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Offener Brief an Maria Corina Machado – von Nobel zu Nobel

Adolfo Pérez Esquivel ist ein argentinischer Menschenrechtsaktivist, Künstler und Friedensnobelpreisträger. Er wurde 1980 für seinen gewaltfreien Einsatz gegen die Militärdiktatur in Argentinien und für die Menschenrechte in ganz Lateinamerika mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Als Gründer des "Servicio Paz y Justicia" (SERPAJ) engagiert er sich seit Jahrzehnten für soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Gewaltfreiheit. Wir veröffentlichen seinen offenen Brief "Von Nobel zu Nobel" an María Corina Machado.

Liebe Corina,

ich wünsche dir Frieden und alles Gute, was die Menschheit und die Völker, die in Armut, Konflikten, Krieg und Hunger leben, so dringend brauchen. Mit diesem offenen Brief möchte ich dir einige Gedanken mitteilen.

Ich war überrascht, als das Nobelkomitee dich für den Friedensnobelpreis nominierte. Das erinnerte mich an die Kämpfe gegen die Diktaturen auf dem Kontinent und in meinem Land, unter den Militärdiktaturen, die wir von 1976 bis 1983 erdulden mussten. Wir erlitten Inhaftierungen, Folter und Exil, Tausende von Verschleppungen, Entführungen und verschwundenen Kindern sowie Todesflüge, die ich selbst überlebt habe.

1980 verlieh mir das Nobelkomitee den Friedensnobelpreis. Fünfundvierzig Jahre sind vergangen, und wir setzen uns weiterhin für die Ärmsten und an der Seite der Völker Lateinamerikas ein. Ich habe diese hohe Auszeichnung im Namen aller angenommen, nicht wegen des Preises selbst, sondern wegen meines Engagements, die Menschen zu unterstützen, ihre Kämpfe und Hoffnungen zu teilen, um eine neue Ära aufzubauen. Frieden wird Tag für Tag aufgebaut, und wir müssen in unseren Worten und Taten konsequent sein.

Mit 94 Jahren bin ich immer noch ein Lehrling des Lebens, und deine Haltung sowie deine sozialen und politischen Entscheidungen beunruhigen mich. Deshalb richte ich diese Überlegungen an dich.

Die venezolanische Regierung ist eine Demokratie mit ihren Höhen und Tiefen. Hugo Chávez hat den Weg für die Freiheit und Souveränität des Volkes geebnet und für die Einheit des Kontinents gekämpft. Er war ein Wegbereiter für das Große Vaterland. Die Vereinigten Staaten haben ihn ständig angegriffen; sie können es nicht zulassen, dass sich ein Land des Kontinents ihrem Einflussbereich und ihrer kolonialen Abhängigkeit entzieht; sie beharren darauf, dass Lateinamerika ihr "Hinterhof” ist. Die seit über 60 Jahren gegen Kuba verhängte US-Blockade ist ein Angriff auf die Freiheit und die Rechte seines Volkes. Der Widerstand des kubanischen Volkes ist ein Beispiel für Würde und Stärke.

Ich bin überrascht über deine Verbundenheit mit den Vereinigten Staaten, obwohl du doch wissen musst, dass sie weder Verbündete noch Freunde haben, sondern nur Interessen. Die in Lateinamerika errichteten Diktaturen wurden für ihre Herrschaftsinteressen instrumentalisiert und zerstörten das Leben und die soziale, kulturelle und politische Organisation der Völker, die für ihre Freiheit und Selbstbestimmung kämpften. Wir, das Volk, leisten Widerstand und kämpfen für das Recht, frei und souverän zu sein und keine Kolonie der Vereinigten Staaten.

Die Regierung von Nicolás Maduro wird von den Vereinigten Staaten und der Blockade bedroht. Man denke nur an die in der Karibik stationierten Seestreitkräfte und die Gefahr einer Invasion deines Landes. Du hast nichts gesagt, oder … unterstützt du etwa die Einmischung der Großmacht gegen Venezuela? Das venezolanische Volk ist bereit, sich dieser Bedrohung zu stellen.

