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Kretschmanns Regierungserklärung als Aufrüstungsplädoyer

Von Jürgen Wagner

Am 23. Juli 2025 gab der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, eine Regierungserklärung zum Thema "Verteidigung und Resilienz" ab, die sich als ein umfassendes Aufrüstungsplädoyer entpuppte: "Ich bin überzeugt, dass wir uns jetzt entschlossen auf den Ernstfall vorbereiten müssen, dass wir jetzt aufrüsten müssen, dass wir jetzt verteidigungsfähig werden müssen, weil wir nur so den Frieden wahren können."

Narrativkontrolle

Für Kretschmann gibt es keine Zweifel, wie die aktuellen Geschehnisse im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg zu interpretieren seien. Es handele sich um "Illusionen" zu glauben, "dass es einfach nur mehr Verhandlungen braucht", mehr noch, genau diese "Haltung"  – und nicht wenigstens zu einem Anteil auch der aggressive Expansionskurs der NATO – habe alles "in den vergangenen Jahren immer schlimmer gemacht hat."

Tatsächlich befand sich eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg im März 2022 bekanntlich in greifbarer Nähe und scheiterte nicht zuletzt auf westliches Drängen hin (siehe IMI-Standpunkt 2024/029). Seither findet dort ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen statt, der die Ukraine zahllose Menschenleben und große Teile seines Territoriums gekostet hat – und daran sollen in Kretschmanns Welt also diejenigen schuld sein, die sich für Verhandlungen eingesetzt haben, und nicht die, die sie unablässig hintertreiben.

Dass es auch anders geht, zeigt zum Beispiel Kretschmanns eigener Verkehrsminister Winfried Herrmann mit seiner Initiative Aufbruch zum Frieden , der in Sachen Kriegsursachen und möglicher Lösungen  eine deutlich differenziertere Position an den Tag legt. Davon will Kretschmann aber nichts wissen und verweist stattdessen auf eine neu eingerichtete "Task Force Desinformation", deren Aufgabe es sei, russischer Propaganda entgegenzuwirken. Daneben setze man vor allem auf "Aufklärung und Bildung in unseren Schulen" und dabei nicht zuletzt auf eine "intensive Zusammenarbeit mit der Bundeswehr", die ausgebaut werden soll: "Schon heute leisten Jungoffiziere mit über 500 Schulbesuchen pro Jahr eine wichtige Informationsarbeit an unseren Schulen, eine wichtige Arbeit, für die ich mich herzlich bedanke. Diese Zusammenarbeit wollen wir ausbauen und dabei einen deutlich stärkeren Fokus auf die Bündnisverteidigung legen."

Rüstungsminister

Bereits im Frühjahr tat sich der Kretschmann mit Sätzen hervor, in Sachen Rüstungsindustrie wolle das Land ganz vorne "mitmischen" . Mit rund 100 Unternehmen im Bereich Verteidigung, auf die ein Viertel aller Beschäftigten der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland entfallen würden, komme der Branche eine große Bedeutung zu, was auch so bleiben solle: "Deshalb haben wir unsere Förderprogramme wie INVEST BW für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie geöffnet und damit begonnen, die Unternehmen noch stärker mit unserer Forschungslandschaft zu vernetzen." Den Unternehmen verspricht Kretschmann Unterstützung, um den "Hochlauf der Produktion sicherstellen" zu können. Dies erfordere "Planungssicherheit", deshalb setze man sich auf Bundesebene "für schnellere Genehmigungsverfahren, einen erleichterten Kapitalzugang und ein effizienteres Beschaffungswesen ein."

Auch zum aktuellen Phänomen, dass zivile Betriebe vermehrt ganz oder teilweise auf die Rüstungsproduktion umsatteln, bei Trumpf in Ditzingen etwa werden derlei Überlegungen angestellt (siehe IMI-Analyse 2025/01), findet Kretschmann klare Worte: "Wir wollen, dass sich unsere Wirtschaft auf diesem Feld engagiert. Und deshalb möchte ich mich an dieser Stelle einmal konkret an die Unternehmerschaft unseres Landes wenden und Ihnen zusichern: Sie haben hier die volle Rückendeckung der Landesregierung. Sie haben sie dann, wenn Sie bereits im Bereich von Sicherheit und Verteidigung tätig sind. Und Sie haben sie dann, wenn Sie bislang rein zivil tätig sind und nun darüber nachdenken, auch einen Beitrag im Bereich Sicherheit und Verteidigung zu leisten. Auch das ist erwünscht, auch das ist gewollt."

Rüstungsforschung

In Sachen Rüstungsforschung verweist Kretschmann auf die Bedeutung von Feldern wie "KI und Quantentechnologie, Cybersicherheit und Cyberabwehr, komplexe Datenauswertung, Kommunikationssysteme, autonomes Fahren und Robotik, neue Materialien, Satellitennetzwerke, Luft- und Raumfahrt." Als Orte, an denen prominent dazu geforscht werde, nannte Kretschmann Stuttgart, die Hochschulen Albstadt-Sigmaringen und Esslingen, den Leistungsbereich Verteidigung, Vorbeugung und Sicherheit mit vier Fraunhofer-Instituten sowie den Bereich Cybersecurity in Karlsruhe, Tübingen, Stuttgart und Heilbronn.

