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Nordkorea: Ein rätselhafter Diktator

Von Karl Grobe

In Pjöngjang feiert die Partei Geburtstag - und der Diktator taucht nicht auf. Vielleicht ist Kim Jong Un krank. Oder untergetaucht. Auch ein Putsch gegen ihn erscheint möglich. Eine Spurensuche.

Wenn die Partei Geburtstag hat, nimmt der Chef die Paraden ab, die Glückwünsche und die Geschenke entgegen und hält eine Rede. Und er hat einen Gedenk-Besuch am Mausoleum seines Großvaters und seines Vaters - seiner regierenden Vorfahren - abzustatten. So gehört sich das in Pjöngjang.

Den 69. Gründungstag der Arbeiterpartei aber strafte der noch nicht einmal halb so alte Chef Kim Jong Un mit Nichtbefassung. Er ist seit fünf Wochen nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden, und der letzte Auftritt am 3. September war verdächtig unpolitisch - ein Konzertbesuch im Mansudae-Palast in der nordkoreanischen Hauptstadt. Der Jahrestagung der Obersten Volksversammlung blieb er vor zwei Wochen fern. Die Volksversammlung hat allerdings auch nichts zu sagen, obwohl sie angeblich ein Parlament darstellt.

Aber die Nummern zwei und folgende des Regimes waren sichtbar. Hwang Pyong So, Choe Ryong Hae und Kim Yang Gon besuchten vor einigen Tagen überraschend Südkorea. Hwang war kurz vorher zum Vizepräsidenten des Nationalen Sicherheitsrates aufgerückt, ist schon länger politischer Chef der Armee - beide Positionen hatte sein Mitreisender Choe Anfang September noch inne - und erster Vizechef der Organisations- und Leitungsabteilung der Partei. Von dieser, der OGD, wird noch die Rede sein. Sie führt nämlich tatsächlich das Land. Choe ist für die politische Linie der Partei zuständig, also keineswegs degradiert, und der dritte Prominente in der Delegation, Kim, ist für Wiedervereinigungsfragen zuständig.

Was hatte diese hochrangige Delegation den Südkoreanern mitzuteilen? Was war so dringlich, dass die Reise nur gerade 24 Stunden vorher angekündigt wurde? Die Pjöngjanger Reisegruppe besuchte nicht etwa die Süd-Hauptstadt Seoul, sondern bloß deren Hafenstadt Incheon, wo gerade die Asienspiele zu Ende gegangen waren. Grüße an Präsidentin Park Geun Hye überbrachte sie indirekt. Sie hatte zwar Vorschläge für einen neuen Nord-Süd-Dialog mit dem Ziel der Vereinigung beider Koreas dabei, aber anscheinend nichts Neues über Kim Jong Un zu berichten. Oder doch?

Krank - untergetaucht - geputscht?

Südkoreas Regierung hat am Freitag verlauten lassen, Kim Jong Un regiere ganz normal weiter. Sie ließ durchsickern, er habe Gesundheitsprobleme. Aus dem Norden kam die Information, Kim Jong Un kuriere sich an einem Ort nördlich seiner Hauptstadt Pjöngjang aus. Tatsächlich hatte er beim Konzertbesuch deutlich sichtbar gehumpelt. Die Ferndiagnose: Gicht, vielleicht auch eine Knöchelverletzung. Bei dem unübersehbaren Übergewicht liegt die Vermutung nun mal nahe. Aber sie ist nicht nachprüfbar.

Da die Seouler Regierung anscheinend nicht alles öffentlich macht, was sie weiß, und unabhängige Beobachter keine Chance haben, hinter die Fassade der Kim-Dynastie zu blicken, wird weiter spekuliert.

Ausschließen kann man, dass Kim Jong Un sich versteckt habe, weil er möglicherweise demnächst vor ein internationales Gericht gezerrt werden soll. Die EU arbeitet an einer Anklage wegen fortgesetzter systematischer Verletzung der Menschenrechte. Solche Sachen haben niemals in Pjöngjang interessiert.

Ist Kim etwa - wie der Tokioter Professor Shigemura mutmaßt - nach einem Putschversuch geflohen? Britische Zeitungen geben diese Ansicht wieder und verweisen auf gewisse administrative Maßnahmen wie Reisebeschränkungen. Die sind aber vor hohen Feiertagen wie dem Parteigeburtstag fast Routine. Und wenn ein Putsch - wer soll dahinter stehen? Die jüngere Schwester (sie ist in der Partei ziemlich weit aufgerückt, was allerdings auf enge Familienbindungen schließen lässt)? Die Rächer aus der Anhängerschaft des angeheirateten Onkel Jang Song Taek, den Kim vor zwei Jahren hat liquidieren lassen (er war der sozusagen zivile Aufpasser für den Kim-Youngster)? Das Militär (dessen Vertreter Ri Yong Ho, gleichfalls in der Aufpasser-Funktion, die Kim-Crew schon vorher beseitigt hatte)? Vielleicht, spekulieren wieder andere, ist Kim Jong Un ja nicht nur krank, sondern schon tot. Oder wenigstens so krank, wie es früher - vor Gorbatschow - Generalsekretäre der KPdSU waren, die zu regieren vorgaben, aber krankheitshalber keine ganzen Sätze mehr hervorbrachten. Diese Peinlichkeit hätte das Regime dem Volk ersparen wollen und deshalb den Patienten aus dem Verkehr gezogen. Was wieder in die Putsch-Spekulationen einmündet.

Tatsächlich aber läuft das Regierungsgeschäft eher reibungslos dank der Institution OGD, der (Partei-) Abteilung für Organisation und Anleitung, die über die Verwendung jedes einzelnen Funktionärs wacht. Sie geht auf den Vater des jetzigen Diktators zurück, als der - Kim Jong Il - seine Machtposition entwickelte, von der aus er die Nachfolge wiederum seines Vaters - Kim Il Sung - festigen konnte.

Unter dem zweiten Kim wurde sie zum Machtzentrum, oder genauer: zu dem allgewaltigen Instrument, mit dem Kim Jong Il regierte. Kim Jong Un hat dieses Instrument geerbt. Aber er erbte nicht den Vorsitz. Die Pflichtübung, dem ersten Mann halbjährlich Bericht zu erstatten, scheint das OGD fortzuführen. Möglicherweise ist Kim Jong Un inzwischen seiner Sache so sicher, dass er dieser Organisation die Amtsgeschäfte für einige Zeit überlassen kann. Dann wäre es schade um die schönen Spekulationen.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 10.10.2014. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

12. Oktober 2014

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