länder binden, andererseits zur Unterdrückung von Menschen und zum gewaltsamen Austrag von Konflikten dienen.

In der EU ist Deutschland im Jahr 2002 zweitgrößter Rüstungsexporteur gewesen, mit großem Abstand hinter Frankreich (11,4 Milliarden) und knapp vor Großbritannien (3,2 Milliarden).

Unweit von uns gibt es ein beschauliches Städtchen, mit seinen 15.000 EinwohnerInnen schön am Neckar gelegen - Oberndorf. Dieses Städtchen ist gleichzeitig eine traditionsreiche Waffenschmiede. Heute Sitz der beiden Waffenproduzenten Mauser und Heckler & Koch. Letztere hat sich 1956 erfolgreich an der Ausschreibung für das Infanteriegewehr der neugegründeten Bundeswehr beteiligt. Ab 1961 wurde deshalb in dem Neckarstädtchen im Auftrag des Bundes das G3-Standardgewehr produziert. “Dies war der erste Meilenstein einer Entwicklung, die den Namen Heckler & Koch weltweit zu einem Synonym für führende Technologie und beste Qualität im Waffenbau machte”, verkündet das Rüstungsunternehmen, das weltweit zum drittgrößten Gewehrproduzenten geworden ist, stolz auf seiner Website im Internet ( www.heckler-koch.de ).

Den Firmengründern Heckler, Koch und Seidel kommt das unrühmliche Verdienst zu, mit dem G3 eine perfekte Massenvernichtungswaffe erfunden zu haben. Aber für die weltweite Verbreitung des G3 sind sie nicht alleine verantwortlich. Beim Waffenexport haben alle Regierungsparteien seit über 40 Jahren die “vitalen Interessen” Deutschlands über den Schutz der Menschenrechte gestellt und sind somit zu einem wesentlichen Teil Schuld am weltweiten Massenmorden mit G3-Gewehren.

Denn durch Direktexporte aus Oberndorf und infolge von Lizenzvergaben von Heckler&Koch-Waffen starben von 1961 bis zum Jahr 2000 nach konservativer Berechnung mindestens 1,51 Millionen Menschen - täglich kommen weitere dazu. Tag für Tag verlieren 104 Menschen ihr Leben durch die Gewalt der Gewehre von Heckler & Koch und seiner Lizenznehmer.

“Wie die Pest im Mittelalter wütete der Heckler-Waffenvirus in den vergangenen Jahrzehnten und mordet bis heute auf den Schlachtfeldern in Afrika, Lateinamerika, dem Nahen Osten und Südostasien”, meint der Rüstungskritiker und Friedensaktivist Jürgen Grässlin . Anders als früher seien es zu rund fünfundachtzig Prozent Zivilisten - unschuldige Kinder, Frauen und Männer - “die von den in Oberndorf entwickelten Maschinenpistolen und Gewehren durchsiebt und zerfetzt werden.”

Dieser mörderische Wahnsinn wird, wie gesagt, von allen Bundesregierungen mitgemacht. Echte Friedenspolitik sieht anders aus.

“Das Schwarze Schaf” für den Kanzler

Und völlig zurecht hat Bundeskanzler Gerhard Schröder an Heiligabend den Kritikerpreis “Das Schwarze Schaf” erhalten. Der undotierte Preis wurde ihm von Friedensorganisationen verliehen, die in der Kampagne gegen Rüstungsexport zusammengeschlossen sind. Mit der “Auszeichnung” sollen die “besonders skandalösen Verdienste des Kanzlers im Jahr 2003 für die Aufhebung des Waffenembargos und die Lieferung militärisch nutzbarer Atomanlagen gegenüber China gewürdigt werden”, begründet Paul Russmann, Sprecher der ökumenischen Aktion Ohne Rüstung Leben (ORL) die Preisverleihung.

“Mit seinem lautstarken Vorstoß macht sich der Bundeskanzler zur Marionette der Rüstungs- und Atomlobby und verstößt damit gegen die Menschenrechtsklausel der regierungseigenen Rüstungsexportrichtlinien”, so Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK).

Im Jahr 2002 wurden weltweit 29 Kriege geführt. Darüber hinaus registrierte die Arbeitgemeinschaft Kriegsursachenforschung in Hamburg noch 18 bewaffnete Konflikte. 2003 wird es nicht viel anders ausgesehen haben.

Unendlich viele Menschen werden in diesen Kriegen getötet, verletzt, verlieren ihre Existenzmöglichkeiten, ihre Heimat.

