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Das Buch ist nicht nur informativ und tief erschütternd, es ist für junge Menschen Pflichtlektüre!

Von Christian Müller

"Krieg ohne Ende; Chemiewaffen im Vietnamkrieg, Agent Orange und andere Kriegsverbrechen" (Erweiterte Neuausgabe) von Peter Jaeggi ist kein Buch, das man wie einen Roman in einem Zug von vorne bis hinten durchliest. Es ist nicht zuletzt eine wichtige Dokumentation. Es zeigt, wie grauenhaft ein Krieg in der Realität ist. Und es erklärt, welche Folgen ein Krieg bei den betroffenen Menschen, konkret in ihrem täglichen Leben, hinterlassen kann - all die Tausende der Überlebenden, die Opfer verantwortungsloser Machtpolitiker, die ihrerseits ungestraft blieben und bleiben.

Nein, man liest es nicht am Sonntagnachmittag, weil es regnet und der geplante Spaziergang ins Wasser fällt. Man nimmt es in die Hand, blättert, schaut sich einige der vielen Fotos an, liest irgendwo ein Kapitel, blättert wieder, liest ein anderes Kapitel. Und auch wenn man sich schon mehr als zwei Stunden darin umgeschaut hat, man muss es tags darauf wieder in die Hand nehmen, wieder blättern, wieder lesen. Es lässt einen nicht mehr los.

Der Vietnamkrieg ist das Muster eines Krieges, der nicht nur unmittelbare Kriegsopfer, Tote und Verletzte, mit sich gebracht hat, sondern auch langfristige Schäden - Schäden bis heute, menschliches Leiden bis heute, unheilbar kranke Menschen, genetisch bedingt verkrüppelte Menschen, die nicht nur selber leiden, sondern zur Pflege die Arbeitskraft ganzer Familien beanspruchen. Die USA haben in Vietnam dioxinhaltiges Gift auf die Wälder abgeworfen, um sie zu entlauben und die Menschen darin sichtbar zu machen - um sie töten zu können. Und dieses Gift ist auch nach dem Ende des Krieges nicht verschwunden.

Peter Jaeggi schildert den Vietnamkrieg nicht nur in seinem Verlauf, militärisch gesehen. Er zeigt vor allem all die Opfer - und zu diesen gehören zum Beispiel auch Tausende von Veteranen auf US-Seite, deren traumatisiertes Leben unerträglich geworden ist.

Haben vielleicht auch Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, in Ihrer Familie, in Ihrem unmittelbaren Umfeld, Jugendliche, die ihre 15 ersten Lebensjahre wohlbehütet, ohne Mangel an Essen und ohne Mangel, bei Bedarf, an medizinischer Hilfe und mit bester Perspektive für ein erfolgreiches Berufsleben verleben durften? Jugendliche, die aber schon in zwei Jahrzehnten als politisch mitspracheberechtigte oder gar aktive Politiker das dannzumalige gesellschaftliche Leben aktiv mitbestimmen werden? Haben diese Jugendlichen eine Ahnung, was Krieg bedeutet? Was nicht nur Artilleriegeschosse, Raketen und Bomben zerstören können, sondern auch ABC-Waffen, Atom-, Biologische und Chemische Waffen bewirken können - auch noch Jahrzehnte nach deren Einsatz?

Peter Jaeggis Buch "Krieg ohne Ende" müsste in den Lehrplänen für die Gymnasien zum Obligatorium erklärt werden. Und es müsste in jeder Schulbibliothek stehen. Wie sollen wir eine friedlichere Welt schaffen können, wenn wir nicht wissen, welch grauenvolles Elend ein Krieg mit sich bringen kann - und oft auch tatsächlich mit sich bringt? Peter Jaeggis Buch schildert nicht nur den damaligen Krieg, basierend auf damaligen Berichten. Jaeggi war seither immer wieder in Vietnam und dokumentiert die Kriegsfolgen bis und mit heute - im persönlichen Kontakt mit Menschen, die noch heute und wohl noch viele Jahre lang unter dem damaligen Krieg physisch und psychisch zu leiden haben.

Hier eines der Kapitel aus dem Buch zum "Agent Orange": Dioxinkrankheiten oder die Krankheiten der Veteranen

Das U.S. Department of Veterans Affairs (VA), die staatliche Wohlfahrtsstelle für amerikanische Militärveteranen, führt eine Liste von Krankheiten, die mit Agent Orange in Zusammenhang gebracht werden. Ein amerikanischer Veteran, der eines dieser Leiden hat, kann eine Entschädigung beantragen. Vorausgesetzt, er diente in Vietnam oder in der ebenfalls mit Agent Orange "behandelten" demilitarisierten Zone in Korea (s. S. 391). Die Regierung spricht dabei ausdrücklich von einem "vermuteten" oder "mutmaßlichen" Zusammenhang. Das heißt: Auch ohne Schuldanerkennung und ohne Beweise für einen Zusammenhang zwischen Gesundheitsschäden und dioxinhaltigen Herbiziden gibt es staatliche Hilfe. Es genügt allein der Nachweis, dort gewesen zu sein. Neue Untersuchungen zeigen, dass insgesamt 2,594 Millionen amerikanische Militärangehörige in Vietnam gedient hatten. Rechtlich gesehen gibt es also theoretisch über zweieinhalb Millionen amerikanische Agent-Orange-Opfer. Dazu kommen über 300.000 Koreaner, zudem Soldaten aus Australien, Neuseeland und anderen ehemaligen verbündeten Staaten, die eigene Entschädigungslösungen anbieten.

