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Militärrepublik Deutschland

Deutschland steht nach den jüngsten Ankündigungen von Merz und Wadephul zur Hochrüstung der Bundeswehr zur "konventionell stärksten Armee Europas" mit fünf Prozent des BIP vor dem umfassendsten sozioökonomischen Wandel seit 1990.

Deutschland steht nach den jüngsten Ankündigungen der neuen Bundesregierung zur geplanten Hochrüstung der Bundeswehr und zum Kampf um die militärische Führung in Europa vor einem massiven Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte vergangene Woche erklärt, die Bundeswehr solle "zur konventionell stärksten Armee Europas" werden. Außenminister Johann Wadephul hatte sich ausdrücklich zu dem in Planung befindlichen neuen NATO-Ziel bekannt, künftig fünf statt zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für militärische Zwecke auszugeben. Berlin sei "bereit, in eine Führungsrolle in Europa zu gehen" und "andere aufzufordern, uns zu folgen", äußerte Wadephul. Mit einer heftig schuldengetriebenen Hochrüstung könnte die Bundeswehr tatsächlich die Streitkräfte Frankreichs hinter sich lassen, das wegen seiner jetzt schon sehr hohen Verschuldung keine exzessiven Rüstungskredite aufnehmen kann, ohne eine drastische Finanzkrise befürchten zu müssen. Die Entwicklung geht mit einem deutlichen Machtgewinn der Rüstungsindustrie auf Kosten ziviler Branchen und mit dramatischer gesellschaftlicher Militarisierung einher. Es droht der wohl umfassendste soziale Wandel seit 1990.

"Die stärkste Armee Europas"

Absolute Priorität im gesamten Handeln der neuen deutschen Regierung hat "die Stärkung der Bundeswehr". Diese stehe "in unserer Politik an erster Stelle", bekräftigte Bundeskanzler Friedrich Merz in seiner Regierungserklärung am vergangenen Mittwoch. Dabei wolle die Bundesregierung "alle finanziellen Mittel zur Verfügung stellen", die die Streitkräfte benötigten, "um zur konventionell stärksten Armee Europas zu werden".Regierungserklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz zur neuen Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag am 14. Mai 2025 in Berlin. "Unsere Freunde und unsere Partner", behauptete Merz, "fordern es geradezu ein". Darüber hinaus wolle die Regierung Deutschland "zu einer Wachstumslokomotive" machen, "auf die die Welt mit Bewunderung schaut". Das sei auch außenpolitisch notwendig, erklärte Merz: "Deutschlands Gestaltungskraft in der Welt steht und fällt mit unserer wirtschaftlichen Stärke." Außerdem wolle Berlin "Initiativen ergreifen", die darauf abzielten, dass "Europa seinem Anspruch und seiner Bedeutung in der Welt gerecht wird". "Dieses Europa blickt heute auf uns, auf Deutschland", fuhr Merz fort: "Europa erwartet etwas von uns." Der Kanzler räumte dabei ein, dass "die Entscheidungen" der Regierung – etwa die klare Priorisierung des Militärs – "prägend sein" werden "für das Leben unserer Kinder und unserer Enkelkinder". Sie dürften die Bundesrepublik in der Tat tiefgreifend verändern.

Deutschland in der "Führungsrolle"

Umfang und Ziel der Hochrüstung präzisierte Außenminister Johann Wadephul am Rande eines Treffens mit seinen NATO-Amtskollegen am vergangenen Donnerstag in Antalya. Mit Blick auf das Ziel von NATO-Generalsekretär Mark Rutte, die Militärausgaben der Mitgliedstaaten verpflichtend auf fünf Prozent ihres nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) festzulegen, erklärte Wadephul: "Die neue Bundesregierung unterstützt [das] vollständig". Deutschland sei "bereit und in der Lage", die Aufstockung der Militärausgaben auf rund das Zweieinhalbfache seiner gegenwärtigen Aufwendungen für die Streitkräfte zu leisten. homas Gutschker: Deutschland will die NATO anführen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.05.2025. Die Mittel sollen dabei gesplittet werden; 3,5 Prozentpunkte sollen der Bundeswehr direkt, 1,5 Prozentpunkte der militärischen Infrastruktur zugute kommen. Mit dem BIP-Anteil von fünf Prozent verdrängt die Militarisierung tatsächlich den bislang größten Haushaltsposten für Arbeit und Soziales, aus dem insbesondere Renten und Sozialleistungen gezahlt werden, auf Platz zwei. Beim aktuellen Stand des BIP flössen 150 Milliarden Euro (statt aktuell 52) in den Militärhaushalt, 65 weitere Milliarden in militärische Infrastruktur.S. dazu Das Fünf-Prozent-Ziel der NATO . Berlin sei "bereit, in eine Führungsrolle in Europa zu gehen, Vorbild zu sein und andere aufzufordern, uns zu folgen", erklärte Wadephul in Antalya. Thomas Gutschker: Deutschland will die NATO anführen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.05.2025.