Und es werden wichtige Ressourcen vergeudet, die an anderer Stelle benötigt würden. Aber das ist eine Frage der politischen Schwerpunktsetzung.

Ebenso hängt es an politischen Entscheidungen, ob Menschen verhungern müssen oder nicht. Auf unserer Erde wachsen nicht zu wenig Lebensmittel. Wir könnten 14 Milliarden Menschen ernähren, sagte die UNO. Es sind ausschließlich Verteilungsprobleme und politische Probleme, die zum Massensterben durch Hunger führen. Täglich verhungern etwa 26.000 Menschen - eine Schande für die Menschheit!

Schauen, was Hoffnung macht…

Angesichts all der Gewalt durch Kriege, durch ungerechte gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse und durch Gewalt, die einzelne gegen andere ausüben, um ihre eigene Erbärmlichkeit zu überdecken - angesichts vielerlei Formen von Gewalt ist es auch wichtig, zu schauen, was Hoffnung macht. Wichtig können hierbei Bilder von einem anderen, einem gerechten und friedvollen Umgang miteinander sein, Visionen von einer anderen Welt also. Ein Volk ohne Vision geht zugrunde, heißt es in der Bibel.

Die leider im vergangenen Jahr verstorbene Dorothee Sölle hat einmal über “Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit” folgendes geschrieben:

“Die Bilder des gewaltfreien Umgangs miteinander sind zu tief in den Menschen angelegt, als dass sie ganz verleugnet werden könnten. Die Sehnsucht danach, endlich das Ende der Schere zwischen Hunger bei den Vielen und Militarismus bei den Wenigen zu sehen und der Wunsch nach Frieden mit der Erde, spricht sich im Psalm 85 im Bild des Festzugs aus, in dem Gerechtigkeit vorangeht, das Land in der Mitte des Festes lebt und der Segen, das Glück ihm nachfolgt. Es ist eine Vision von Macht- und Gewaltverzicht, der die ‘gerechte’, d.h. den Bedürfnissen der Menschen angemessene Verteilung zur Grundlage macht, auf der Frieden und dann Segen beruht. Dass Gerechtigkeit und Friede einander ‘küssen’ entspricht der biblischen Vorstellung vom Frieden, der nicht auf Waffengewalt und Kriegsvorbereitung beruht wie die imperiale Vorstellung der Pax Romana, sondern eben auf einer anderen, an den Armen, den Schutzlosen, den Verwaisten orientierten Ökonomie.”
(aus: Dorothee Sölle, Den Rhythmus des Lebens spüren, inspirierter Alltag, Freiburg 2001, S. 155.)

Konkrete hoffnungmachende Beispiele

Ich möchte ganz konkrete Beispiele nennen, die mir Hoffnung machen und die Licht in die Finsternis der Gewalt bringen.

Fast täglich berichten die Massenmedien über Terroranschläge durch palästinensische SelbstmordattentäterInnen in Israel einerseits und über die staatsterroristischen Aktionen der israelischen Armee in den besetzten palästinensischen Gebieten andererseits. Weniger bekannt gemacht wird bei uns, dass viele Menschen diesen sich immer weiter aufschaukelnden Wahnsinn nicht mitmachen möchten.

Es gibt immer wieder israelische Soldaten, die sich weigern, mörderische Befehle auszuführen. So hat eine Gruppe israelischer Piloten im September 2003 erklärt, nicht länger palästinensische Städte bombardieren zu wollen. Ein Brief mit Kritik an Ariel Scharons Krieg wurde von 27 aktiven Piloten bzw. Reservisten-Piloten unterzeichnet. Darin weigern sie sich, weiter Befehle auszuführen, die sie als “illegale Befehle” bezeichnen. Sie wollen nicht mehr an der Bombardierung palästinensischer Wohngebiete im Rahmen “gezielter” Liquidierungen teilnehmen. Sie verurteilen die Okkupation. Diese Piloten wurden als Verräter gebrandmarkt und inzwischen aus der Luftwaffe rausgeworfen. Aber diesen mutigen israelischen Soldaten schließen sich weitere an.

So haben jetzt im Dezember 13 israelische Elitesoldaten Regierungschef Ariel Scharon einen Korb gegeben. In einem Brief an die Regierung kündigten die Soldaten und Offiziere der Spezialeinheit des Generalstabes an, künftig den Dienst in den besetzten Gebieten zu verweigern.