Corina, ich frage dich:

Warum hast du die Vereinigten Staaten dazu aufgerufen, in Venezuela einzumarschieren?

Als du die Nachricht erhieltst, dass dir der Friedensnobelpreis verliehen wird, hast du ihn Trump gewidmet. Dem Angreifer deines Landes, der lügt und Venezuela des Drogenhandels bezichtigt, eine Lüge ähnlich der von George Bush, der Saddam Hussein vorwarf, "Massenvernichtungswaffen” zu besitzen. Ein Vorwand, um in den Irak einzumarschieren und ihn zu plündern, wobei Tausende von Opfern, darunter Frauen und Kinder, zu beklagen waren. Ich war am Ende des Krieges in Bagdad, im Kinderkrankenhaus, und habe die Zerstörungen und Todesfälle gesehen, die von denen verursacht wurden, die sich als Verteidiger der Freiheit ausgeben. Die schlimmste Form der Gewalt ist die Lüge.

Vergiss nicht, Corina, dass Panama von den Vereinigten Staaten überfallen wurde, die Tod und Zerstörung säten, um einen ehemaligen Verbündeten, General Noriega, zu fassen. Die Invasion forderte 1.200 Todesopfer in Los Chorrillos. Heute versuchen die Vereinigten Staaten erneut, den Panamakanal zu erobern. Es ist eine lange Liste von Interventionen und Leiden, die Lateinamerika und der Welt von den Vereinigten Staaten zugefügt wurden. Die offenen Adern Lateinamerikas, wie Eduardo Galeano sagt, bluten immer noch.

Ich bin besorgt darüber, dass du deinen Nobelpreis nicht deinem Volk gewidmet hast, sondern dem Angreifer Venezuelas. Ich denke, Corina, du musst die Situation analysieren und dir darüber klar werden, auf welcher Seite du stehst: Bist du nur eine weitere Schachfigur im kolonialen Spiel der Vereinigten Staaten, die deren Herrschaftsinteressen unterworfen ist? Eine solche Position kann auf keinen Fall dem Wohl deines Volkes dienen.

Als Gegnerin der Regierung Maduro sorgen deine Standpunkte und Entscheidungen für große Unsicherheit. Du greifst zu den schlimmsten Mitteln, indem du die Vereinigten Staaten aufforderst, in Venezuela einzumarschieren.

Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass der Aufbau des Friedens immense Kraft und Mut zum Wohle deines Volkes erfordert, das ich kenne und zutiefst liebe. Wo einst Slums in den Hügeln standen, in denen die Menschen in Armut und Elend lebten, gibt es heute angemessene Wohnungen, Gesundheitsversorgung, Bildung und Kultur. Die Würde der Menschen kann man weder kaufen noch verkaufen.

Corina, wie der Dichter sagt: "Wanderer, es gibt keinen Weg, der Weg entsteht beim Gehen." Du hast jetzt die Möglichkeit, dich für dein Volk einzusetzen und Frieden zu schaffen, anstatt weitere Gewalt zu provozieren. Man kann ein Übel nicht durch ein anderes, größeres Übel lösen. Dann haben wir nur zwei Übel und niemals eine Lösung für den Konflikt.

Öffne deinen Geist und dein Herz für den Dialog, für die Begegnung mit deinem Volk, leere den Krug der Gewalt und schaffe Frieden und Einheit unter deinem Volk, damit das Licht der Freiheit und der Gleichheit einfallen kann.

Adolfo Pérez Esquivel, 12. Oktober 2025

Quelle: Pressenza - 15.10.2025. Eine Vervielfältigung oder Verwendung des Textes in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist unter Berücksichtigung der Regeln von Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) möglich.

Veröffentlicht am

27. Oktober 2025

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