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Putin setzt auf starken Staat

Der russische Präsident spricht von einer “direkten Intervention des internationalen Terrorismus”

Von Karl Grobe

“Wir haben Schwäche gezeigt, und auf den Schwachen trampelt man herum”. Um diesen Satz, so formuliert in seiner Fernsehrede, kreist das staatspolitische Denken Wladimir Putins. Dass Bewaffnete sich in einer Schule im nordossetischen Beslanan Wehrlosen, gar an Kindern vergreifen konnten, ist Inbegriff dieser Schwäche. Putin wusste, dass die chaotischen Aktionen rund um die besetzte Schule am Freitag mehr als 300 Todesopfer gefordert hatten. Er begriff, dass sein einziges verkündetes Ziel, das Leben der Kinder zu retten, grausam weit verfehlt worden war. Er war sichtlich erschüttert. Er räumte, ungewöhnlich für ihn, Fehler ein. Seine Folgerungen aber sind eine bittere Enttäuschung.

Putin griff auf die Ereignisse seit dem Zerfall der Sowjetunion zurück, “eines riesigen Staates, der sich unter den Bedingungen einer sich rasch verändernden Welt als nicht mehr lebensfähig erwies”, dennoch sei es gelungen, den Kern, die Russische Föderation, zusammenzuhalten. Auf vieles sei man aber man nicht vorbereitet gewesen, etwa auf die Probleme einer Übergangswirtschaft, die den Ansprüchen der Gesellschaft und des politischen Systems nicht genüge. Und die internen Konflikte und ethnischen Widersprüche, die “die vorherrschende Ideologie in der zurückliegenden Epoche so hart unterdrückt hat”, verschärften sich jetzt.

Als Russlands Präsident aber habe er geschworen, den Staat, seine territoriale Integrität und nicht zuletzt die russischen Bürger zu verteidigen. Darum kommt für ihn ein “Nachgeben gegenüber ihrer (der Geiselnehmer) Erpressung oder eine Panikreaktion” nicht in Frage.

Putin klammert sich weiter an seine fünf Jahre alte Strategie, mit Gewalt zu vernichten, was er als damals für tschetschenische Aufsässigkeit hielt und heute als einen Aspekt des internationalen Terrorismus ansieht. Drahtzieher vermag er nur im - muslimischen - Ausland zu erkennen. Die Indizien für eine Tatbeteiligung außertschetschenischer Banditen bläst er zum Propagandaballon auf: “Wir haben es mit einer direkten Intervention des internationalen Terrors gegen Russland zu tun, mit einem totalen, grausamen und gewaltigen Krieg”. Am Kaukasus schlägt der internationale Terrorismus zu, ist das Putinsche Fazit.

Putin räumte auch Fehler ein: “Allgemein gesprochen müssen wir zugeben, dass wir kein Verständnis für die Komplexität und die Gefahren in unserem Lande und in der Welt gezeigt haben”. Nicht hart genug sei durchgegriffen worden. Deshalb müssten die Sicherheitskräfte aufgestockt, das Krisenmanagement verbessert und die Grenzen von außen noch besser geschützt werden.

Ganz besonders aber muss, so Putin, “das Bewusstsein der Nation angesichts einer allgemeinen Gefahr” geschärft werden. Die internationale Erfahrung zeige, dass “die Terroristen” immer dann eine “angemessene Antwort” erhalten, wenn sie “einerseits auf die Macht des Staates und andererseits auf eine organisierte und vereinte Zivilgesellschaft” stoßen.

Freilich ist die Schärfung des Bewusstseins durch staatlich gelenkte Medien nicht viel anderes als Propaganda; und eine “organisierte und vereinte” Zivilgesellschaft dürfte in Putins Verständnis so beschaffen sein, dass sie auch gelinde formulierten Widerspruch nicht duldet. Putins autoritäres Verständnis von Staat und Gesellschaft ist durch das Verbrechen von Beslan nicht erschüttert worden.

Den tschetschenischen Krieg haben zwei russische Präsidenten in der Hauptsache selbst begonnen, der eine (Jelzin) aus Schwäche gegenüber bramabarsierenden Generalen, der andere (Putin) mit dem Law-and-Order-Vorsatz, aber in krasser Fehleinschätzung der regionalen Verhältnisse. Der Tschetschenien-Krieg ist unter ihrer eindimensionalen Gewaltpolitik zu einer fortgesetzten Unternehmung umgeschlagen, Terrorismus zu züchten. Die Gruppe um Präsident Aslan Maschadow, des einzigen tschetschenischen Präsidenten, dessen Wahl nicht gefälscht war, war bisher stets mehrheitsfähig und ist zu Friedensgesprächen bereit. Sie wird durch den staatlichen Terror marginalisiert. So schafft die angebliche Terrorbekämpfung die nächste Terroristengeneration selbst.

Maschadows energische Distanzierung von den jüngsten Terrorakten und seine menschlich anrührende Beileidsbekundung für die Opfer von Beslan kommen in der russischen Presse nicht vor; und die Anläufe regionaler Spitzenpolitiker, nach Beslan mit Maschadow Kontakt aufzunehmen, werden abgeblockt. Politiker aus Nordossetien und Inguschetien, den Nachbarrepubliken Tschetscheniens, hatten Fühlung mit Maschadow aufgenommen, um ihn gegebenenfalls als Vermittler einschalten zu können. Der Tschetschene lehnte mit dem Hinweis ab, “unter den gegenwärtigen Umständen” könne er leider nicht kommen.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 06.09.2004. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht am

06. September 2004

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