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Al Qaeda liefert vielen Gruppen Ideen

Eine “Geheimorganisation Al Qaeda in Europa” hat sich der Attentate in London bezichtigt und “alle anderen Kreuzzugsregierungen” gewarnt. Nach Ansicht von Beobachtern gibt es keine zentralisierte Kommandostruktur des Terrornetzwerkes. Die britischen Behörden müssten über die Existenz von “Al-Qaeda-Schläfergruppen” in Britannien informiert gewesen sein, glaubt ein Experte. Innenminister Charles Clarke nimmt das Bekennerschreiben für die Anschläge vom Donnerstag ernst. Zwei Kurzanalysen von Karl Grobe.

Al Qaeda liefert vielen Gruppen Ideen

Von Karl Grobe

Seit der Verhaftung des pakistanischen Computerfachmanns Mohammed Naeem Noor Khan vor zehn Monaten seien einige “Verantwortliche der Al Qaeda” namentlich bekannt, schreibt der indische Terrorismusforscher Raman in Asia Times online. Etwa 70 radikale Islamisten, meist Pakistani, hätten sich seitdem in Irak “der lokalen Al-Qaeda-Einheit unter Abu Mussab al-Sarkawi” angeschlossen. Das Bekennerschreiben der “Geheimorganisation Al Qaeda in Europa” weise auf den Zusammenhang mit der britischen Politik in Irak hin, müsse aber noch auf seine Echtheit geprüft werden, meint Raman. Der britische Innenminister Clarke nimmt das Schreiben ernst; ob die Anschläge eine Vergeltung für Londons Beteiligung am Irak-Krieg seien, müsse aber noch geprüft werden.

Der Londoner Observer hatte vor drei Wochen über die “Reaktivierung von Schläferzellen” in Europa berichtet und ein differenziertes Bild entworfen. Eine erste Gruppe von möglichen “Terrorismus-Führern” habe in den 90er Jahren Erfahrungen in Afghanistan gewonnen und sei dann nach Europa zurückgekehrt. Eine zweite Gruppe könne aus “Rekruten” bestehen, die durch die Politik der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan und Irak motiviert seien. In den muslimischen Gemeinden vor allem in Großbritannien seien sie untergetaucht.

Ein Sprecher der gewaltfreien, aber radikalen Bewegung Mira, die die Überwindung der saudiarabischen Monarchie anstrebt, wies kürzlich auf die Rekrutierung von Kämpfern in Saudi-Arabien hin. Diese gingen nach Irak, hätten dort die Möglichkeit zur Ausbildung im realen Kampf und kehrten dann in ihr Heimatland zurück. Die dortigen Behörden hätten Erfolge bei der Terrorbekämpfung, doch das Aufgebot von 30 000 Soldaten gegen 18 isolierte Terroristen bei eine Aktion im Frühjahr zeige auch die Grenzen ihrer Fähigkeiten.

“Markenzeichen” für lose Trupps

In einem sind sich die meisten Beobachter einig: Die einzelnen Terrorgruppen sind in den verschiedenen europäischen Staaten unabhängig entstanden und operieren auch unabhängig voneinander. Der Observer sprach von 21 Gruppen, von denen viele mit rund 60 nordafrikanischen Gruppen Kontakt hätten - das Gros der von ihnen ansprechbaren Personen stamme aus Algerien, Marokko und Tunis.

Eine zentralisierte Kommandostruktur von Al Qaeda gibt es nach Ansicht der meisten Beobachter nicht. Die in London erscheinende arabische Zeitung Al-Schark al-Awsat meldete allerdings Anfang der Woche, die bisher völlig unabhängig operierende algerische “Salafistische Gruppe für Gebet und Kampf” habe eine Allianz mit den in Irak tätigen Anhängern Abu Musab al-Sarkawis geschlossen, die sich für die Ermordung des designierten ägyptischen Botschafters in Bagdad veranwortlich erklärte.

Der Jordanier Sarkawi wird für die meisten Terrorakte in Irak verantwortlich gemacht. Seine Spuren sind jedoch undeutlich, so dass Asia Times online ihn dieser Tage beinahe für ein Phantom hielt. Irak dürfte aber zu einem Zentrum für eine Reihe terroristischer Organisationen geworden sein, die unter dem Namen “Al Qaeda” auftreten.

