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Michael Sattler - Benediktinermönch, radikaler Reformator, Staatsfeind und Erzketzer

“Die Christen sind ganz gelassen
und vertrauen ihrem Vater im Himmel
ohne alle äußerliche und weltliche Rüstung.”

Michael Sattler - Benediktinermönch, radikaler Reformator, Staatsfeind und Erzketzer

Wolfgang Krauß

Mutmaßlich vor 500 Jahren wurde Michael Sattler in Staufen im Breisgau geboren. Das genaue Geburtsdatum ist unbekannt. Sattler wird zunächst Benediktiner. Als Prior von St. Peter verhandelt er 1525 bei der Belagerung des Klosters mit den aufständischen Bauern, denen er sich vermutlich bei deren Abzug anschließt. Über die Bauern kommt er in Kontakt mit Täufern im Zürcher Unterland. Bald lernt er auch die radikalen Schüler Zwinglis kennen, Conrad Grebel, Felix Mantz, Jörg Blaurock und andere aus der Zürcher Täuferbewegung.

Sattler wird selbst zu einem der führenden Köpfe im süddeutsch/schweizerischen Täufertum. Um die Jahreswende 1526/27 hält er sich in Straßburg auf und konferiert mit den dortigen Reformatoren Wolfgang Capito und Martin Butzer über theologische Grundfragen und vor allem über die Freilassung gefangener Täufer. Trotz mancher grundsätzlichen Übereinstimmung sind die vor allem ekklesiologischen Anschauungen doch so verschieden, daß Sattler Straßburg wieder verläßt. Er nimmt teil an der Zusammenkunft in Schleitheim am 24. 2. 1527. Wahrscheinlich stammt die Niederschrift der Ergebnisse dieser Versammlung aus Sattlers Feder. Als “Brüderliche Vereinigung” oder “Schleitheimer Bekenntnis” finden sie bald weite Verbreitung. Zwingli findet es für nötig, sie im August 1527 in seinem “Contra Catabatistarum Strophas Elenchus” zu widerlegen. Zu dieser Zeit lebt Michael Sattler schon nicht mehr. Kurze Zeit nach der Rückkehr zu seiner Gemeinde in Horb wird Sattler verhaftet und am 20. 5. 1527 vor den Toren Rottenburgs nach grausamer Folter verbrannt. Seine Frau Margaretha wird im Neckar ertränkt. Vier weitere Gefangene werden enthauptet, die übrigen widerrufen. Wolfgang Capito protestiert brieflich gegen die Hinrichtung und bittet um glimpfliche Behandlung der noch Gefangenen: “In diesen Stücken (Taufe, Eid, Ablehnung des Schwertes und der obrigkeitlichen Ämter) mögen unsere lieben Brüder und starken Bekenner der Wahrheit etwas Irrung gehabt … aber in anderen Dingen sind sie herrliche Zeugen der Wahrheit und Gefäß der Ehren, und es schaden ihnen diese Irrtümer nichts an der Seligkeit.(1)

Ein starkes Stück: den größten Feind unseres heiligen Glaubens wider uns zu ziehen

Verhaftet und vor Gericht gestellt wurde Sattler in Horb und Rottenburg, beide Städte gehörten zur Grafschaft Hohenberg, damals unter österreichischer Herrschaft. Was brachte die altgläubige Obrigkeit so auf, daß Erzherzog Ferdinand, der spätere deutsche König und Kaiser, zu Prozeßbeginn gegen Sattler und Genossinnen und Genossen an seine hohenbergischen Beamten schrieb: “Auf die zweite Taufe mag keine bessere Strafe folgen als die dritte Taufe, welche an den gemeldeten Gefangenen durch Ertränken im Neckar vollzogen werden soll.” Wiedertäuferei war einer der neun Anklagepunkte in Rottenburg. Sattler hatte in seinen Schriften und seiner Gemeindepraxis die Kindertaufe als unbiblisch verworfen. Artikel 1 von Schleitheim sagt: “Die Taufe soll all denen gegeben werden, die über Buße und Änderung des Lebens belehrt worden sind und wahrhaftig glauben, daß ihre Sünden durch Christus hinweggenommen sind, und allen denen, die wandeln wollen in der Auferstehung Jesu Christi und mit ihm in den Tod begraben sein wollen, auf daß sie mit ihm auferstehen mögen, und allen denen, die es in solcher Meinung von uns begehren und von sich selbst aus fordern.”(2)

