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Iraks doppelter Schutt

Von Karl Grobe

In schwärmerischen Momenten haben die verantwortlichen Herren in Washington sich die Zukunft Iraks so vorgestellt: Ein befreiungsfreudig jubelndes Land, das zur Demokratie aufbricht; eine dynamische Gesellschaft in einem dynamischen Staat, der aus den eigenen Ölreichtümern Wohlstand für alle schafft; ein leuchtendes Beispiel für das westliche Drittel Asiens. Die Despoten würden zittern, die Völker aber sich zu sämtlichen Werten der freien Welt bekennen, die im Zweistromland Realität und Vorbild werden. Das war naive Selbsttäuschung. Oder es war der Zynismus falscher Propheten, die andere Ziele hinter einem Rauchvorhang weihrauchgesättigter Phrasen zu verbergen suchten.

Was die US-Besatzungsmacht in Irak zu Stande gebracht hat, ist die genaue Umkehrung dessen, was der sagenhafte phrygische König Midas konnte: jeden Dreck durch einfache Berührung in Gold verwandeln. Die 25 Vertreter des Staatsvolks sind eine handverlesene Versammlung von Trägern geborgter Würde, die einander aufs Blut hassen, Washingtons Reichsvogt Paul Bremer aber alles verdanken und ihn infolgedessen in rührender Ergebenheit lieben. Wenige unter ihnen, die nicht von verfassungsändernden Mehrheiten bis in den Abgrund verachtet werden; abgesehen davon, dass es eine Verfassung nicht gibt und sie von ihnen nur als Karikatur kommen könnte.

Die meisten Auserlesenen verkörpern die vorstaatliche Geschichte Iraks, die Herrschaft von Cliquen auf religiöser oder ethnischer Grundlage; die anderen sind Alibi-Figuren ohne Macht. Das Volk soll sich nach ethno-religiösem Proporz sortieren; Mittelalter statt Zivilgesellschaft. Zu teilen und zu herrschen ist ein alter Trick.

Das (flüssige) Gold haben die USA an sich gebracht. Kaum hatte der Sicherheitsrat mittels der Resolution 1483 am 22. Mai die eigene Treuhandschaft über das mesopotamische Erdöl einem Trust der Besatzungsbehörde kniefällig übergeben, da erließ Präsident George W. Bush eine “Executive Order” unter der laufenden Nummer 13 303, die alle früheren Verträge aller früheren Bagdader Regierungen null und nichtig machte, die Ölscheichs mit Namen wie Exxon oder Texaco vorauseilend jeder juristischen Anfechtung enthob und das irakische Erdöl, seine Förderung, Verarbeitung, Vermarktung und seinen Transport vergesellschaftete - und zwar zu Gunsten der interessierten US-Gesellschaften. Der Ukas Nummer 13 303 ist im Gesetzesanzeiger der USA vergraben. Recht muss ja Recht bleiben.

Zur Instandsetzung der Wasser- und Stromversorgung, zur Ausschaltung der Korruption, zur Wiederherstellung der Sicherheit auf den Straßen und in den Häusern hat es leider noch nicht gereicht.

Die Armee des Baath-Regimes hat der Reichsvogt aus Hartford (Connecticut), ein gelernter Diplomat und Anti-Terror-Spezialist, jedoch Rumsfeld-Freund, mit einem Federstrich entlassen. Dadurch hat er das Heer der Einkommenslosen um eine halbe Million vergrößert. Es ist jetzt vier oder fünf Millionen Erwachsene groß. Kein Heer der Hoffnung, sondern eins von Kandidaten für den aktiven Widerstand.

Der, so lautet die unfromme Lüge, speist sich aus zweierlei Quellen: Saddam-Loyalisten und Al-Qaeda-Söldnern. Die gibt es. Wenn sie von größeren Massen respektiert werden sollten, dann deshalb, weil es Respekt vor der Besatzungsmacht und ihren willigen Vollstreckern nicht mehr gibt. Sie sind aber - noch? - weit davon entfernt, Sympathien zu gewinnen oder gar Mehrheiten zu mobilisieren.

Das können andere Kräfte. In den elender werdenden Armutsvierteln von Bagdad und überall, wo die Not größer wird, wirbt der knapp dreißigjährige schiitische Populist Muktada as-Sadr Gefolgsleute an, sich berufend auf seinen 1999 vom Baath-Regime ermordeten Vater, einen hoch angesehenen Ayatollah und Regimegegner. Er fordert die Ulema von Nadschaf heraus, die besonnene, eher die zivile Gesellschaft als den starken Staat wünschende Nobelgruppe der Gelehrten; er sammelt Prediger minderen Ranges um sich und organisiert die Jugendlichen und das Subproletariat, die Perspektivlosen, die drei Jahrzehnte lang die Baath-Diktatur haben erdulden müssen und zurzeit die große Enttäuschung über das, was ihnen als Befreiung angepriesen wurde, erleben.

In dem so genannten sunnitischen Dreieck, aus dem die Regimes seit den zwanziger Jahren ihre Machteliten rekrutierten, wächst die andere Frustration in die Dimension der alltäglichen Gewalt hinein - die Frustration, außer der Hoffnung auf Aufstieg im schulischen, administrativen und militärischen Milieu auch noch die relative Sicherheit des Alltags eingebüßt zu haben. Und rings um Kirkuk entbrennt just der turkmenisch-kurdische Konflikt zusätzlich zur gemeinsamen Gegnerschaft gegen Saddam Husseins Arabisierung. Der Doppelkonflikt lässt sich eingängig als ethno-religiös definieren. Eben als das, was des Reichsvogts Separierung des Volkes nach solchen Kriterien kräftig fördert.

Krise ist ein Synonym für Irak geworden. Und nun sollen die UN und Europa helfen, den Ölraub absegnen, den doppelten Schutt der Baathisten und der Besatzung wegräumen? Nein. Dem völkerrechtswidrigen Krieg kann keine Putzkolonne ein nachträgliches Alibi geben.


Quelle: Frankfurter Rundschau vom 28.08.2003. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht am

01. September 2003

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