Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Hitlers Sieg

Ein spätes Echo von Hitlers und Goebbels Denkart findet sich in der Osloer Rede von Barack Obama anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises

Von Wolfgang Sternstein

Wie das? Ist Hitler von den Alliierten des Zweiten Weltkriegs denn nicht besiegt worden? Hat er nicht am Ende des Krieges im Führerbunker unter der Reichskanzlei in Berlin seinem Leben ein Ende gesetzt? - Das stimmt. Es stimmt aber auch, was Joseph Goebbels, der Reichspropagandaminister, in die Worte fasste: "Selbst wenn wir untergehen, werden wir siegen, denn unsere Ideale haben sich tief in den Herzen unserer Feinde eingewurzelt." Das Erstaunliche ist in der Tat, dass Hitler selbst im Untergang noch siegte. Für die Nazi-Ideale gilt das freilich nicht uneingeschränkt. Der Rassenwahn ist hoffentlich für alle Zeiten diskreditiert. Wohl aber gilt es für die Lehre, dass der Starke siegt und der Schwache untergeht - Stärke in diesem Zusammenhang verstanden als physische und militärische Stärke. Heute lebt dieses "Ideal" fort in der Lehre, dass ein Hitler nur durch Gewalt besiegt und die Welt nur durch einen Weltkrieg vor der nationalsozialistischen Welteroberung gerettet werden konnte, dass Gewalt letztlich nur durch größere Gewalt überwunden werden oder durch die Androhung von Gewalt, d.h. durch Abschreckung, in Schranken gehalten werden kann. Dass es auch noch eine andere Stärke geben könnte, eine Stärke, die der militärischen Stärke und einer auf Gewalt gegründeten Herrschaft höchst gefährlich werden kann, wie sich in der Geschichte immer wieder gezeigt hat, kommt den meisten Menschen nicht in den Sinn. Ein spätes Echo von Hitlers und Goebbels Denkart findet sich in der Osloer Rede von Barack Obama anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises:

"Ich sehe die Welt, wie sie ist, und ich kann die Augen nicht vor den Bedrohungen für das amerikanische Volk verschließen. Es steht fest: Das Böse existiert in der Welt. Eine gewaltfreie Bewegung hätte Hitlers Truppen nicht aufhalten können. Verhandlungen können die Anführer der El Kaida nicht dazu bringen, ihre Waffen niederzulegen. Zu sagen, dass Krieg manchmal notwendig ist, ist kein Aufruf zum Zynismus. Es ist die Wahrnehmung der Geschichte, der Unzulänglichkeiten der Menschheit und der Begrenztheit der Vernunft." Hier in vollständiger deutscher Übersetzung: Nobelpreis-Rede Barack Obamas in Oslo, 10.12.2009 .

Mir ist in diesem Zitat vor allem ein Satz aufgefallen: "Eine gewaltfreie Bewegung hätte Hitlers Truppen nicht aufhalten können." Dieser Satz ist zu einem politischen Dogma geworden. Er muss dazu herhalten, Aufrüstung und Krieg zu rechtfertigen, einschließlich des Krieges mit Massenvernichtungsmitteln, der die Existenz der Menschheit bedroht, wenn alle anderen Argumente ihre Überzeugungskraft verloren haben.

Gandhi: Freiheit und Demokratie nur durch gewaltfreien Widerstand zu retten

Die Frage muss jedoch erlaubt sein: Stimmt das wirklich? Ich meine, wir sollten an dieser Stelle auch die Stimme eines Zeitgenossen Adolf Hitlers hören, nämlich die Stimme Mahatma Gandhis, der im Hinblick auf Englands Kampf gegen Hitlerdeutschland schrieb:

"Wenn England Gerechtigkeit sucht, muss es vor Gottes oberstem Richterstuhl mit reinen Händen erscheinen. Es kann Freiheit und Demokratie nicht dadurch verteidigen, dass es, soweit der Krieg in Betracht kommt, die totalitäre Methode nachahmt. Es wird davon nicht wieder loskommen, nachdem es im Kriege Hitler überhitlert hat. Sein Sieg, wenn erreicht, wird sich als Falle und Täuschung erweisen. Ich weiß, meine Stimme ist die eines Predigers in der Wüste. Doch eines Tages wird man die Wahrheit einsehen, die sie verkündet. Sollen Freiheit und Demokratie wahrhaft gerettet werden, so können sie das nur durch gewaltfreien Widerstand, der nicht weniger Tapferkeit fordert, nicht weniger Ruhm einträgt als der gewaltsame. Ja er wird sogar viel tapferer und ruhmreicher sein, weil er Leben hingibt, ohne welches zu nehmen."