War die Kindertaufe Zeichen der ungefragten Einverleibung in den “corpus christianum”, die mittelalterliche Einheit von Kirche und Gesellschaft, so wird die freiwillige Taufe zum Zeichen der Entscheidung des einzelnen zur Nachfolge Jesu und konstituiert damit Gemeinde als sichtbare Gemeinschaft der Nachfolgenden, die sich eben in ihrer Ethik der Nachfolge unterscheidet vom Rest der Gesellschaft.

Artikel 2 der Schleitheimer Vereinbarung erinnert an Mt. 18, um die Gemeinde durch gegenseitige geschwisterliche Ermahnung auf dem Weg Jesu zu halten. Nimmt einer derer, “die sich dem Herren ergeben haben, seinen Geboten nachzuwandeln”, die Korrektur der Geschwister nicht an, so bleibt als letztes Mittel der “Bann”, also der Ausschluß aus der Gemeinschaft. Im Vergleich zur etablierten kirchlichen Praxis im Umgang mit Ketzern wird der Bann in Artikel 6 “über das Schwert” jedoch im Kontext der gewaltfreien genuin jesuanischen Alternative gesehen: “Das Schwert ist eine Gottesordnung außerhalb der Vollkommenheit Christi, welches den Bösen straft und den Guten schützt und schirmt. Im Gesetz wird das Schwert geordnet über die Bösen zur Strafe und zum Tod und dasselbe zu gebrauchen sind die weltlichen Obrigkeiten geordnet. In der Vollkommenheit Christi jedoch wird der Bann gebraucht allein zur Mahnung und Ausschließung dessen, der gesündigt hat, ohne Tod des Fleisches, allein durch die Mahnung und den Befehl, nicht mehr zu sündigen.”

Die staatliche Gewaltandrohung und -ausübung wird als unvereinbar mit dem Auftrag der Christen verstanden. Es wird ihr zwar ein Platz in der weltlichen Ordnung zugestanden, doch die Gemeinde lebt in Gewaltfreiheit und Feindesliebe die “Vollkommenheit Christi”. Dem auch von den Reformatoren Butzer und Capito geäußerten Einwand, ob denn nicht gerade Christen “um der Liebe Willen” mit dem Schwert die Guten schützen sollten, begegnet Sattler ausgehend von Mt. 11, 29: “Christus lehrt uns, daß wir von ihm lernen sollen, denn er sei milde und von Herzen demütig.” In der Folge wird jede Beteiligung an Herrschaft und Gewalt mit dem Hinweis auf das Vorbild Jesu abgelehnt. Sattlers theologisches Denken zeigt einen ausgeprägten Dualismus, der sich zum einen orientiert an neutestamentlichen Gegensatzpaaren, zum anderen wohl auch die massive Verfolgung durch Kirche und Obrigkeit widerspiegelt: “Es kann dem Christen aus folgenden Gründen nicht ziemen, eine Obrigkeit zu sein. Das Regiment der Obrigkeit ist nach dem Fleisch, das der Christen nach dem Geist. Ihre Häuser und Wohnung sind mit dieser Welt verwachsen; die der Christen sind im Himmel. Ihre Bürgerschaft ist in dieser Welt; die Bürgerschaft der Christen ist im Himmel. Die Waffen ihres Streits und Krieges sind fleischlich und allein wider das Fleisch; die Waffen der Christen aber sind geistlich wider die Befestigung des Teufels. Die weltlichen werden gewappnet mit Stachel und Eisen; die Christen aber sind gewappnet mit dem Harnisch Gottes, mit Wahrheit, Gerechtigkeit, Friede, Glaube, Heil und mit dem Wort Gottes.”