Um diese Forschungen systematischer voranzutreiben, solle in Kürze ein "Innovationscampus Sicherheit und Verteidigung" ins Leben gerufen werden: "Er soll das Thema Sicherheit und Verteidigung in bestehende Cluster und Netzwerke einbringen, ihre Arbeit und Zusammenarbeit fördern und den Transfer von Forschungsergebnissen vorantreiben. Damit schaffen wir beste Voraussetzungen, um unsere exzellente Forschung direkt zur Anwendung zu bringen. Darüber hinaus arbeiten wir an weiteren konkreten Projekten, beispielsweise am Bau eines Hyperschallkanals an der Universität Stuttgart, dessen Forschungsergebnisse zur Entwicklung von Hyperschallflugzeugen dienen sollen."

Finanzen: Whatever it takes!

Auch in Sachen Militärausgaben ist der grüne Ministerpräsident voll auf Linie: "Bundeskanzler Merz hat hierzu eine klare Ankündigung gemacht: ‚whatever it takes‘. Das ist richtig und das ist nötig, denn die Baustellen sind groß. […] Klar ist: Wir müssen die nötige Abschreckung jetzt sehr zügig aufbauen. Und das wird uns eine Menge Geld kosten. Deshalb haben Bund und Länder vor wenigen Wochen gemeinsam das Grundgesetz geändert."

Damit stellt sich Kretschmann ohne Wenn und Aber hinter die Ankündigung, dass die deutschen Militärausgaben von rund 90 Mrd. Euro (2024) bis 2029 auf 167,8 Mrd. Euro (3,5%/BIP) bzw. einschließlich der Ausgaben für militärische Infrastruktur sogar auf etwa 240 Mrd. Euro (5%/BIP) erhöht werden sollen (siehe IMI-Standpunkt 2025/037).

Die gigantischen Schulden, die dafür in den kommenden Jahren durch die weitgehende Aussetzung der Schuldenbremse, an der die Grünen maßgeblich mitgewirkt haben, aufgenommen werden, werden jetzt schon von interessierten Kreisen ins Feld geführt, um noch drastischere Sozialkürzungen auf den Weg zu bringen. Doch darüber verliert Kretschmann natürlich kein Wort.

Und auch die Europäische Union bleibt von Kretschmanns Ausführungen nicht verschont. Explizit lobt er das von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang März angekündigte "Re-Arm-Europe-Programm", mit dem die Mitgliedstaaten dabei unterstützt werden sollen, mindestens weitere 800 Mrd. Euro für die Aufrüstung zu mobilisieren (siehe IMI-Analyse 2025/10).

Es gehe darum, eine "starke europäische Verteidigung aufzubauen", weshalb auch die EU-Eigenmittel in diesem Bereich erhöht werden müssten: "Diese Aufgaben müssen auch europäisch mitfinanziert werden, wenn es möglich ist, im Rahmen des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens , der aktuell diskutiert wird, wenn es nötig sein sollte, müssen wir aber auch auf dieser Ebene bereit sein, über eine gemeinsame Schuldenaufnahme für Verteidigungsausgaben nachzudenken."

In diesem Zusammenhang dürfte der nur wenige Tage vor seiner Regierungserklärung vorgelegte Vorschlag der Kommission für den nächsten EU-Haushalt 2028 bis 2034 ganz nach dem Geschmack Kretschmanns gewesen sein, schließlich ist darin vorgesehen, die militärrelevanten Töpfe in etwa um den Faktor 10 zu erhöhen (siehe IMI-Standpunkt 2025/044).

Si vis pacem!

Wie es sich gehört, versichert Kretschmann gleich zu Beginn seiner Regierungserklärung, es sei im "wichtig" zu betonen, er sei "nicht kriegsbegeistert, geschweige denn kriegslüstern, ganz im Gegenteil." Aber er sei "überzeugt, dass wir uns jetzt entschlossen auf den Ernstfall vorbereiten müssen, dass wir jetzt aufrüsten müssen, dass wir jetzt verteidigungsfähig werden müssen, weil wir nur so den Frieden wahren können. Sich verteidigen können, um sich nicht verteidigen zu müssen, das ist für mich der Kern dessen, worum es geht."

Dass er sich dann bei seinem anschließenden Ritt durch die aktuelle sicherheitspolitische Debatte nahezu die gesamte Wunschliste von Militär und Rüstungsindustrie zu Eigen macht, konterkariert derlei Versicherungen. Zumal seine Ausführungen dann zum Ende erneut mi altbekannten Phrasen garniert werden, in die derlei Aufrüstungsplädoyers seit Urzeiten verpackt werden: "Unser Ziel ist Frieden. Wir brauchen deshalb eine Aufrüstung, um den Frieden zu sichern, und keinen Militarismus. Der Weg zum Frieden führt aber nur über eine glaubwürdige Abschreckung. Dazu leisten wir als Land unseren Beitrag."

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Standpunkt 2025/045.

Veröffentlicht am

25. Juli 2025

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