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Trugbilder einer Revolution

Die Freunde des geordneten Übergangs wünschen Kontrolle über Erdöl und Suezkanal, folgsame Bundesgenossen. Der Rest ist Rhetorik. So entsteht gerade keine Demokratie in Nordafrika.

Von Karl Grobe

Revolutionen erreichen früh jenen Wendepunkt, an dem aus Hoffnung Enttäuschung und aus der Illusion, alles werde alsbald gut, die ernüchternde Einsicht in die alltägliche Wirklichkeit wird. Aus der gesellschaftlichen Erhebung gegen Despoten und volksferne Kasten muss erst - wieder - Gesellschaft werden. Der Neubau ist schwierig; das verhasste alte Machtgebäude abzureißen war dagegen einfach. Auswärtige Betrachter verstehen das in der Regel nicht annähernd so schnell wie die handelnden Subjekte. Kurz: Die oberflächlich einleuchtende Vorstellung, nach dem Sturz der Ben Ali, Mubarak und (hoffentlich demnächst) Gaddafi könne man in kurzer Frist mit einem neuen Regime die alten Geschäfte fortsetzen, ist Trugbild. Die erlauchten Führer jener fremden Länder, die Veränderung nicht glauben nötig zu haben, müssen sich hüten, darauf hereinzufallen, dass nun "neue Männer" regieren und folglich alles zum Besten stehe.

Das Volk - die Millionenmasse der bisher Machtlosen - hat in Tunesien und Ägypten die Despoten des Landes verwiesen; das sind Etappensiege. Doch nicht das Volk hat die Macht gewonnen, sondern das Militär, in Kairo abwartender Schiedsrichter während der Wochen ununterbrochener Kundgebungen auf dem Befreiungsplatz. Militärs sind der Kern der Übergangsregierung. Noch wissen sie, dass sie die aktuelle Machtposition dem Volksaufstand verdanken; doch sie sind auch geprägt durch die Erfahrung, dass seit 1952 die Macht uniformiert war, dass die Präsidenten Nasser, Sadat, Mubarak Offiziere waren. Da liegt der Schluss nahe, dass dies umschlägt in ein spezielles Sendungsbewusstsein. Und da gibt es noch keine Antwort auf die Frage nach der gesellschaftlichen, öffentlichen, demokratischen Kontrolle über die nun Herrschenden.

Die spontane, durch moderne Kommunikationsmittel koordinierte (aber keineswegs verursachte) Volkserhebung hat bisher nicht viel beantworten können, weil ihr die Organisation fehlt. Selbst wenn am heutigen Freitag Millionen gegen Ahmed Schafik, den Premier des Übergangs, und für ein Kabinett der Experten und Technokraten demonstrieren, ist die Frage nach der demokratisch legitimierten Führung des Staats offen. Große Einigkeit besteht nämlich nicht, außer in der Ablehnung der alten Ordnung; angesichts der dringenden materiellen Probleme, die den tieferen Grund der Massenbewegung bilden, reicht das nicht aus.

Gewiss liegen die Ursachen der verheerenden Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel außerhalb der Reichweite jeder Regierung, die sich am Nil (und ebenso in Tunis) etablieren kann. Über die Hälfte des Getreides muss importiert werden, da die eigene Anbaufläche allzu knapp ist. Der Preis hängt am Weltmarkt, und nicht die Armut der Ägypter bestimmt ihn, sondern andere Faktoren: die Hinwendung zu Bio-Treibstoffen; die Dürre im chinesischen Weizengürtel; spekulative Termingeschäfte. Die weitere Verarmung der ohnehin armen Mehrheit in Arabiens größtem Land hat buchstäblich auch globale, kapitalistische Ursachen.

Die andere liegt in der ungleichen Verteilung des Reichtums. Vom Militär eine grundsätzliche Veränderung zu erwarten, ist realitätsfern; es geht um Vorrechte, Privilegien. Der Zusammenstoß der höheren Dienstränge mit jenen, deren gewaltlose Entschlossenheit den Despoten verjagt hat, steht auf dem Spielplan. Selbst ein integrer Übergangs- oder Nachfolge-Präsident, ob Amr Mussa oder Mohammed el Baradei, wenn es dazu kommt, kann ihn nicht vermeiden. Der zivilen Gesellschaft aber mangelt es an formierten, in Parteien organisierten und im Volk verwurzelten Kräften; wohl mit der Ausnahme der Muslimbrüder, die ihrerseits gespalten sind zwischen weltoffenen und dogmatischen Tendenzen.

Und da hält sich die politische Öffentlichkeit des sogenannten Westens an dem Strohhalm "geordneter Übergang" fest. Eine gründliche Selbsttäuschung. Der nötigen Unterstützung ziviler Gesellschaft steht sie im Wege, die aus ihr abgeleiteten Rezepte kurieren gar nichts. Zudem: Wenn Wahlen frei sind, kann das Resultat für den "Westen" auch unerfreulich ausfallen. Was dann? Doch wieder die Armee ranlassen?

Die Freunde des geordneten Übergangs wünschen Kontrolle über Erdöl und Suezkanal, folgsame Bundesgenossen. Der Rest ist Rhetorik. Schön, wenn alles sich auf Demokratie reimt. Offiziere sind aber allemal zuverlässiger als das gemeine Volk.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 24.02.2011. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

27. Februar 2011

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