Was Gandhi hier im Hinblick auf England prophezeit, gilt noch mehr für die beiden Alliierten Englands, Sowjetrussland und die USA. Sie sind von der "totalitären Methode" der gegenseitigen Vernichtungsdrohung nicht wieder losgekommen, nachdem sie im Krieg Hitler "überhitlert" hatten. Der Zweite Weltkrieg ging beinahe nahtlos in den Kalten Krieg über, der die Menschheit an den Rand des Abgrunds der nuklearen Selbstvernichtung führte. Das Sowjetimperium gibt es heute nicht mehr. Es erwies sich am Ende als ein Koloss auf tönernen Füßen, der unter der Last seine hypertrophierten Macht- und Gewaltapparate zusammenbrach. Die Bürgerbewegungen in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarns, der DDR, den baltischen Staaten und anderswo haben ihm nur einen kräftigen Stoß versetzt, der den Zusammenbruch herbeiführte. Was das Sowjetimperium bereits hinter sich hat, hat das amerikanische Imperium noch vor sich. Wer die Zeichen der Zeit zu lesen vermag, sieht das deutlich. Die Finanz- und Wirtschaftkrise unserer Tage ist lediglich der Anfang vom Ende.

Gandhi hat den Polen, den Tschechen und Slowaken, ja selbst den Franzosen und Engländern empfohlen, Hitlers Armeen keinen gewaltsamen Widerstand entgegenzusetzen, sondern nach der Besatzung gewaltfreien Widerstand zu leisten. Das war im Prinzip richtig, aber unrealistisch, denn gewaltfreier Widerstand bedarf, wie der militärischen Kampf, der Organisation und Vorbereitung, vor allem aber des Vertrauens in die Wirksamkeit der gewaltfreien Aktionsmethoden. Das alles war jedoch nicht gegeben. Der Glaube an die Macht der Gewalt war in allen Völkern, die der Aggression Hitlerdeutschlands ausgesetzt waren, ungebrochen.

Dümmste Möglichkeit: Hitler mit Gewalt zu überhitlern

Für diejenigen, die diesen Glauben nicht haben, war die Entscheidung, Hitlers Gewalt mit Gewalt zu begegnen und ihn auf diese Weise zu überhitlern, das Dümmste, das man machen konnte. Wenn man eine Regierung und ein Volk zusammenschweißen will, so braucht man sie nur anzugreifen oder auf ihren Angriff militärisch zu reagieren. Das funktioniert immer. Selbst der Völkermord an den Juden, den Sinti und Roma wäre ohne die Kriegspropaganda und die Isolierung des deutschen Volkes wohl kaum möglich gewesen. Hätte man dagegen auf gewaltsamen Widerstand verzichtet und frühzeitig den gewaltfreien Widerstand organisiert, so hätte sich selbst ein Hitler an den fetten Brocken Polen, Tschechoslowakei, Holland, Dänemark, Norwegen, Frankreich, England, Sowjetunion usw. den Magen verdorben. Wichtiger noch: Der Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft, den es in Deutschland ja durchaus gab, wäre enorm gestärkt worden. Die Deutschen waren ja keineswegs, wie der amerikanische Historiker Daniel Goldhagen meint, ein Volk von willigen Vollstreckern beim Judenmord und dem Überfall auf die Nachbarvölker. Es war vorher und nachher ein relativ normales Volk, kein Volk der Dichter und Denker, aber auch kein Volk der Richter und Henker. Daraus folgt: nahezu jedes Volk kann unter bestimmten Bedingungen zu dem werden, wozu die Deutschen in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft geworden sind. Das befreit uns als Deutsche selbstverständlich nicht von der Verantwortung für das, was Deutsche anderen Völkern angetan haben.

So wahr es ist, dass militärische Gewalt im Angriff oder in Verteidigung die Regierung und das Volk zusammenschweißt, so wahr ist es auch, dass gewaltfreier Widerstand sie auseinander treibt. Der schwindende Rückhalt in der eigenen Bevölkerung ist aber die Achillesferse aller Diktaturen und totalitären Regime. Selbst das faschistische Quisling-Regime in Norwegen war ungeachtet der Hilfe durch die deutsche Besatzungsmacht nicht in der Lage, den gewaltlosen Widerstand des norwegischen Volkes zu brechen. Und selbst Goebbels schreckte vor dem Einsatz brutaler Gewalt gegen Demonstranten zurück, als die "arischen" Ehepartnerinnen in der Berliner Rosenstraße gegen die Festnahme ihrer jüdischen Ehemänner protestierten - nicht aus humanitären Erwägungen - solche waren Goebbels fremd - sondern weil er Unruhe in der Berliner Bevölkerung befürchtete, die dem Naziregime hätte gefährlich werden können. Die Festgenommenen wurden freigelassen.

