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Weißer Phosphor ist höllisch

Kriegsverbrechen im Irak: Brandbomben und andere Abscheulichkeiten während der Schlacht um Falludscha vor einem Jahr

Von Konrad Ege

Bei der Debatte um den Irak-Krieg trennt nach wie vor ein tiefer Graben die USA von Europa. Aber auch in den Vereinigten Staaten selbst wächst die Kritik. Umfragen zeigen es, Vertreter der politischen Elite melden sich immer häufiger zu Wort. Sie kritisieren, wie Präsident George W. Bush Krieg führt gegen die Terroristen im Irak und im Rest der Welt. Es fällt sogar das Wort “Truppenabzug”.

“Der Einsatz von Phosphor (im Irak - die Red.) hat in den europäischen Medien für Entrüstung gesorgt … aber in den USA fast keinerlei Aufmerksamkeit erregt.” So stand es in der Washington Post. Phosphorbomben erscheinen eben nicht außerordentlich in diesem Krieg, in dem wieder einmal Wohnorte zerstört werden, um sie zu retten - in dem US-Streitkräfte nicht gegen einen Feind ankommen, der selber Zivilpersonen massakriert, in dem der Vizepräsident der USA Folter rechtfertigt und der Präsident trotz widersprechender Faktenlage versichert, die USA folterten nicht. Dass vom US-Außenministerium und vom Pentagon Presseberichte über Phosphor beim Angriff auf die Stadt Falludscha vor genau einem Jahr erst geleugnet wurden, erscheint eher normal im Kontext der gegenwärtigen Informationspolitik der Regierung. Es ist Krieg mit all den Abscheulichkeiten, die ein Krieg mit sich bringt.

Weißer Phosphor ist höllisch. Kommt er mit Sauerstoff in Kontakt, brennt er und entwickelt Temperaturen von mehr als 1.000 Grad. Brennender Phosphor ist nicht mit Wasser zu löschen. Ausgerechnet Silvio Berlusconis Fernsehsender RAI ist es offenkundig zu verdanken, dass die Bilder über die Wirkungen des Phosphor- und Brandbomben-Einsatzes in Falludscha an die Öffentlichkeit kamen. Die Regierung Bush dementierte; man habe Phosphor nur benutzt, um nächtliche Kampfszenen zu beleuchten oder Rauchsignale zu setzen. Diese Beteuerung war schnell entlarvt, als findige Journalisten auf einen Beitrag im Armeemagazin Field Artillery aufmerksam machten, in dem Veteranen der Schlacht von Falludscha den Gebrauch von Phosphormunition in den Gefechten mit den Aufständischen beschrieben. Die Brandmunition, hieß es dort, habe den Feind aus seiner Deckung heraustreiben und zum Abschuss freigeben sollen. Diese Munition sei “effektiv und sehr anpassungsfähig”.

Der Einsatz der international geächteten (wenn auch nicht grundsätzlich verbotenen) Phosphorwaffen bringt wohl auch zu Tage, wie schwer es den rund 150.000 US-Soldaten und Soldatinnen im Irak fällt, den Widerstand unter Kontrolle zu bringen. Auf dieses Versagen konzentriert sich die wachsende Kritik in den USA: Bushs Strategie funktioniere nicht. Die Regierung habe beim Krieg “große Fehler gemacht”, sagte Ex-Präsident Bill Clinton. Der Senat stimmte mit 79 zu 19 für eine Resolution, dass 2006 das Jahr sei, in dem der “Übergang zur vollen irakischen Souveränität” stattfinden solle, das heißt, die US-Präsenz reduziert werden müsse.

Senator John Kerry sprach sich für einen graduellen Abzugsplan aus. Eine radikale Schlussfolgerung zog der Kongressabgeordnete John Murtha, vielfach ausgezeichneter Vietnamkriegs-Veteran und superloyaler Freund des Militärs: Es sei klar geworden, dass die Präsenz der US-Armee im Irak “den Feind gegen uns vereint”, sagte Murtha. Die US-Soldaten sollten daher dieses Land innerhalb eines halben Jahres verlassen. Murtha kamen die Tränen, als er von seinen Besuchen bei verwundeten Soldaten sprach.

Die Republikaner reagierten mit üblen Beschimpfungen auf diese vermeintliche Nestbeschmutzung ehemaliger Kriegsbefürworter. Nur ein Feigling renne davon. Bush - gerade auf Besuch in Südkorea, bevor er nach China weiter flog - geißelte den Vorschlag als “Rezept für ein Desaster”. (Derweil setzten die Südkoreaner einen Termin für den Teilabzug ihrer Truppen aus dem Irak.)

Es ist etwas in Bewegung geraten in Washington, trotz Bushs und Rumsfelds Durchhalteparolen. Alles dreht sich um die Frage: Wie kommen wir da wieder raus? Der Krieg gegen den Terrorismus und im Irak (nach Ansicht Bushs ein und dasselbe) hat Auswirkungen auf die USA selbst, die manchen Politikern Sorgen bereiten. Ein sich ausbreitender Überwachungsstaat geht auch vielen Konservativen zu weit. Realisten fürchten um Machtverluste der mächtigsten Nation der Welt. Die vermeintliche moralische Autorität ist längst verblasst, wenn etwa US-Regierungsvertreter das irakische Innenministerium kritisieren, in dessen Geheimgefängnissen Menschen misshandelt werden. “Ich schäme mich, dass die USA einen Vizepräsidenten für Folter haben”, sagte kürzlich Ex-CIA-Chef Stansfield Turner in einem britischen Fernsehinterview.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 47 vom 26.11.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und Verlag.

Veröffentlicht am

26. November 2005

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