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Das Ende der Meinungspluralität

Ein journalistisches Beispiel aus der (friedensbewegten) Praxis

Von Jürgen Wagner

Wer seit dem 24. Februar 2022 die Berichterstattung verfolgt hat, konnte sich des Eindrucks wohl kaum erwehren, dass in Sachen Ukraine-Krieg eine erhebliche Diskrepanz zwischen der in den Medien und in der Bevölkerung existierenden Lesart des Konfliktes existiert. In ihrer überaus lesenswerten Studie "Die veröffentlichte Meinung" lieferten Leo Keller und Harald Welzer anhand umfassender empirischer Recherchen den Beleg dafür, dass dies tatsächlich zutrifft.

Darüber hinaus kommen Keller/Welzer in ihrer Recherche zu einem zweiten wichtigen Ergebnis, denn sie konstatieren ein fundamental verändertes Selbstverständnis aufseiten der Leit- wie auch regionaler Medien: "Auch wenn man hier noch einmal daran erinnern kann, dass es durchaus ein informationelles und argumentatives Gefälle zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung geben kann und soll, scheint hier doch aufseiten des politischen Journalismus der Anspruch durch, die politische Debatte über diesen Fall von Krieg und Frieden leiten zu wollen. Damit wäre dem Journalismus eine Rolle zugewiesen, die ihm demokratietheoretisch nicht zukommt: von der kritischen Berichterstattung und Kommentierung hin zum politischen Aktivismus, von der Kontrolle zur Beeinflussung."

Ein anschauliches Praxisbeispiel für die Befunde von Keller/Welzer erlebte der Autor vor einiger Zeit bei einem Vortrag in einer mittelgroßen deutschen Stadt. Auf Einladung verschiedener Friedensgruppen fand die Veranstaltung zum Thema Zeitenwende und Aufrüstung der Bundeswehr in städtischen Räumlichkeiten statt. Schon kurz nach der eigentlich sehr guten Veranstaltung meinten einige der rund 50 Besucher*innen, der einzige, dem es wohl ganz und gar nicht gefallen hätte, wäre der Journalist der örtlichen Zeitung gewesen. Als dann kurz darauf der Bericht über die Veranstaltung erschien, wurde sehr klar, dass dieser Eindruck nicht getäuscht hatte.

Erstaunlicherweise räumte der Autor des Zeitungsbeitrags zwar ein, im Vortrag bzw. in der anschließenden Diskussion sei der russische Krieg "immerhin" als völkerrechtswidrig kritisiert worden. Was ihn aber "fassungslos" machte, war augenscheinlich, dass auch die NATO kritisiert und ihr eine Mitverantwortung bescheinigt wurde. Dies brachte ihn so in Rage, dass er in dem Artikel von "Putin-Propaganda unter dem Dach der Stadt" schrieb und vor dem "gefährlichen Relativismus" warnte, der an diesem Abend verbreitet worden sei.

Bemerkenswert an dieser an sich eigentlich nur ärgerlichen Episode ist aber der Nachklapp: In mehreren Leserbriefen kritisierten Besucher*innen die Berichterstattung scharf, was zu einer E-Mail des Journalisten an einen der Organisatoren führte. Sie offenbart, wie sich der Journalist mit missionarischem Eifer und im Besitz der reinen Wahrheit, dazu berufen sieht, den Veranstaltenden hart an der Grenze der Beleidigung ins Stammbuch zu schreiben, was richtig und was falsch ist: "Im Fall des russischen Überfalls auf die Ukraine und die Frage, wer Schuld daran hat, KANN es eben keine zwei unterschiedlichen Meinungen geben. Allein Herr Putin ist hierfür verantwortlich. Das werden Sie vermutlich anders sehen. Aber genauso gut könnten Sie behaupten, dass 1 +1 = 3 ist."

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Standpunkt 2023/052 - in: Ausdruck Dezember 2023.

Veröffentlicht am

19. Dezember 2023

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