Die aus einem afghanischen Stützpunkt Osama bin Ladens während des Krieges gegen die Sowjetunion abgeleitete Bezeichnung, die übersetzt “Basis” bedeutet, ist nach dieser Einschätzung zu einer Art Markenzeichen und zum Ideenlieferanten verschiedenartiger Gruppen geworden, die außer dem Namen nur die Gegnerschaft gegen die USA gemeinsam haben.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 09.07.2005. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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Bekenntnis aus dem Terror-Netzwerk

Von Karl Grobe

Das Bekennerschreiben: Großbritannien sei “im Norden, im Süden, im Westen und im Osten erschüttert”, nachdem “die heldenhaften Mudschaheddin heute einen Angriff in London durchgeführt” haben, heißt es in einem Text der - vermeintlichen - Täter von London. Die britische Regierung und das britische Volk seien häufig “gewarnt” worden, “wir haben unser Versprechen gehalten und eine gesegnete militärische Operation durchgeführt”. Die “Regierungen Dänemarks und Italiens und alle anderen Kreuzzugsregierungen” seien gewarnt, zitiert Spiegel online.

Der Absender: Die “Geheimorganisation Al Qaeda in Europa” ist bisher unter diesem Namen nicht bekannt. “Al Qaeda” ist kein Eigenname, das Wort hat viele Bedeutungen, die von “Grundsatz” über “Basis(lager)” bis “theoretisches Fundament” reichen. Der Schluss, eine zentral geleitete Organisation sei Urheber der Londoner Terroranschläge, ist nicht zwingend. Auch die Vermutung, Personen wie Osama bin Laden oder Abu Mussab al-Sarkawi seien unmittelbare Auftraggeber, ist reine Spekulation.

Die Quelle: Die Internet-Seite, auf der das Schreiben zuerst veröffentlicht wurde, ist ein islamistisches Forum. Laut Spiegel online sind dort viele echte Bekennerschreiben veröffentlicht worden, aber auch unechte. Laut der Nachrichtenagentur AP wurde diese Webseite kurz nach der Veröffentlichung “vom Netz genommen”.

Al Qaeda: Eine zentral gelenkte Organisation des Terrorismus mit angeblich islamistischen Motiven besteht spätestens seit der Besetzung Afghanistans nicht mehr, wenn es sie in dieser vermuteten Form überhaupt gegeben haben sollte. Der letzte Beweis, dass von dort aus die Terrorakte vom 11. September 2001 in New York und Washington direkt angeleitet worden seien, konnte noch nicht erbracht werden. Die Methoden terroristischer Anschläge stammen jedoch zweifellos von dort. Sie sind von einer Vielzahl unabhängig operierender Gruppen übernommen worden, die sich gelegentlich auf Al Qaeda berufen. Unter Spezialisten für die Analyse und Bekämpfung des Terrors ist die Ansicht verbreitet, diese Gruppen gingen nach Art von Franchising-Unternehmen vor.

Die Vorgehensweise: Zahlreiche Experten vergleichen die Londoner Anschläge mit denen von Madrid am 11. März 2004. Die Koordination mehrerer gleichzeitiger Explosionen in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Hauptverkehrszeit entspreche dem “modus operandi” der Gruppe, die für die Madrider Anschläge verantwortlich gemacht wird. Im Verfahren gegen diese Gruppe wurde die Beweisaufnahme soeben abgeschlossen. Ein Urteil wird für den September erwartet. Die Anklagebehörde verlangt insgesamt 74 000 Jahre Haft für die 24 Angeklagten.

Der Zeitpunkt: Ein Zusammenhang mit der Vergabe der Olympischen Spiele 2012 nach London kann angesichts der offenbar langfristigen Vorbereitung der Anschläge ausgeschlossen werden. Ein Zusammentreffen mit der Eröffnung des G8-Gipfels im schottischen Gleneagles dürfte hingegen beabsichtigt sein.

Der Ort: In London wurde der größte mögliche Effekt erreicht - öffentliche Aufmerksamkeit, Verunsicherung, Nachweis der Verwundbarkeit großer Städte. Ein Attentat auf den Tagungsort der G8 war angesichts der scharfen Sicherheitsmaßnahmen kaum denkbar.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 08.07.2005. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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Veröffentlicht am

09. Juli 2005

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