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Wolfram Frommlet: “Free Julian Assange”

Von Wolfram Frommlet - Rede bei Mahnwache am 21. Februar 2024 in Ravensburg

Liebe Sympathisantinnen, Sympathisanten für Julian Assange,

ich bin Wolfram Frommlet, spreche als Mitglied bei Reporter ohne Grenzen und für PUK, Politik und Kultur - ein soziokulturelles Zentrum in Ravensburg.

Der Fall Julian Assange hat das Zeug zu einer schwarzen Komödie, zu absurdem Theater - der Autor und Journalist Charles Glass besuchte seinen Freund Julian Assange in Belmarsh Prison. Ein Hochsicherheitsgefängnis für Terroristen, Bombenleger, in Italien wäre dieser Bau für Schwerverbrecher der Comorra, der Mafia.

Glass hat drei Bücher dabei. Eines, von ihm, mit Signatur. Wird konfisziert. Es könnte sich um einen Geheimcode handeln. Die anderen beiden? Auch kein Geschenk für Assange. Er habe das Limit an Büchern in seiner Zelle erreicht. Nachfrage von Glass, warum? Brandgefahr.

Wenn Stella Assange ihn mit den kleinen Söhnen Max und Gabriel besucht, werden sie elektronisch durchleuchtet und von Spürhunden abgeschnüffelt.

Nils Melzer, der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Folter, beschrieb die Haftbedingungen als mentale Folter. Und, sagte er Medien, er sei über diplomatische Kanäle im Fall Assange behindert worden. In diesen Kanälen dürfte der frühere CIA-Chef und Trumps Außenminister Mike Pompeo eine Rolle spielen. Die von Assange 2006 gegründete Nachrichtenagentur Wikileaks nannte er im selben Atemzug mit dem Islamic State und Al Quaida.

Die seltenen Fotos des 52jährigen Assange zeigen einen früh gealterten Mann, der im Oktober 2021 einen kleinen Schlaganfall hatte.

Es ist ein kleines Wunder, dass er nach sieben Jahren in der ecuadorianischen Botschaft und fünf Jahren in Belmarsh seine Ironie, seine sprachliche Schärfe nicht verloren hat, in einem brillanten Brief vom Mai 2023 an den neuen britischen König.

Daraus ein paar Auszüge als Lichtblick gegen die bisherige Unmenschlichkeit der britischen Justiz, die man besser als "boot licker", als Speichellecker der amerikanischen Scharfmacher bezeichnen sollte.


Brief von Assange

To His Majesty King Charles III

Anlässlich Ihrer Krönung dachte ich, es wäre eine schöne Geste, Sie herzlich einzuladen, dieses großartige Ereignis in Erinnerung zu halten, indem Sie in Ihrem eigenen Königreich ein besonderes Königreich zu besuchen: das Gefängnis Seiner Majestät in Belmarsh.

Den wahren Wert einer Gesellschaft kann man daran erkennen, wie sie ihre Gefangenen behandelt. In dieser Hinsicht ist Euer Königreich sicher beispielhaft.

Hier im Gefängnis Belmarsh sind 687 Ihrer treuen Untertanen inhaftiert, was das Vereinigte Königreich zum Land mit der höchsten Gefängnispopulation in Westeuropa macht.

Die kühnen Prognosen Ihrer Regierung erwarten, dass die Gefängnispopulation von heute 82.000 bis in vier Jahren auf 106.000 steigt.

Als politischer Gefangener, der nach dem Willen Eurer Majestät im Auftrag eines beleidigten ausländischen Staates festgehalten wird, habe ich die Ehre, in den Mauern dieser Einrichtung auf Weltklasse Niveau zu residieren.

