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Nie wieder Friede

Ernst Tollers bittere, hochaktuelle Komödie über Militarismus und Antipazifismus aus dem Jahr 1936 - jetzt als friedensbewegte Edition

Von Peter Bürger

Über Nacht haben Militarismus und Kriegsertüchtigung wieder die Kontrolle über das öffentliche Leben übernommen. Noch gestern hatte man den Ewigen Frieden in der Verfassung beurkundet und sich stolz gebrüstet, bei den "Lehren aus der Geschichte" alle anderen zu überflügeln. Doch jetzt bläst dieselbe Fraktion zur Hetze gegen die Lumpenpazifisten, bringt Militainment zur besten Sendezeit und setzt eine gigantische Aufrüstung der Waffenarsenale ins Werk. Die angestrebte Weltmeisterschaft gilt nunmehr dem überaus einträglichen Sektor der Totmach-Industrien.

Ernst Tollers bittere Komödie "Nie wieder Friede" (1934/36) klärt uns auf, wie so etwas möglich ist. Das falsche Friedensplakat trug auf seiner Rückseite immer schon die Parole für neue Kriegsabenteuer: "Man muß es nur umdrehen." Ob Kosmopolitismus oder nationale Weltgeltung (an der Spitze), ob Freiheitspredigt oder autoritäre Staatspolitik, ob Krieg oder Frieden - das entscheidet sich stets an der jeweiligen Lageeinschätzung der Besitzenden und Herrschenden. Zu folgen ist den Einflüsterungen der Kriegsprofiteure.

Eine Wette "über den Wolken" um Krieg oder Frieden …

Wer wird beim Experiment zur Kriegstauglichkeit der Erdenbewohner "gewinnen": Soldatenkaiser Napoleon oder ein heiliger Franziskus? "Nie wieder Friede" spielt "in exemplarischen Szenen die irdische Probe auf einen ‚himmlischen’ Prinzipienstreit durch. Im Olymp geraten Napoleon und Franziskus von Assisi in einen Streit über die Frage, ob die Menschen eher zum Krieg oder zum Frieden neigen. Wer von beiden recht hat, soll sich in dem irdischen Kleinstaat Dunkelstein erweisen, wo soeben eine große Feier des Friedens staatfindet. Auf die vom Olymp aus fingierte Nachricht, der Krieg sei ausgebrochen, erweist sich sehr schnell die Kriegsbereitschaft der soeben noch friedliebenden Gesellschaft. Der militaristische Umschwung … bleibt nicht ohne Widerstand, scheint aber zunächst nicht aufzuhalten. Die erneute Wende zurück zum Frieden wird wiederum durch eine Manipulation aus dem Olymp veranlasst und in Dunkelstein ebenso anstandslos nachvollzogen wie zuvor diejenige zum Krieg - ein Ausgang des Experiments, der den Bellizisten Napoleon ebenso wenig zufriedenstellt wie den Pazifisten Franziskus … Die Frage, ob die Menschen eher zum Krieg oder zum Frieden neigen, bleibt offen. Am Ende zweifelt Franziskus, ob diese Frage überhaupt die richtige Frage war, und beginnt zu überlegen, ob es vielleicht an der Qualität des Friedens liegt, dass so viele Menschen ihn so leicht aufgeben" (Bernhard Spies: Die Komödie in der deutschsprachigen Literatur des Exils. Würzburg 1997, S. 45) und lieber jener gnadenlosen Ideologie des "Gewinnens" folgen, die - fast - nur Verlierer produziert.

Nach den Bücherverbrennungen: Toller, der ausgebürgerte "jüdische Lumpenpazifist", schrieb im Exil

Der Verfasser des hochaktuellen Bühnenstücks war linker Pazifist mit jüdischer Herkunft. Damit passte er gleich dreimal ins Feindbildvisier der Nazis, denen der Sozialismus der Internationalen und Pazifismus allerdings ohnehin als todeswürdige Erfindungen von Juden galten. 1933 setzte NS-Deutschland Ernst Toller https://www.ernst-toller.de/person/ . (1893-1939) auf die allererste Ausbürgerungsliste und warf seine Werke ins Feuer. Nach neun Jahrzehnten sollten wir die "verbrannten Bücher" wieder unter die Leute bringen, denn der Militarismus scheint unausrottbar zu sein.

