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Der Krieg im Irak ist noch lange nicht vorbei und schon kommt Syrien ins amerikanische Fadenkreuz

Rede von Michael Schmid bei der Protestversammlung am 14.04.2003 in Gammertingen

In der Öffentlichkeit, durch die Medien, wird der Eindruck erweckt, dass der Krieg im Irak bald erfolgreich abgeschlossen sein wird, zumindest militärisch. Die Berichterstattung wird wieder zurückgefahren und schon wird gefragt, ob die Ablehnung des Krieges nicht doch falsch gewesen sei.

Der Krieg im Irak ist aber noch nicht vorbei, die Waffen schweigen nicht. Schon deshalb ist es viel zu früh, diesen verbrecherischen Krieg zu bilanzieren.

Natürlich gibt es Grund, sich über den Sturz der grausamen Saddam-Diktatur zu freuen. Aber das rechtfertigt nicht die Mittel, mit denen dies geschah und geschieht. Ein Verbrechen wird nicht dadurch geringer, dass es bei der Durchsetzung eines Teilziels erfolgreich war. Ein Völkerrechtsbruch wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass er gelingt. Und die Lügen zur Rechtfertigung des Krieges werden nicht im Nachhinein zur Wahrheit.

Die Opfer des Krieges werden auch nicht durch den militärischen Sieg Washingtons nun nachträglich doch gerechtfertigt. Selbst wenn jetzt vielfach Siegesstimmung verbreitet wird, so ist es also noch lange kein “Sieg”, sich militärisch durchzusetzen, mit überlegener Militärmacht Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, Menschen zu verstümmeln, verbrennen, zerfetzen und zu ermorden.

Der englische Journalist Robert Fisk beschreibt den Krieg aus der Opferperspektive, bei dem das grausame Gesicht dieses Verbrechens jenseits militärischer Triumphmeldungen sichtbar wird. Ein kleiner Auszug eines Berichtes von Robert Fisk, der in ZNet am 11.04.2003 mit dem Titel: “Der letzte Beweis: Krieg ist das Ende der Menschlichkeit” veröffentlicht wurde:

“Ein Hospital voller schreiender Verletzter, Klinikflure, überströmt mit Blut. Ich trat in das Zeug, es blieb an meinen Schuhen kleben. Es hing an den Kleidern sämtlicher Ärzte dieser überfüllten Notfallambulanz. Es überschwemmte die Durchgänge, die Decken, die Laken. Die dunkle Seite von Sieg und Niederlage - es sind diese irakischen Zivilisten und Soldaten, die man gestern hier ins Adnan-Khairallah-Märtyrer-Hospital eingeliefert hat, in den letzten Stunden von Saddam Husseins Regime; manche hielten sogar noch ihre abgetrennten Gliedmaßen in Händen. Sie und die Toten, die binnen Stunden beerdigt wurden, sind der finale Beweis, dass Krieg das totale Versagen des menschlichen Geistes bedeutet. Als ich zwischen den Betten hindurchging, zwischen all den stöhnenden Frauen und Männern, die dort lagen, stellte ich mir erneut dieselben alten Fragen. Geschieht das alles wegen 11. September? Wegen der Massenvernichtungswaffen? Oder etwa im Namen der Menschenrechte?”

Ich höre hier auf, weiter aus dem Bericht von Robert Fisk zu zitieren. Was er beschreibt, ist nur schwer erträglich. Aber es ist wichtig, sich mit dieser Opferperspektive zu konfrontieren.

Diese Invasion hat bereits zigtausende von Opfern gefordert. Über diese Schrecken können keine Siegesposen und kann keine Erleichterung über das Ende der Despotie Saddam Husseins hinwegtäuschen.

Der Irak ist im Begriff, für lange Zeit eine amerikanische Kolonie zu werden. Die USA haben im Stile einer klassischen Kolonialmacht eine schwache Nation angegriffen, ein Land erobert und wollen nun dessen Ressourcen plündern. Recht und Moral gilt offenbar nicht. Wer die Macht hat, hat das Recht.

