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“Warum musste mein Sohn im Irak sterben?”

Neuer Aufschwung der Antikriegsbewegung in USA durch Cindy Sheehans Protest vor Urlaubs-Ranch von Bush

Von Michael Schmid

In den USA geschieht derzeit Erstaunliches. Am 6. August begann die 48-jährige Cindy Sheehan eine Mahnwache vor Bushs Ranch in der Nähe von Crawford (Texas), in welcher der US-Präsident gerade Urlaub macht. In einem Zelt harrt sie am Rand der Straße zum Bush-Anwesen aus. Die Kalifornierin, die im vergangenen Jahr ihren 24-jährigen Sohn Casey im Irakkrieg verloren hat, fordert ein direktes Gespräch mit Bush, in dem sie diesen zur Verantwortung ziehen möchte. Sie will vom Präsidenten eine Antwort auf die einfache Frage: “Warum musste mein Sohn im Irak sterben?” Nach Hause zurückkehren will sie erst dann, wenn Bush sich ihrer Frage stellt.

Weil Cindy Sheehan aber klar ist, dass der Präsident ihr den angeblich “guten Zweck” ohnehin nicht erklären kann, will sie nie mehr aus dem Mund des Präsidenten hören, dass ihr Sohn und die anderen Hunderte von US-Soldaten für einen solchen gestorben seien, “denn diesen guten Zweck gibt es nicht.” Sie verlangt vom Präsidenten auch, “nicht länger den Namen meines Sohnes zu benutzen, um den Krieg zu rechtfertigen.” Damit das Sterben im Irak ein Ende hat, fordert Cindy den Abzug der amerikanischen Truppen aus diesem Krieg.

Bush hat mehrfach “Verständnis” für die Haltung der Mutter geäußert, aber eine direkte Begegnung strikt abgelehnt. Er wünsche sich, sein “Leben weiterzuleben, ein ausgeglichenes Leben zu führen” - die unmittelbare Begegnung mit trauernden Müttern passt dazu für den Präsidenten nicht. Offensichtlich will der Präsident öffentliche Auftritte mit Hinterbliebenen der Soldaten so weit wie möglich auch vermeiden, weil er fürchtet, es könnte zu viel Aufmerksamkeit auf den steigenden Blutzoll im Irak gelenkt werden. Immerhin sind dort seit Kriegsbeginn weit mehr als 1.800 US-Soldaten ums Leben gekommen.

Konfrontation: Mittel einer gewaltfreien Aktion

Cindy Sheehan wendet ein Mittel an, das Martin Luther King einst als notwendigen Bestandteil jeder effektiven gewaltfreien Aktion bezeichnet hat: “Konfrontation” - um das “Unsichtbare sichtbar zu machen”. King war der Meinung, wer gewaltfrei Widerstand leiste, solle “seinen Unterdrücker zwingen, die Brutalitäten vor aller Augen, bei Tageslicht zu begehen - und alle Welt würde zusehen.” Sinn solcher Konfrontationen sei es, so King, “die Kluft zwischen Versprechen und Umsetzung drastisch zu verdeutlichen… das Unsichtbare sichtbar zu machen”.

Mit einer gewaltfreien Aktion, so King weiter, solle eine solch angespannte Atmosphäre geschaffen werden, dass sich die Gegenseite, “die sich bislang geweigert hatte zu verhandeln, genötigt sieht, sich mit unseren Forderungen auseinanderzusetzen. Sie versucht den Konflikt so dramatisch deutlich zu machen, dass man ihn nicht länger zu ignorieren vermag.”

Cindy Sheehan greift auf eine solche konfrontative Strategie der Gewaltlosigkeit zurück, indem sie sich am helllichten Tag vor die Ranch des urlaubenden US-Präsidenten stellt und diesen mit den gefallen amerikanischen Soldaten und mit den toten Irakern konfrontiert. Damit erzeugt sie Spannung. Cindy Sheehan zeigt sich zuversichtlich: “Wir werden den Präsidenten dazu zwingen, uns zu antworten”. Und wenn die Präsidentenantwort ausbleibt - vor den Augen der Welt - sagt das natürlich ebenso viel aus.

Aufmerksamkeit und Solidarität für Cindy Sheehan

Der Protest dieser mutigen Frau schlägt seit Wochen hohe Wellen bis in die abgelegensten Ortschaften der USA hinein. Mehr als die Hälfte aller Amerikaner verfolgt laut einer aktuellen Umfrage aufmerksam das Geschehen vor Bushs Ranch. Gleichzeitig bringt Cindy Sheehan viele Menschen dazu, sich mit ihr zu solidarisieren. Weitere Angehörige der im Irak geopferten Soldaten sind nach Texas gereist, um an einem heißen, ausgedörrten Straßenrain Mahnwache zu halten. Inzwischen schaut die amerikanische Nation zu - und Menschen in aller Welt - wie Bushs Fahrzeugkolonne an Cindy Sheehan und den anderen Angehörigen vorbeirast und diese buchstäblich in einer Staubwolke zurücklässt. Jetzt sehen viele, was ihnen bisher noch verborgen geblieben ist: Bush ist arrogant. Er legt eine weithin nicht nachvollziehbare Coolness gegenüber den Opfern der eigenen Politik an den Tag. Dies wird nun sichtbar.