Während Ihres Besuchs in Belmarsh werden Sie Gelegenheit haben, die kulinarischen Feinheiten zu kosten, die für Ihre treuen Untertanen mit einem großzügigen Budget von zwei Pfund pro Tag zubereitet werden. Genießen Sie die verschnittenen Thunfischköpfe und die in wechselnden Formen dargereichten Gebilde, die angeblich aus Huhn hergestellt werden. Und im Gegensatz zu weniger bedeutenden Anstalten wie Alcatraz oder San Quentin gibt es kein gemeinsames Essen in einer Kantine. In Belmarsh speisen die Gefangenen allein in ihren Zellen, was die größtmögliche Intimität der Mahlzeit gewährleistet.

Tief im Inneren der Anstalt finden Sie den einsamsten Ort in Belmarsh / dezent als Belmarsh End of Life Suite bezeichnet. Vielleicht hören Sie die Schreie von Gefangenen: "Bruder, ich werde hier drin sterben."

Das Gefängnis in Belmarsh zu besuchen ist eine Ehre, die einem König gebührt. Möget Ihr Euch zu Beginn Eurer Regentschaft immer an die Worte aus der Bibel, Matthäus 5:7 erinnern: "Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen".

Your most devoted subject, Julian Assange


Einige Anmerkungen, worum es beim Fall Assange und auch bei den beiden letzten Anhörungen im High Court in London geht:

Assange hat keine Betriebsgeheimnisse eines Unternehmens für viel Geld an einen Konkurrenten verkauft, keine Geschäftsschädigung betrieben.

Wobei hier bereits eine entscheidende Frage aufkommt: wäre die "anonyme" Offenlegung von Produkten, an denen die Chemie-, die Rüstungsindustrie arbeitet und die die Menschheit extrem gefährden werden, kriminell, oder moralisch, ethisch zu rechtfertigen im Interesse der Gesellschaft, der Menschheit, also eine Form des Widerstandes?

Julian Assange hat niemanden geschädigt. Er hat, zu Beginn mit Chelsea Manning, Hunderte vertuschte amerikanische Kriegsverbrechen öffentlich gemacht. Dies tat auch der Ökonom und Friedensaktivist Daniel Ellsberg 1971, mit der Veröffentlichung der geheimen Pentagon-Papers zum Vietnam-Krieg. Eine Anklage der Regierung wurde von einem amerikanischen Gericht verworfen; Chelsea Chelsea Manning wurde von Barack Obama begnadigt (ein absurdes Wort, weil es Politikern "Gnade" attestiert).

Das bekannteste Kriegsverbrechen, das Wikileaks öffentlich machte, war das mit der Besatzung eines Apache-Helikopters, die im Juli 2007 in Bagdad Zivilisten, die sie für Terroristen hielt, erschoss, auch zwei Reuters-Journalisten waren darunter.

Assange, behauptet das Pentagon bis heute, habe das Leben amerikanischer GIs gefährdet. Welch eine Lüge! GIs waren bei jedem der Hunderte von Kriegsverbrechen, die Assange öffentlich machte, gefährdet. Zigtausende sind in Amerikas Kriegen umgekommen.

An Assange soll in den USA, mithilfe der britischen Justiz, ein Exempel statuiert werden, gegen Whistle Blower generell, die Verbrechen des Staates, der Geheimdienste, der Militärs, der Rüstungskonzerne und kapitalistischer Monopole - ob Banken oder Währungsfonds - aufdecken.

Und deshalb ist Assange kein Krimineller, sondern ein politischer Gefangener der britischen und der amerikanischen Herrschaftselite. Und deren Compradoren.

Politische Gefangene gibt es Tausende, in China und Russland, im Jemen, in Syrien, der Türkei, Thailand, Myanmar, im Iran oder in Tschetschenien.

Dies sind keine Demokratien, sondern autokratische, diktatorische Regime. Assange aber ist ein politischer Gefangener im demokratischen Großbritannien, für lebenslange Haft auserwählt in den USA, deren Motto lautet "For freedom and democracy".

Die a-moralischen Abgründe, die Verlogenheit dieser beiden Demokratien - Trauer um Navalny, Schweigen zu Assange - sind eine Schande für jede Demokratie und alle, die dazu schweigen, auch in der deutschen Politik.