Ich möchte hierzu den israelischen Friedensaktivisten Uri Avnery zu Wort kommen lassen. Er sagt: “Die Waffen stammen aus dem 21. Jahrhundert, sie dienen aber Zielen des 19. Jahrhunderts. Der fadenscheinige Vorwand stammt aus dem alten kolonialistischen Phrasenbuch. Ein Land wird erobert, um die Eingeborenen von ihrem grausamen Tyrannen zu ‘befreien’. Ihre Ressourcen werden gestohlen, um ihren Lebensstandard zu verbessern, ihren Kindern eine (elementare) Schulbildung zu geben, eine Kolonialverwaltung aufrecht zu halten, die sie Demokratie lehrt. Es ist auch eine göttliche Mission. Die Missionare kommen immer mit der Armee, und manchmal kamen diese schon vorher. Kreuz und Kanone, Religion und Unterdrückung, Kirche und Ressourcenraub gehen sehr gut zusammen.”

Avnery weiter: “Die Siegesfreude Amerikas, Englands und Israels ist ziemlich fehl am Platze. Die einzige Supermacht der Welt hat ein kleines Land mit einer Bevölkerung von 26 Millionen angegriffen, die auf Grund der Sanktionen seit Jahren an Hungersnot leidet. Eine mächtige und gut ernährte Armee, die mit den raffiniertesten Waffen, die die Welt je gesehen hat, ausgerüstet ist, steht einer Armee gegenüber, die, noch bevor der Kampf begann, weitgehend entwaffnet worden war. Die mächtigen Luftstreitkräfte, die den Himmel ohne Gegner kontrollieren, wurden gegen ein Land ausgesandt, dessen Luftverteidigung in den Jahren zuvor bombardiert worden war. In einem modernen Krieg ist die Kontrolle der Luft ein entscheidender Faktor. (?) Vom ersten Augenblick an konnte kein irakischer Panzer ohne Deckung erscheinen - er wurde sofort aus der Luft zerstört. Keine Division und keine Kompanie konnte eine Position einnehmen oder sich gar bewegen, ohne dass Raketen und Bomben sie zu Staub zermalmt hätten. Ein professioneller Jäger schießt nicht auf eine sitzende Ente. (?) Dass die Irakis 21 Tage durchgehalten haben, ist an sich schon eine Leistung.”

Wie wird die Sache nun weitergehen? Eines scheint sicher zu sein: die Amerikaner eroberten den Irak nicht, um ihn bald wieder zu verlassen. Sie beabsichtigen, lange Zeit dort zu bleiben, selbst wenn es ihnen gelänge, eine Marionettenregierung einzusetzen. Sie kamen, um die Ölquellen und die arabische Region zu kontrollieren, und zu diesem Zweck werden sie bleiben.
Und was sagt das alles bezüglich des angeblichen Kampfes gegen den Terror?

Noch ein letztes Mal Uri Avnery: “Um vorauszusehen, was kommen wird, frage ich mich, was würde ich gedacht und gefühlt haben, wenn ich ein Araber gewesen wäre. Wenn ich z.B. Ahmad, ein junger arabischer Student der Kairoer Universität, wäre, was würde ich in diesem Augenblick fühlen? Zunächst einmal Demütigung. Wieder hat sich ein großartiger arabischer Held als Zinnsoldat erwiesen, der den Mund voll nahm und beim ersten Test versagte. Wieder einmal hat eine arabische Armee fast ohne Kampf aufgegeben. (?) Über der Demütigung auf dem Schlachtfeld, auch die Demütigung auf politischem Terrain. Ein fremder Eroberer marschiert mitten ins Zentrum der arabischen Welt, übernimmt die Kontrolle ihrer Ressourcen - und die große arabische Nation ist wie gelähmt, unfähig zu reagieren. Ihre feigen Führer kleben an ihren Sesseln und nehmen vom Besatzer Almosen an. Wer wird uns helfen? Es gibt keine nationalistische arabische Bewegung, die in der Lage wäre, den Millionen junger Leute von Casablanca bis Kuwait City eine Lösung anzubieten. Kein neuer Nasser begeistert ihre Phantasie. Aber da gibt es eine religiöse muslimische Bewegung, die Trost, Antworten, Identität und Selbstrespekt anbietet. Sie bietet auch eine Waffe an, um den Eroberer hinauszujagen, und die den Westen zwingt, auf die arabischen Wünsche aufzumerken: Terrorismus. Saddam hat niemals Terrorismus angewendet. Nichts außerhalb vom Irak interessierte ihn, es sei denn, sein Territorium zu vergrößern. Er war völlig mit dem Überlebenskampf beschäftigt. Der amerikanische Vorwand, den Irak anzugreifen, um den Terrorismus vernichtend zu schlagen, war eine eklatante und wohl überlegte Lüge. Und jetzt - denkt Ahmad - nachdem die letzte arabische Armee ihre Ohnmacht gegenüber der amerikanischen Macht gezeigt hat, bleibt nur noch die Alternative eines Guerillakrieges und Terrorattacken.”