Ausgehend von diesem Dualismus, entwickelt Sattler eine ausgeprägte Lehre der “Absonderung”, der Trennung der Gemeinde von “dem Bösen und dem Argen, das der Teufel in die Welt gepflanzt hat”. Dieser 4. Schleitheimer Artikel endet mit der pazifistischen Schlußfolgerung: Wenn sich Christen von der Ungerechtigkeit der Welt absondern, “so werden dann auch zweifellos die unchristlichen, ja teuflischen Waffen der Gewalt von uns fallen, als da sind Schwert, Harnisch und dergleichen…”.

Es ist Michael Sattlers radikale neutestamentliche Ekklesiologie, die ihn und die Seinen in eine “urchristliche” Lage bringt: Sie werden zur kleinen, verfolgten Minderheit. Die Betonung des Unterschiedes von Gemeinde und Welt nimmt der Gesellschaft und ihren Institutionen den christlichen Firnis. Von daher die wütende Reaktion der Herrscher von Gottes Gnaden.

Neben dem Vorwurf verschiedener “Irrlehren” ist es vor allem Sattlers christozentrisch begründeter Pazifismus, der die Obrigkeit und seine Richter in Rottenburg gegen ihn aufbringt: “Zum neunten hat er gesagt, wenn der Türke ins Land käme, sollte man ihm keinen Widerstand leisten, und wenn Kriegen recht wäre, wollte er lieber wider die Christen ziehen als wider die Türken. Das ist ein starkes Stück: den größten Feind unseres heiligen Glaubens wider uns zu ziehen.”(3)

In seiner Verteidigungsrede antwortet Sattler: “Es steht geschrieben (Mt. 5, 21): ‘Du sollst nicht töten!’ Wir sollen uns des Türken und anderer Verfolger nicht erwehren, sondern in strengem Gebet zu Gott anhalten, daß er wehre und Widerstand leiste. Daß ich aber gesagt habe: Wenn Kriegen gerecht wäre, wollt ich lieber wider die angeblichen Christen ziehen, welche die frommen Christen verfolgen, fangen und töten, als wider den Türken, das hat folgenden Grund: Der Türke ist ein rechter Türke und weiß vom christlichen Glauben
nichts; er ist ein Türke nach dem Fleische. Ihr dagegen wollt Christen sein, rühmt euch Christi, verfolgt aber die frommen Zeugen Christi und seid Türken nach dem Geist.” Auf die Bitte Sattlers, ihm anhand der Heiligen Schrift seine Irrtümer nachzuweisen, wird geantwortet: “Der Henker wird mit dir disputieren! Du verzweifelter Bösewicht und Erzketzer.”

Angesichts des damaligen Ost-West-Konflikts zwischen Islam und “christlichem” Abendland, angesichts der massiven türkischen Bedrohung gegen die österreichischen Territorien im Osten konnte eine solche Provokation auch in der vorderösterreichischen Etappe nicht ohne Folgen bleiben. Heute noch würde ein Kriegsdienstverweigerer mit solch paradoxdialektischen Argumenten hierzulande nicht anerkannt. Heute noch gelten in den evangelischen Landeskirchen die Verdammungsurteile der Confessio Augustana gegen die “Wiedertäufer”, auch gegen deren Pazifismus.

Michael Sattlers deutlicher Entwurf einer staatsunabhängigen und geschwisterlichen Gemeinde entfaltete in der Verfolgungs- und Diskriminierungszeit der nächsten drei Jahrhunderte eine große Wirkung. Unterstrichen sicherlich durch das standhafte Beispiel seines Martyriums. Viele Gruppen der Täuferbewegung und die später aus ihnen entstandenen Mennoniten wurden von seiner Theologie geprägt.