Im Oktober 2022 unterzeichnete US-Präsident Joe Biden ein Gesetz (Honoring Our PACT Act; H.R. 3967), der auch Veteranen entschädigen kann, die zwischen 1962 und 1976 in Thailand gedient haben und bei denen eine Herbizid- resp. Agent-Orange-Exposition vermutet wird.

Von den amerikanischen Vietnamsoldaten und -soldatinnen leben noch etwa 700.000 als Veteranen und Veteraninnen (Stand Dez. 2022). Laut dem US-Veteranen und Opferaktivisten Paul Sutton (*1944) kämpfen etwa drei Viertel von ihnen noch immer für eine Unterstützung. Sutton selber gehört zu den schwer gezeichneten Agent-Orange-Betroffenen. Drei seiner Söhne wurden mit Geburtsgebrechen geboren. Einer von ihnen starb drei Monate nach der Geburt. Seither engagiert er sich in den USA an vorderster Front auf nationaler Ebene für die Anliegen seiner Leidensgenossen. In den Vereinigten Staaten erhalten derzeit mehr als eine Viertelmillion Agent-Orange-geschädigte Menschen staatliche Leistungen: Veteranen, die in Vietnam waren, sowie Ehepartner und Nachkommen.

Wie in Vietnam gibt es auch in den USA keine zuverlässige Statistik über die Anzahl der Geschädigten. Paul Sutton schreibt dazu: "Es gab nur halbherzige Anstrengungen für eine Statistik. Washington hat kein Interesse an verbindlichen Daten." Sutton, der sich auf nationaler Ebene seit Jahrzehnten für die Rechte von US-Veteranen einsetzt, sagt, dass die fehlenden Daten ein weiterer Beleg für die "Komplizenschaft" Washingtons mit dem Herbizidkrieg in Vietnam seien. Die Furcht vor weiteren Gerichtsfällen dürfte da auch eine Rolle gespielt haben. Wie viele US-Veteranen und Nachkommen an den Folgen des Herbizideinsatzes starben, ist nie untersucht worden. Wie viele US-Veteranen und -Veteraninnen an Agent-Orange-Folgen leiden, weiß man ebenfalls nicht. Auf Facebook posten einige US-Vietnamveteranen, die mit Agent Orange in Berührung gekommen sind, ein T-Shirt, auf dem die bittere Aussage zu lesen ist: "Agent Orange. I was killed in Vietnam. I just haven’t died yet." - "Ich wurde in Vietnam getötet. Ich bin nur noch nicht gestorben." So erzählt auch das berühmteste Soldatendenkmal der Vereinigten Staaten nur einen Teil der Wahrheit. In den schwarzen Granit des Vietnam Veterans Memorial in Washington D.C. sind 58.281 Namen (Stand Mai 2021) von Männern und Frauen eingemeißelt, die in Vietnam gefallen sind oder vermisst werden. Die Opfer danach fehlen, nämlich all die vielen Tausend, die zu Hause an den Folgen von Agent Orange oft langsam und qualvoll starben. Bis 2021 haben sich beim U.S. Department of Veterans Affairs etwa 700’000 Veteranen und Veteraninnen gemeldet. Laut der unabhängigen nationalen Rechtsberatung für Veteranen (National Veterans Legal Services Program) erhält aber nur eine sehr kleine Anzahl von ihnen eine staatliche Unterstützung. Anerkannte Opfer erhalten monatlich je nach Schweregrad der Behinderung zwischen 133 und 2907 Dollar, dazu kommen medizinische Unterstützungsleistungen.

Auf die Frage, was neben den aktuellen gesundheitlichen Problemen die Hauptsorge der überlebenden Veteranen sei, antwortet Paul Sutton: "Die tiefe Besorgnis über die Gesundheit unserer Kinder, Enkel und jener der folgenden Generationen."

Dass es in Vietnam nur Schätzungen zur Anzahl der Agent-Orange-Opfer gibt, findet Do Van Than ein großes Problem. Der Chirurg und Direktor des Da Nang Rehabilitations-Krankenhauses sagt, eine gute Statistik helfe den Opfern. Genaue Zahlen würden dazu beitragen, die nötigen Finanzen und Infrastrukturen bereitzustellen. Schwierig sei in Vietnam auch die Qualität der Früherkennung von Geburtsfehlern. "Unsere Ärzte sind nicht so gut ausgebildet wie im Westen. Das Erkennen und rechtzeitige Behandeln von Geburtsfehlern ist sehr schwierig und für die spätere Gesundheit betroffener Menschen sehr wichtig."

Die Gründe für die fehlende Opferstatistik in Vietnam sind mannigfaltig. So wurden nach dem Krieg keine Epidemiologen ausgebildet. Die Priorität lag im Wiederaufbau des zerstörten Landes. Zudem spielte die Vernachlässigung der ethnischen Minderheiten mit. Sie litten stark unter dem Krieg und den Folgen von Agent Orange, und es gab fast keine Zivilstandsangaben, keine Geburtsurkunden oder demografische Statistiken. Ethnische Minderheiten im Hochland verbanden Krankheiten mit ihrem animistischen Glauben und nahmen an, dass es sich um ein quasi gottgegebenes Schicksal handelt, das auf negativen Taten aus früheren Leben zurückgeht. Fehlende seriöse Statistiken, die längst hätten nachgeholt werden müssen, haben für Betroffene gravierende Folgen. Eine seriöse Politik, die genügend Mittel und Infrastrukturen für Agent-Orange-Opfer bereitstellt, ist so unmöglich.

  • Zum Verlag und zum Preis des Buches hier .
  • Zur Organisation "Dorf der Freundschaft" , wo man die Hilfe für bedürftige Vietnamesen auch mit einer Spende unterstützen kann.

Quelle:  Globalbridge vom 01.02.2024.

Veröffentlicht am

02. Februar 2024

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