Wir sollten auch einmal nach dem Preis fragen, den das Überhitlern Hitlers gekostet hat: 55 Millionen Tote sowie unzählige körperlich und seelisch verkrüppelte Soldaten und Zivilisten, unermessliche Sachschäden, gigantische Summen, die in die Rüstung und die Armeen flossen, und nicht zuletzt die treibhausmäßige Entwicklung der Waffentechnik, namentlich der Atombombe. Was ein gewaltfreier Sieg über Hitler gekostet hätte, wissen wir nicht. Er hätte zweifellos auch Leiden und Opfer gefordert, doch bei weitem nicht so viele wie der gewaltsame Widerstand, und seine Folgen wären ein wirklicher Frieden gewesen, statt des latenten Kriegszustands zwischen den Supermächten.

Kein Segen durch Gewalt und Krieg, sondern durch gewaltfreies Denken und Handeln

Beim Kalten Krieg, so behaupten die Kalten Krieger allenthalben, war das ganz anders. Hier habe die nukleare Abschreckung zwischen den Supermächten die Expansion des Sowjetimperiums und einen heißen Krieg verhindert. Schließlich sei es sogar gelungen, das Sowjetimperium "totzurüsten", sodass es, wie Ronald Reagan es einmal drastisch formulierte, nicht mit einem Knall, sondern mit einem Winseln verschied. Alles andere seien Illusionen und Wunschdenken. Ganz so einfach ist aber wohl doch nicht. Der ehemalige Oberbefehlshaber der US-Atomstreitkräfte in den Jahren 1991-94, General George Lee Butler, hat in einem Vortrag im Jahre 1999 seine nüchterne Analyse der Abschreckungsdoktrin in dem Satz zusammengefasst:

"Wir sind im Kalten Krieg dem nuklearen Holocaust nur durch eine Mischung von Sachverstand, Glück und göttlicher Fügung entgangen und ich fürchte, das Letztgenannte hatte den größten Anteil daran." (Frankfurter Rundschau, 1.9.1999)

Ich glaube, niemand wird General Butler ernstlich die Kompetenz für ein solches Urteil absprechen. Selbst wenn der Kalte Krieg unblutig zu Ende ging, ist die Gefahr eines Atomkriegs heute keineswegs geringer als damals. Auch jetzt noch darauf zu vertrauen, dass die Abschreckung funktioniert, dass auch weiterhin "eine Mischung aus Sachverstand, Glück und göttlicher Fügung" uns vor dem nuklearen Holocaust bewahren werde, ist unrealistisch und weltfremd. So erweisen sich ausgerechnet diejenigen, die auf die Macht der Gewalt und der Abschreckung vertrauen, als die wahren Illusionisten und Phantasten.

Der Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel soll gesagt haben: "Das einzige, was man aus der Geschichte lernen könne, sei, dass aus der Geschichte noch nie etwas gelernt worden ist." Wohl wahr. Wären wir jedoch bereit, aus der Geschichte zu lernen, so hielte das 20. Jahrhundert zwei Lehren für uns bereit: Erstens, auf Zwang, Gewalt und Krieg ruht kein Segen. Durch sie gelangt man niemals zu Frieden, sondern schafft nur die Ursachen für neue und schlimmere Kriege. Zweitens, auf dem gewaltfreien Denken und Handeln ruht Segen. Es gibt keinen Weg zum Frieden, Friede ist der Weg. Barack Obama hätte es wissen können. Doch dann hätte er wohl kaum den Ehrgeiz entwickelt, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden.

Dr. Wolfgang Sternstein (Stuttgart), ist Friedens- und Konfliktforscher mit dem Schwerpunkt Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion. Seit über 30 Jahren arbeitet er in der Bürgerinitiativen-, Ökologie- und Friedensbewegung. Er hat an zahlreichen gewaltlosen Aktionen teilgenommen, stand deswegen mehr als ein Dutzend Mal vor Gericht und war neunmal für sein gewaltfreies Engagement im Gefängnis. Er ist Vorsitzender und Mitarbeiter des Instituts für Umweltwissenschaft und Lebensrechte (UWI) und unter anderem Mitglied von Lebenshaus Schwäbische Alb.

 

Siehe ebenfalls:

Eine andere, auf die Kraft der Gewaltfreiheit setzende Nobelpreis-Rede:

 

Fußnoten

Veröffentlicht am

17. Dezember 2009

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