Andere junge Israelis verweigern von vornherein den Kriegsdienst. Sie nehmen für ihre Gewissensentscheidung, nicht töten und deshalb nicht Soldat werden zu wollen, jahrelange Gefängnisstrafen in Kauf. So waren fünf dieser jungen Männer bereits 14 Monate im Gefängnis, weil ihnen ihr Gewissen sagt, dass sie nicht töten sollen. Nun sind sie am 4. Januar 2004 zu Gefängnisstrafen von je einem Jahr verurteilt worden, weil sie den Dienst in der Armee aus Protest gegen die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete verweigert hatten.

Diese israelischen Kriegsdienstverweigerer brauchen unsere Solidarität. Gerade läuft eine weltweite Online-Petition, die an die Regierung Israels gerichtet ist, in der Unterschriften zur Unterstützung dieser fünf jungen israelischen Kriegsdienstverweigerer gesammelt werden (“Protest gegen drakonische Strafen für israelische Kriegsdienstverweigerer” ). Die sich verweigernden israelischen Militärs bringen für mich Licht in die Dunkelheit der Gewalt. Ebenso die jungen israelischen Kriegsdienstverweigerer, die sich von vornherein weigern, überhaupt Soldat zu werden. Und gestrahlt in einem Meer von Dunkelheit haben aus meiner Sicht auch zwei Menschen, bei denen sich am 15. Januar ein Todes- bzw. ein Geburtstag jährt.

Rosa Luxemburg und Martin Luther King

Rosa Luxemburg war eine entschiedene Sozialistin und Humanistin, Kriegsgegnerin und Antimilitaristin. Sie war keine Pazifistin, befürwortete eine allgemeine Volksbewaffnung. Vielleicht sähe dies heute anders aus. Jedenfalls hat sie aber leidenschaftlich mit zivilen Mitteln - mit den Mitteln der Rede, des Schreibens und der Volksbildung - für ihr Ziel einer friedvollen und gerechten Gesellschaft gekämpft. Weil sie den damals Herrschenden mehr als unbequem war, wurde sie immer wieder für lange Zeit ins Gefängnis gesteckt. Am 15. Januar 1919 wurde sie in Berlin einmal mehr verhaftet - gemeinsam mit Karl Liebknecht. Beide wurden gedemütigt, misshandelt und bei der Überführung ins Gefängnis brutal ermordet. Rosa wurde dann in den Landwehrkanal geworfen. Am 15. Januar können wir also den 85. Jahrestag ihrer Ermordung gedenken.

Und ein anderer, der uns ein großes Vermächtnis in Sachen Frieden, Gerechtigkeit und Gewaltfreiheit hinterlassen hat, wurde am 15. Januar geboren. Martin Luther King im Jahre 1929 in Atlanta/Georgia. Würde er noch leben, könnte er nun seinen 75. Geburtstag feiern. Aber auch er war zu unbequem und wurde ermordet. Hingerichtet, meint der Anwalt William F. Pepper auf der Grundlage dessen, was er in dieser Sache rekonstruiert hat. Es war ganz wesentlich auch Peppers Verdienst, dass endlich im Jahr 1999 das erste und bisher einzige Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit der Ermordung Kings stattfand. Nach drei Wochen intensiver Beweisaufnahme und der Anhörung von 70 Zeuginnen und Zeugen kamen die Geschworenen, sechs schwarze und sechs weiße Bürger, zu dem Urteilsspruch, dass der weiße Wirtshausbesitzer Loyd Jowers und “andere, einschließlich Regierungsagenturen”, sich verschworen hatten, King umzubringen. Aus diesem spektakulären Gerichtsverfahren muss der unvermeidliche Schluss gezogen werden, dass dieselbe Regierung, die Martin Luther Kings Geburtstag später zu einem Feiertag erklärte, ihn auch getötet hat.

King und Rosa Luxemburg, die israelischen Kriegsdienstverweigerer und die mörderische Befehle verweigernden Soldaten sind für mich Lichtstrahlen in der Dunkelheit, an denen ich mich wärmen kann. Es kann allerdings bei alledem nicht um Heldenverehrung gehen, sondern um Herausforderung und Ermutigung für das eigene Handeln. Auf diese Weise macht es Sinn, uns mit diesen vorbildhaften Menschen immer wieder zu befassen, um ihr Licht überhaupt wahr- und in sich aufnehmen zu können.

In Bezug auf King möchten wir dies im Lebenshaus in Gammertingen am kommenden Samstag in Form eines Tagesseminars machen. “Das Vermächtnis des gewaltfreien Kämpfers Martin Luther King” lautet das Thema. Herzliche Einladung dazu. Und vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

Veröffentlicht am

05. Januar 2004

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