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Gelungen: Wahl in Irak

Wir veröffentlichen im Folgenden zwei Kommentare von Karl Grobe zur Wahl in Irak

Gelungen: Wahl in Irak

Von Karl Grobe

In einer Hinsicht ist das irakische Wahl-Experiment gelungen: Es hat stattgefunden. Doch die Wahlen waren weder frei noch fair noch demokratisch. Nicht frei, weil sie unter den Bedingungen des Ausnahmezustands und der Gewaltdrohung des Widerstands stattfanden. Nicht fair, weil die von der Besatzungsmacht handverlesenen Kandidaten nahezu ein Monopol auf die TV-Berichterstattung hatten. Nicht demokratisch, weil die Namen der meisten Bewerber den Wählern bis zuletzt verschwiegen wurden.

Den Mindestanforderungen, die internationale Beobachter für Neu-Demokratien aufgestellt haben, genügte der irakische Vorgang in keiner Weise. Für die Legitimierung der Besatzungs- und Transformationspolitik mögen sie knapp ausreichen; denn sie verletzten nicht die Interessen der Besatzungsmächte und der von ihnen bestallten Politiker. Nur insofern ist der Wahlgang gelungen.

Die Beteiligung lag, sofern man es schon bewerten konnte, in den kurdischen und schiitischen Gebieten höher als erwartet, erreichte aber in manchen sunnitischen Regionen kaum die Sichtbarkeitsgrenze. Die ethnischen Teilungen wurden bestätigt, so künstlich sie auch herbeigeführt worden sind. Diese Entwicklung bereitet die bittere Auseinandersetzung zwischen Bagdader und schiitischem Zentralismus gegen kurdischen dezentralistischen Föderalismus vor. Freude über das Votum der vielen Mutigen kann da nicht aufkommen.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 30.01.2005. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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Ungewissheit in Irak

Von Karl Grobe

Wahlen können Auskunft geben über den Zustand der Demokratie und die politischen Neigungen eines Volkes. Demokratie stiften können sie nicht. Sie setzen sie nämlich voraus. Die irakischen Hoffnungen, am Sonntag werde alles die Wende zum Besseren nehmen, wenn das Volk sich ausführlich an der Abstimmung beteiligen kann, sind überzogen. Nur auf den formalen Vorgang können sich Hoffnungen realistischerweise beziehen.

Rund hundert Parteien und Bündnisse stellen sich zur Wahl. Ziele und Programme der meisten sind den Wählern nicht bekannt. Die Majorität der 7 785 Kandidaten hat sich in berechtigter Angst vor Attentaten nicht zu erkennen gegeben. Die aussichtsreichsten Listen werden von Personen angeführt, denen man mit Gründen enge Kontakte mit den Geheimdiensten der Besatzungsmächte nachsagt. Von einer Verankerung der Parteien in der Gesellschaft kann kaum die Rede sein; die kurdischen Organisationen und einige im Politiker-Ornat antretende religiöse Gruppen sind wohl die einzige Ausnahme.

Zugleich nennen hohe Offiziere der Besatzungsmacht vier der fast 30 Provinzen so unsicher, dass dort eigentlich nicht gewählt werden kann und vielleicht auch nicht wird. Eine Zahl ist hinzuzufügen: In diesen vier Provinzen lebt fast die Hälfte aller Iraker. Sie müssen beträchtlichen Mut aufbringen, wenn sie sich entschließen, die Wahllokale aufzusuchen, deren genauer Ort überdies - aus Sicherheitsgründen - so etwas wie eine geheime Staatssache ist.

Das sind ungünstige Vorzeichen, was allein den formalen Akt betrifft. Inhaltlich ist die Wahl schwerer vorbelastet. Sie wurde von vornherein als eine Entscheidung über den künftigen Einfluss von Schiiten, Sunniten und Kurden bewertet, wobei man übersah, dass die meisten Kurden Sunniten sind, dass es auch noch andere Ethnien und Bekenntnisse in Irak gibt und dass die Aufteilung auf religiöse Richtungen überaus künstlich ist.

In den urbanen Zentren Iraks hat die Zugehörigkeit zu einer konfessionellen Großgruppe bereits seit Jahrzehnten keine besondere Rolle mehr gespielt. Saddam Hussein hat sie nach seinem Kuwait-Krieg wiederbelebt, als er begann, sich auf bestimmte tribalistische Zusammenhänge zu stützen und die Schiiten unter den Generalverdacht stellte, sie seien heimliche Agenten Teherans. Die Besatzungspolitik knüpfte hat daran an, im Gegensatz zum vorgebenen Ziel, Demokratie und Zivilgesellschaft wieder herzustellen. Saddam Husseins Machtinstrumente - die Geheimdienste und der harte Kern der Baath-Partei - begannen das Werk der gesellschaftlichen Atomisierung, die Besatzungspolitik setzte es fort und die terroristischen Gruppen ziehen größtmöglichen Nutzen daraus.

Das Auftreten mancher Besatzungssoldaten und ihrer irakischen Hilfstruppen trägt zur weiteren Destabilisierung des Landes bei. Jedes Flächenbombardement, jeder Fall von Gefangenenfolter führt den gewaltbereiten Vereinigungen neue Sympathisanten und Rekruten zu. Und da es einen nationalen Widerstand mit einigender, überzeugender, mobilisierender Programmatik schlechterdings nicht gibt, gewinnen die islamistischen Ideologen und Gewalttäter den Tag. Für Irak, den vor Jahren noch religiös tolerantesten und am deutlichsten säkularen arabischen Staat, ist das ein neues Phänomen. Es wird nach dem Wahltag nicht verschwinden.

Es dürfte, im Gegenteil, stärker werden. Die Übergangsgremien, die am Sonntag bestimmt werden, sind mit den Aufgaben des Wiederaufbaus überfordert. Jede neue Regierung wird am Tropf der bisherigen Besatzung hängen, die noch auf Jahre präsent bleiben dürfte. Keine Regierung wird sich der Ausplünderung der Ressourcen und dem Bau-Monopol von Halliburton und Co. entziehen können. Folglich behält die Seite ihre Argumente, die jeden erdenklichen Wahlsieger für nichts anderes halten wird als ein neokoloniales Instrument. Allzu weit entfernt von der Realität ist das auch nicht.

Die irakische Gesellschaft ist nachhaltig zertrümmert worden von der Baath-Diktatur, den Kriegen Saddam Husseins, den Folgen der UN-Sanktionen und zuletzt der unter der Besatzung entstandenen Situation. Der Neuaufbau ist unendlich schwierig. Er muss dennoch gewagt werden. Mangels anderer Möglichkeiten eben auch durch diese Wahl. Danach ist die internationale Mithilfe gefordert. Die “alten” Europäer, die sich mit sehr guten Gründen dem Krieg George W. Bushs widersetzt haben, können und müssen helfen; weil sie, kein Kunststück, glaubwürdiger sind als die USA und immer noch fähig zur Solidarität.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 29.01.2005. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht am

31. Januar 2005

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