Nach rund 10 Tagen hatten sich rund 100 Menschen in Cindy Sheehans Lager vor der Bush-Ranch versammelt, um mit ihr gemeinsam zu demonstrieren. Und als sie für den 17. August zur landesweiten Mahnwache aufgerufen hatte, da haben sich mehr als 60.000 BürgerInnen in allen 50 Bundesstaaten der USA an einer der von mehreren Menschenrechtsgruppen organisierten 1.627 nächtlichen Mahnwachen beteiligt. Sie standen auch vor der Ranch des US-Präsidenten in Texas und vor dem Weißen Haus in Washington. Die Menschen zündeten Kerzen an, hielten Blumen in den Händen und sangen Friedenslieder.

Cindy Sheehan steht als trauernde Mutter eines geopferten Soldaten in den Augen vieler Sympathisanten für den Protest gegen Bushs Irak-Politik. Seitdem sie mit ihrer Mahnwache vor der Bush-Ranch begonnen hat, ist sie zu einer neuen Symbolfigur der Anti-Kriegs-Bewegung in den USA geworden. Verschiedentlich wird sie deshalb bereits “das neue Gesicht gegen den Krieg im Irak” genannt.

Zwar musste Cindy Sheehan jetzt ihre weltweit Aufsehen erregende Demonstration unterbrechen, weil ihre eigene Mutter einen Schlaganfall erlitt. Sie werde so rasch wie möglich zurückkehren, und der Protest werde weitergehen, versprach Cindy Sheehan vor ihrer Abreise. Aber der Protest gegen den Irakkrieg geht auch ohne sie weiter. So erklären etwa große Friedensorganisationen, Cindy Sheehan habe mit ihrer mutigen Mahnwache im Monat August die Augen der Welt auf Crawford in Texas gelenkt, nun sollen sich im Monat September die Augen der Welt auf Washington DC, San Francisco und Los Angeles richten, wenn dort am 24. September Hunderttausende gegen den Krieg demonstrieren werden. 1

Bush unter Druck

Inzwischen kommt US-Präsident George W. Bush unter zunehmenden Druck, die Truppen aus dem Irak abzuziehen. Cindy Sheehan hat mit ihrem mutigen Protest und der damit verbundenen nachhaltigen Medienaufmerksamkeit die Bush-Krieger zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt erwischt. Denn die Zustimmung für die Irak-Politik des amerikanischen Präsidenten war nach jüngsten Umfragen auf ein Rekordtief gefallen. Weniger als 40 Prozent der US-AmerikanerInnen bejahen diese.

Jetzt fordert auch der demokratische Senator Russ Feingold ein Datum für ein Ende des Militäreinsatzes. Bis zum 31. Dezember 2006 müssten alle US-Truppen aus dem Irak abgezogen werden, forderte der Senator in Milwaukee. Und Feingold ist kein Nobody, er gilt als aussichtsreicher Kandidat der Demokraten für die Präsidentschaftswahlen 2008.

Insgesamt zeigen die Reaktionen auf den von Cindy Sheehan begonnenen Protest, dass die öffentliche Meinung in den USA in Bewegung geraten ist, obwohl die führenden US-Medien lange Zeit die Irak-Politik kaum substantiell kritisiert haben.

Cindy Sheehan zeigt: Einzelne Menschen können etwas bewirken

Cindy Sheehan macht deutlich, dass es nicht immer erst ganz vieler Menschen bedarf, um überhaupt handeln zu können. Einzelne Menschen, die den Mut haben, sich mit bestehendem Unrecht nicht einfach abzufinden, können etwas in Bewegung setzen. Sie können möglicherweise sogar mit ihrer gewaltfreien Aktion sehr effektiv sein, wenn sie “auf Situationen setzen, die die Mächtigen - mittels gewaltloser Konfrontation und Provokation - dazu zwingen, ihre Verbrechen im grellen Tageslicht zu begehen, mit der Nation in der ersten Reihe und dem Rest der Welt als Zeugen”, meint der amerikanische Wissenschaftler und Aktivist Jerry Fresia. 2

Diese Effektivität gewaltfreier Aktionen lässt sich aber nicht einfach programmieren. Sie hängt selbstverständlich von den jeweiligen Rahmenbedingungen ab, unter denen die Aktionen stattfinden. Aber wusste Cindy Sheehan denn im Voraus, was sich aus ihrer einsamen Mahnwache vor der Präsidenten-Ranch entwickeln würde? Und weiß sie, was daraus noch werden wird? War es etwa Rosa Parks klar, dass sich ein über einjähriger Busboykott in Montgomery und ein gewaltfreier Aufstand gegen die Rassentrennung unter Führung von Martin Luther King anschließen würde, als sie sich vor 50 Jahren weigerte, ihren Platz im Bus für einen Weißen freizumachen?

Oft sind es einfach Entschlossenheit und Mut einzelner Menschen, die gewaltfrei handeln, ohne dass der Erfolg bereits feststeht. Wo Gewaltfreiheit praktiziert wird, hat dies immer Folgen. Und manches Mal werden durch das gewaltfreie Handeln Einzelner andere Menschen so stark inspiriert und mitgerissen, dass eine große Veränderungskraft daraus entstehen kann. Das hat uns Gandhi in der Indischen Revolution gezeigt, Martin Luther King mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und Erzbischof Tutu im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika.

Anmerkungen:

1 Siehe Websites von VoteNoWar.org ; A.N.S.W.E.R. ; united for peace & justice ; Not in Our Name

2 Jerry Fresia: Cindy Sheehans Taktik

Dieser Artikel wurde am 22.08.2005 verfasst. Der aktuelle Verlauf von Cindys Mahnwache etc. lässt sich teilweise in den nachfolgend aufgeführten Websites nachverfolgen.

Weblinks:

Veröffentlicht am

31. August 2005

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