Zwei Begriffe ziehen sich durch den Fall Assange; keine Ratio, sondern primitivste Emotionen - Abschreckung und Rache.

Die Beschlüsse der Richter des Royal High Court in London liegen noch nicht vor, es gibt drei Optionen:

  1. Auslieferung an die USA, d.h. Todesstrafe auf Raten; die letzte Instanz wäre dann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Brüssel - was Zeit bräuchte. London würde ihn wohl, so wie sich die Justiz bislang verhielt, deshalb sofort abschieben, dann hätte sich der Europäische Gerichtshof erledigt.
  2. Keine Abschiebung, dann aber bliebe er vermutlich weiter in Belmarsh Prison, wie lang, weiß niemand, es gibt keine rechtliche Basis - Assange, mental wie psychisch fragil, würde auch dies ebenfalls nicht lange überleben und das soll er ja auch nicht. Einen wie ihn zu beseitigen, ist ein Finger-schnippen für die britische wie die amerikanische Justiz.
  3. Freilassung - unwahrscheinlich, unter einer Tory Regierung. Das breite Bündnis im australischen Parlament für seine Freilassung (Assange ist Australier), die internationalen Organisationen hinter der Bewegung "Free Assange" müssten weitermachen - ai, Reporter ohne Grenzen, Internationaler PEN Club, Human Rights Watch, die OSZE, das CJP Committee to Protect Journalists und viele mehr - und wir alle, "shame on you", "Schande über Euch!" unser Motto!

Einige Sätze noch, was der Fall Assange global bedeutet:

2023 wurden weltweit 99 Medienschaffende getötet, das ist ein Anstieg von 44% gegenüber 2022! In einem Jahr!

In Gaza wurden seit dem Krieg bislang 77 Journalisten getötet, 72 davon Palästinenser; ob sie bewusst getötet wurden, lässt sich nicht verifizieren - noch nie aber wurden in einem Land in so kurzer Zeit so viele Journalisten getötet.

Deutschland rutschte im internationalen Ranking wegen der Gewalt gegen Umweltaktivisten von Platz 16 auf Platz 21; harmlos im globalen Vergleich, uns sollte es beunruhigen.

Die Zahl der rechten Medienmilliardäre, die sich in solide Verlage, in liberale, links-liberale Zeitungen einkaufen oder sie komplett aufkaufen, nimmt in Europa und in den USA beängstigend zu - in Großbritannien (und anderen Ländern) Rupert Murdoch, die Kronenzeitung in Österreich als Propaganda für die rechte FPÖ; der Berlusconi-Medienkonzern nicht nur in Italien, der Rüstungskonzern Dassault ist Besitzer des Le Figaro, der rechtsidentitäre Milliardär Vincent Bolloré in Frankreich kauft systematisch links-liberale Zeitungen auf; der Zugriff rechtsextremer Politiker auf Zeitungen in Belarus, Tschechien, Ungarn, Kroatien; und in den USA die extrem rechten Trump-Medien Fox-News, One America Network News, Breitbart News Network.

Solche Medien sind die Instrumente, mit denen Oppositionelle, Medienschaffende wie ein Julian Assange beseitigt werden. Seien wir wachsam, unterstützen wir kritische, unabhängige Medien wie Kontext, Correctiv, Republik, Der Freitag, und die Medien progressiver NGOs wie public eye, medico international, campact, lobby control oder oxfam.

Ein letzter Gedanke: Assange hat viele Namen, mal heißt er Ai Wei Wei, mal Salman Rushdie, Ljudmila Ulitzkaja oder Victor Jerofejew. Mal hieß er Carl von Ossietzky oder Steve Biko und Nelson Mandela. Wo immer es eine ideologische Wahrheit gibt, einen unfehlbaren Führer, und die Claqeure, die den Schampus kalt stellen für den nächsten neo-liberalen oder
neo-imperialen Coup.

Eine andere Welt ist möglich. Wenn wir sie uns schaffen.

Veröffentlicht am

22. Februar 2024

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