Der Krieg im Irak ist noch lange nicht vorbei, noch ist absehbar, wann er wirklich endet. Wahrscheinlich ist, dass er noch sehr viele Menschen das Leben kosten wird: Zivilisten, Soldaten, Journalisten und Wiederaufbauhelfer, vielleicht - auf Seiten der westlichen Truppen - sogar mehr als bislang gestorben sind.

Und wenn es nach George W. Bush und seine neokonservativen Berater geht, dann wird es noch auf lange Jahre Krieg geben. Denn nach deren Konzeption ist der weltweite Krieg gegen alles und jeden, den die Bush-Regierung als “böse” einordnet, noch lange nicht zu Ende. Im Gegenteil, der jetzige sogenannte “vorbeugende Krieg” wird Schule machen. Der Krieg gegen Irak wird als erfolgreicher Präzedenzfall angesehen. Einer Wiederholung steht nichts im Wege.

In den letzten Tagen haben Bush, Rumsfeld, Powell und Wolfowitz kaum verdeckte Drohungen gegen Syrien ausgestoßen. Mit den gleichen Formulierungen wird nun Syrien bedroht, die bis vor kurzem für den Irak reserviert waren. Dabei handelt es sich bei Syrien noch nicht einmal um ein Land, das Präsident Bush im Januar 2002 in seine “Achse des Bösen” eingereiht hatte. Diese “Achse des Bösen” umfasst Irak - Iran - Nordkorea.

Nachdem die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen im Irak nicht gefunden wurden, lässt sich z.B. behaupten, diese seien sicherlich nach Syrien gebracht worden und würden dort versteckt. Menschenrechtsverletzungen lassen sich dort auch feststellen. Und Führungsmitglieder des Saddam-Regimes sollen dorthin geflüchtet sein. Gründe genug für die Bush-Regierung für die nächste Invasion.

Die Bundesregierung hat sich gegen die Invasion in den Irak ausgesprochen. Das ist etwas. Aber es ist nicht genug. Denn die Bundesregierung hat die US-Streitkräften unterstützt, wo es Washington nur gewünscht hat. Und die Bundesregierung hat den Krieg nicht als völkerrechtswidrigen Angriff verurteilt. Die amerikanische Regierung kann also darauf vertrauen, dass Schröder und Co. wieder zahm kuschen werden, wenn der nächste Krieg ansteht.

Diese amerikanischen Politik der Stärke, die aggressive Angriffskriege führt, wo immer ihr dies nützlich für ihre Interessendurchsetzung erscheint, braucht also ein starkes Gegengewicht: es braucht die große Mehrheit der Völkergemeinschaft, es braucht eine starke UNO und besonders eine Europäische Gemeinschaft, die ihren eindeutigen Einspruch erhebt, jegliche Unterstützung dieser Kriegspolitik strikt unterlässt und die ihre Alternativen verdeutlicht.

Weil dies alles nicht von alleine kommen wird, ist die Friedensbewegung noch längst nicht fertig mit ihrem Engagement. Sie muss in längeren Zeiträumen denken und handeln. Bush und seine Mitkrieger tun dies auch. Es bleibt noch viel für uns zu tun, damit eines Tages das Morden in Kriegen ein Ende nimmt sowie sich Demokratie, Frieden und Gerechtigkeit wirklich entwickeln können.

Veröffentlicht am

14. April 2003

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