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Afghanisches Dilemma

Von Karl Grobe - Kommentar

Wer einer armen Bevölkerung die einzige Einkommensquelle nimmt, kann nicht auf ihre Mitwirkung rechnen. Eine Binsenwahrheit ist das, aber sie hat ihre Tücken. In Afghanistan sollen niederländische Nato-Soldaten die Mohnfelder nicht zerstören, welche den Rohstoff für die explosiv wachsende Drogenproduktion liefern; denn andere Einkommensquellen haben die Bauern derzeit nicht. So entschied die niederländische Entwicklungsministerin nach einem Ortstermin.

Richtig und zugleich falsch. Die Vernichtung der Opiumwirtschaft nimmt den Bauern die Lebensmöglichkeiten und treibt sie dem bewaffneten Widerstand in die Arme; da hat Ministerin Agnes van Ardenne richtig hingesehen. Doch Profiteure im Drogengeschäft sind zunächst Warlords und Taliban; sie finanzieren ihre regionale Macht und ihren Widerstand aus jener Quelle. Wer eine zivile Ordnung und rechtsstaatliche Verhältnisse aufbauen will, muss diese Quelle trockenlegen. Der Verzicht auf entsprechende Maßnahmen ist falsch, weil er der falschen Seite nützt.

Solange der Mohnanbau um ein Vielfaches mehr einbringt als die Erzeugung anderer Agrarprodukte, ist dieses Dilemma nicht aufzulösen. Der einzig sinnvolle Ansatz, den die Ministerin übrigens energisch vertritt, ist ein umfassendes ziviles Aufbauprogramm. Angesichts der Zerstörung nach dreißig Jahren Krieg, Bürgerkrieg und Intervention ist das für jene 600 Millionen Euro nicht zu haben, die die EU vor der internationalen Afghanistan-Konferenz in Berlin versprochen hat. Selbst die zehn Dollarmilliarden, um die der Präsident der USA den Kongress angeht, retten die Lage nicht.

Die Washingtoner Afghanistan-Strategie (falls das Wort “Strategie” hier überhaupt angebracht ist) ist nämlich nach wie vor militärisch geprägt. Condoleezza Rice, die US-Außenministerin, hat vorige Woche in Brüssel der Nato wieder größere Kampfbereitschaft empfohlen. Noch einen Krieg nicht zu gewinnen, nachdem der Einmarsch in den Irak Desaster, Chaos und Elend gezeitigt hat, ist für den von ihr verkörperten Flügel der US-Politik natürlich “keine Option”.

Instrumente, um eine Option für den Aufbau, die Wiederbelebung ziviler Wirtschaft und vom Volk anerkannter Verwaltung in Angriff zu nehmen, hat die Operation “Enduring Freedom” aber kaum geschaffen. Und die andere Achse des Handelns, der von der internationalen Truppe Isaf geschützte, als friedensstiftend konzipierte Aufbau, bleibt auf die regionalen Kriegsherren und ihr Wohlwollen angewiesen; gegen Opiumwirtschaft und Korruption anzutreten ist nicht ihr Geschäft.

Regierungschef Hamid Karsai ist noch immer nicht viel mehr als der erste Stadtrat von Kabul. Die Wahlen im September 2005 dürften ihn ernüchtert haben; denn unter den ohne erkennbare politische oder parteiliche Zugehörigkeit gewählten Abgeordneten neigt eine sehr große Zahl den Taliban, religiös unterfütterten Strömungen oder eben auch den Warlords zu. Dass Karsai nun um die “guten Taliban” wirbt - zum Ärger mancher US-Vertreter -, ist gut begründet.

Da Krieg, Bürgerkrieg Intervention und nicht zuletzt die Stammeskriege unter Stammes-Kriegsherren die Staatlichkeit zerstört haben, ist die Rückkehr in alte Clan- und Stammesbindungen die einzig plausible Überlebensstruktur für das Gros der fern von Kabul Wohnenden. Das bedeutet: partikularistische Integration in lokale Beziehungen; und die machen große Landesteile zu einem Taliban-Territorium. Karsai wird durch die Respektierung dieser Verhältnisse noch nicht zu einem guten Politiker; aber begibt sich auf den am wenigsten schlechten Weg.

Von westlich vorgedachter Modernisierung kann daher nicht die Rede sein. Der Wiederaufbau-Ansatz, der die Einrichtung integrer Ordnungskräfte, ohne die Unterordnung militärischer unter zivile Ziele, einschließt, ist die letzte Chance. Die Verstärkung des Bomber-Potenzials und der Zielgenauigkeit mittels Tornado-Aufklärung bietet diese Chance nicht.

Quelle: Frankfurter Rundschau   vom 31.01.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

01. Februar 2007

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