Christiane Schönfeld teilt in einem Text https://dspace.mic.ul.ie/handle/10395/2176 . für die Ausgabe "Sämtlicher Werke" zur Entstehung des am 11. Juni 1936 in London uraufgeführten - hernach auch in Nordamerika dargebotenen - Bühnenstücks mit: "Ernst Toller arbeitete an der deutschen Fassung von ‚Nie wieder Friede!’ zwischen 1933 und 1936. Ein Typoskript, das als Grundlage für die englische Übersetzung diente, ist in der Tollersammlung der Yale-University-Library archiviert. Dieses Typoskript, das 1936 entstanden sein muss …, enthält bereits eine vollständige Fassung des Stücks, die aber noch vor der auf Englisch erfolgten Uraufführung durch weitere Liedstrophen und eine Szene in deutscher Sprache ergänzt wurde."

Toller lässt die Frage, ob Kriegsertüchtigung oder Friedensfeier in der menschlichen Geschichte den "Sieg" davontragen werden, offen. Noch scheint die Sache nicht entschieden zu sein. Wenn nun das "Programm Krieg" doch keine ewige, unausweichliche "Naturtatsache" ist, welche unsere Gattung am Ende zwangsläufig auf Fatalismus und kollektiven Selbstmord festlegen müsste? Dann läge alles daran, dass Widerstehen - nicht Ergebung - bei einer neuen Generation "Schule macht" und zum Fest wird.

Ringen um die geistig-kulturellen Hegemonie

Die Basis des kriegerischen Überbaus überdauert, als wäre sie in Zement gegossen. Sollten wir doch lieber ansetzen beim "Olymp" über den Wolken, wo das Ringen um die geistig-kulturellen Hegemonie und also um die vorherrschende Grundgesinnung einer Gesellschaft ausgetragen wird? Schon 1517 rief Erasmus von Rotterdam in seiner - durchaus auch satirischen - "Klage des Friedens" (Querela Pacis) aus: "Alle müssen sich gegen den Krieg verschwören und ihn gemeinsam verlästern. Den Frieden aber sollen sie im öffentlichen Leben und im privaten Kreise predigen, rühmen und einhämmern."

Seit Jahrzehnten dominieren die massenkulturellen Produktionen https://overton-magazin.de/top-story/kriegskino-im-fernsehen-black-hawk-down-2001/ . von militärisch-unterhaltungsindustriellen Komplexen. Das dem entsprechende "Infotainment" - ein Zwitter - hat auch die seriösen Nachrichtenformate schon in beträchtlichem Ausmaß ersetzt. Gleichzeitig müssen Friedensvoten in den vorherrschenden Mediensortimenten mit der Lupe gesucht werden. "Blockbuster", welche die Schönheit, Kraft und Intelligenz der Gewaltfreiheit ansichtig werden lassen, gibt es überhaupt nicht - aus gutem Grund, denn nichts fürchten die Herrschenden mehr als die Einsicht, dass Vernunft (auch bezogen auf nachweisbar wirksame Mittel) und Menschlichkeit übereinkommen. Summa summarum: Wann war das Feld einer antimilitaristischen Kultur zuletzt in einem so erbärmlichen Zustand wie heute?

Allerwegen "den Frieden zu rühmen", wie Erasmus es fordert, das ist nun zweifelslos die anspruchsvollste künstlerische Vision. Dass hier gegenüber der bellizistischen Leidenschaft eine ungleich größere, ja überhaupt die größte Herausforderung an die Kunst wartet, haben Wim Wenders und Peter Handke im Drehbuch zum Film "Der Himmel über Berlin" (BRD / Frankreich 1986/87) bedacht: "Noch niemandem ist es gelungen, ein Epos des Friedens anzustimmen. Was ist denn am Frieden, dass er nicht auf die Dauer begeistert und dass sich von ihm kaum erzählen lässt?"

Den Krieg verlästern - eine drängende, vielleicht auch lustvolle Aufgabe …

Naheliegender ist - angesichts des unüberbietbaren Irrationalismus der auf allen Kanälen verkündeten Heilslehre des Militärischen - zur Stunde vielleicht die erasmische "Verlästerung des Krieges". (Die großen Hoffnungen, die wir hier zeitweilig sogar in das "öffentlich-rechtliche Kabarett" setzten, sind freilich schon verflogen - der Weg bleibt nichtsdestotrotz als eine von mehreren Optionen richtig.)

Wieso sollte die der Liebe zum Leben gewidmete Unternehmung einer Verlästerung des Krieges nicht lustvoll sondergleichen ihre Kreise ziehen, bis die Bitterkeit aus der Komödie entweichen kann? Die pathetische Moralpredigt des Franziskus in Tollers "Olymp" kann der großen Traurigkeit nicht wehren und wird die Welt gewiss nicht retten, leider! Auszurichten wäre "Das Fest der Narren: Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe" (Harvey Cox, 1970).