Der Weg ist frei

Der von Merz und Wadephul bestätigte Plan, die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Streitmacht in Europa aufzuwerten und ihr die Führungsrolle unter den europäischen NATO-Staaten zu verschaffen, könnte unter finanziellen Aspekten aufgehen. Bislang gelten die Armeen Frankreichs und – jenseits der EU – Großbritanniens weithin als schlagkräftiger als die Bundeswehr. Allerdings gilt es als äußerst zweifelhaft, dass die beiden Staaten ihren jeweiligen Militärhaushalt so stark aufstocken können wie Deutschland. Ursache ist, dass es für Berlin nach einem entsprechenden Beschluss des Bundestags möglich ist, Schulden zur Aufrüstung in beliebiger Höhe aufzunehmen, während dies insbesondere für Frankreich kaum machbar erscheint; der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt den Anteil der französischen Schulden am BIP für das Gesamtjahr 2025 auf 116,3 Prozent – ein Wert, der bei übermäßiger Steigerung in eine neue Schuldenkrise ähnlich der Eurokrise vor eineinhalb Jahrzehnten zu führen droht. Paris, dem der Weg zur schuldenfinanzierten Hochrüstung à la Deutschland damit versperrt ist, dürfte künftig bei der Beschaffung von Kriegsgerät hinter Berlin zurückfallen. S. dazu Verbündete Rivalen . Für Großbritannien, dessen Schulden der IWF auf 103,9 Prozent des BIP beziffert, sieht es ähnlich aus. Damit wäre für Deutschland der Weg frei, zur stärksten Militärmacht Europas aufzusteigen.

Der militärisch-industrielle Komplex

Mit der beispiellosen Hochrüstung, die die Bundesregierung in der vergangenen Woche in Aussicht gestellt hat, könnte Deutschland nicht nur tatsächlich zur stärksten konventionellen Militärmacht Europas werden. Es droht auch eine erhebliche Verschiebung in den inneren Kräfteverhältnissen der deutschen Wirtschaft. Bislang ist die Kfz-Industrie die mit Abstand größte und mächtigste Branche in der Bundesrepublik, gefolgt vom Maschinenbau und von der Chemie. Laut einer aktuellen Analyse von Deutsche Bank Research erwirtschaftet die Kfz-Branche einen Anteil von fünf Prozent am BIP, während die Rüstungsindustrie bloß auf einen Anteil von 0,2 Prozent kommt.Germany’s shrinking auto industry may be key to defence ramp up. dbresearch.com 31.03.2025. S. auch Konversion rückwärts . Allerdings schrumpft die Autobranche; Deutsche Bank Research beziffert den Rückgang der Produktion auf 31 Prozent von 2011 bis 2024, gibt die Auslastung großer Werke von Volkswagen mit nur 25 Prozent (Osnabrück) oder 35 Prozent (Dresden), von Ford mit 30 Prozent (Saarlouis) an – und schlägt vor, den längst in Gang befindlichen Prozess der Übernahme von Kfz-Werken durch Rüstungskonzerne mit Nachdruck voranzutreiben. Damit ließen sich die Beschaffung neuer Kapazitäten sowie die Umstellung auf Serienfertigung von Kriegsgerät beschleunigen. In dem Maß, in dem das Gewicht der Kfz-Industrie sinkt, nehmen das Gewicht und der politische Einfluss der Rüstungsindustrie zu.

"Kollektiver Opfermut"

Nicht zuletzt steht der Bundesrepublik eine massive gesellschaftliche Militarisierung bevor. Dies betrifft zum einen die Indienststellung bislang weitgehend ziviler sozialer Segmente für Aufgaben, die in künftigen Kriegen anfallen. So nimmt etwa der Druck auf Krankenhäuser zu, nicht etwa die mangelhafte Versorgung der Bevölkerung zu verbessern, sondern sich auf einen etwaigen Krieg vorzubereiten, bei dem laut offiziösen Schätzungen mit wohl rund 1.000 verletzten Soldaten pro Tag zu rechnen sei. Zum anderen wächst der Druck auf Zivilisten, individuell Vorkehrungen zu treffen, um bei einem Waffengang sich selbst schützen zu können; die Bevölkerung müsse so rasch wie möglich "resilienter werden", sich etwa mit Notvorräten eindecken, heißt es regelmäßig.Hauke Friederichs: "Die Bevölkerung in Deutschland muss resilienter werden". zeit.de 12.05.2025. S. dazu Zivilisten im Krieg (II) und "Krieg geht alle an" . Zunehmend wird auch gefordert, die Bereitschaft, das eigene Leben zu opfern, müsse stärker werden: "Alle herausragenden Kulturleistungen" hingen am "Einsatzwillen von Individuen und Gruppen", hieß es kürzlich in der einflussreichen Frankfurter Allgemeinen Zeitung; "der kollektive Opfermut" sei "die kardinale Ressource jeder kriegerischen Verteidigung" und müsse deshalb gefördert werden.Egon Flaig: Kann die Demokratie ohne Opferbereitschaft überleben? faz.net 11.03.2025. Laut einer aktuellen Umfrage sprechen sich inzwischen 50 Prozent der Bevölkerung dafür aus, Deutschland "kriegstüchtig" zu machen; lediglich 31 Prozent sind dagegen. Allerdings sind bisher nur 29 Prozent bereit, "Deutschland mit der Waffe zu verteidigen"; 54 Prozent lehnen dies ab – noch.Hermann Binkert: Wie die Deutschen ticken: Ja zur Kriegstauglichkeit, nein zum Kämpfen. theeuropean.de 18.05.2025.

Quelle: www.german-foreign-policy.com vom 19.05.2025.

Fußnoten

Veröffentlicht am

21. Mai 2025

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