Es fehlt hier der Raum, auch auf manche problematische Weichenstellung ausführlich einzugehen. Nur ein Hinweis: Begriff und Praxis der “Absonderung” scheinen schon bei Sattler einen weitgehenden gesellschaftlichen Rückzug zu beinhalten, der später in der mennonitischen Geschichte vielfach gar zum geografischen Rückzug wurde.

Es fehlt auch die ausführliche Gelegenheit, neuere Forschungsansätze zu den benediktinischen Wurzeln und reformatorischen Prägungen Sattlers zu Wort kommen zu lassen. Nur soviel: Es ist verblüffend, wie fruchtbar Sattler die Regel des Benedikt von Nursia in ein radikal reformerisches Programm umsetzt (4): Nachfolge Christi, gemeinsames Leben, Abkehr von der Welt… Allerdings verwandelt sich unter dem demokratischen Einfluß der Bauernbewegung die autoritär geleitete Gemeinschaft des Klosters in eine anarchische Gemeinde von Geschwistern, die im Gespräch miteinander die Leitung des Geistes zu erkennen suchen. (5) Der Rückzugsort der zölibatär innerhalb der großen Kirche nach Vervollkommnung Strebenden verwandelt sich in die Provokation der “Vollkommenheit Christi”: gewaltfrei, herrschaftskritisch, leidensbereit.

Sattler akzeptiert die antiklerikale Kritik der Bauern. Er verläßt selber das Kloster, heiratet, lernt ein Handwerk, um nicht weiter von der wirtschaftlichen Ausbeutung der Bauern zu leben. Auch die demokratischen Elemente des Programms der Bauern wirken in seinem Denken fort. Nicht umsonst trägt das Dokument von Schleitheim denselben Titel wie der Bund der Bauern: Brüderliche Vereinigung. (6) Sattler verwirft jedoch auch die revolutionäre Gewalt und entwirft die Gemeinde als Gegenmodell zu der in seinen Augen nicht wesentlich reformierbaren Gesellschaft. Das scheint sein Fazit aus der Niederlage des Bauernaufstandes.

Anmerkungen:
1) Nach Manfred Krebs und Hans Georg Rott, Elsaß,1. Teil (Quellen zur Geschichte der Täufer), Nr. 83, S. 88-87.

2) Der Linke Flügel der Reformation, Heinold Fast (Hrsg.), Bremen 1962, S. 60 ff., Brüderliche Vereinigung etlicher Kinder Gottes, Schleitheim 1527. Die weiteren Zitate daraus werden nicht besonders angemerkt.

3) Artikel und Handlung, die Michael Sattler zu Rottenburg am Neckar mit seinem Blut bezeugt hat, 1527. (Prozeßbericht), a. a. 0., S. 71 ff.

4) Dem benediktinischen Herkommen Sattlers, dem reformatorischen Kontext und den Einflüssen der Bauernbewegung geht die jüngst erschienene Monographie nach: C. Arnold Snyder, The Life and Thought of Michael Sattler, Scottdale, Pennsylvania 1984.

5) John H. Yoder bezeichnet diese Praxis mit dem Ausdruck “hermeneutical community”/”Herrneneutische Gemeinschaft”. The Priestly Kingdom, Social Ethics as Gospel, Notre Dame, Indiana 1984, S. 116.

6) Vgl. Hans Jürgen Goertz, Die Täufer, München 1980, S. 20 ff.

Dieser Artikel ist in der Zeitschrift “Junge Kirche. Eine Zeitschrift europäischer Christen”, Nr. 4, April 1990 erschienen. Wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung des Autors Wolfgang Krauß.

Siehe auch den Artikel von Wolfgang Kraus: Michael Sattler vor 476 Jahren hingerichtet.

DMFK - Deutsches Mennonitisches Friedenskomitee
German Mennonite Peace Committee
Wolfgang Krauß
Hauptstr. 1
D-69245 Bammental
Tel 06223-5140 Fax 47791
dmfk.menno.peace@t-online.de

Veröffentlicht am

08. Juni 2003

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