Neue Pazifistische Kulturszenen, Chöre, Songgruppen, Filmclubs und Theaterprojekte braucht das Land … Wie wäre es, die hier vorgestellte kleine Toller-Edition würde einen Kreis oder mehrere Gruppen von Friedensbewegten und sogenannten Kulturschaffenden animieren, eine radikale (!) Neuinszenierung des komischen Dramas "Nie wieder Friede" aus den Vorjahren des letzten Weltkrieges zu erproben? "Wer keine Kraft zum Traum hat", so heißt es in Ernst Tollers Heimkehrer-Stück "Der deutsche Hinkemann" (1923), "hat keine Kraft zum Leben".

Ex-Soldaten kennen die Kriegs-Kloake

Toller verfasste seine Texte gegen den Krieg nicht aus einer augenblicklichen Laune heraus. Seinen Weg als "Kriegserfahrener", dem die "Süßigkeit" des allgegenwärtigen Heldengelabers gründlich verging, hat er in der Autobiographie "Eine Jugend in Deutschland" (1933) beschrieben (womit aufs Neue aufgezeigt war, dass Pazifisten die mit der Kriegskloake vertrauten Soldaten zu Wort kommen lassen müssen). Er wollte gerne mithelfen bei einem vollständigen Bruch mit jenen Herrschaften, die ihr Militär- und Kriegsgeschäft zu allen Zeiten auf dem Rücken der Armen abwickeln. Doch in einem Land mit derart tiefsitzenden Macht-, Alltags- und Denkstrukturen des Militarismus wie Deutschland ist solches nicht möglich.

Im April 1919 beklagte der achte Deutsche Pazifisten-Kongress, "dass seit der Revolution im Bürgerkrieg die Grundsätze des Pazifismus von der Heiligkeit des menschlichen Lebens nicht berücksichtigt sind. Wertvollste geistige Führer und hunderte namenlose Mitkämpfer sind auf diese Weise geopfert. Der Kongress fordert, dass mit diesem Militarismus im Innern gänzlich gebrochen wird und kein Todesurteil, insbesondere nicht gegen den Pazifisten Toller, ausgesprochen und vollzogen wird …" (Die Friedens-Warte, Jg. 1919, S. 118.)

Nachgeschichte zu einer Tübinger Toller-Aufführung von Studierenden

Im Jahre 1985 führten wir, Mitglieder einer ökumenischen Theatergruppe der evangelischen und der katholischen Studentengemeinde Tübingen, Tollers erst sehr spät und äußerst selten in deutschen Landen gespieltes Bühnenstück auf. Claudius Kurtz, Pfarrerssohn und evangelischer Theologiestudent mit absolviertem Wehrdienst, hatte damals die Rolle des Napoleon übernommen. Ich selbst - Spross aus einer Heizungsbauerfamilie, Militärdienstverweigerer und katholischer Priesteramtskandidat - spielte den Friedensanwalt Franziskus: in der Ordenskutte eines franziskanischen Kommilitonen.

Während des Katholikentags 2018 in Münster wurde mit meiner Beteiligung öffentlich in einer Veranstaltung des Militärkirchenwesens über die neue "Einsatzbereitschaft" der Bundeswehr (unter dem Vorzeichen der sogenannten "Schutzverantwortung") diskutiert. Dort trafen wir beiden Tübinger Theater-Kontrahenten uns nach Jahrzehnten wieder. "Napoleon" war kein Pazifist geworden und mich hatte die Militärreligion noch immer nicht bekehren können. In letzter Zeit scheint "Napoleon" aber sehr nachdenklich geworden zu sein …

Der Text basiert zum Großteil auf dem Vorwort zu folgender Edition:

Ernst Toller: Nie wieder Friede. Eine bittere Komödie über Militarismus und Antipazifismus aus dem Jahr 1936. (= edion pace, Band 13 - bearbeitet und herausgegeben von Peter Bürger). Norderstedt: BoD 2024. (ISBN: 9783758382468; Paperback; 140 Seiten; 7,80 €).
Inhaltsverzeichnis und Leseprobe auf der Verlagsseite https://buchshop.bod.de/nie-wieder-friede-ernst-toller-9783758382468

Die friedensbewegte Ausgabe von Tolstois Bühnenstück ist zuerst in einer kostenfrei abrufbaren, nicht illustrierten Online-Version https://www.tolstoi-friedensbibliothek.de/wp-content/uploads/2024/03/TFb_X001_Toller.pdf der Tolstoi-Friedensbibliothek erschienen.

Mit freundlicher Genehmigung entnommen dem Online-Magazin Overton , 17.03.2024

Fußnoten

Veröffentlicht am

22. März 2024

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