Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Die Welt braucht Frieden

Von Paul Schobel - Redebeitrag für die Antikriegstagkundgebung am 1. September 2023 in Freiburg

Liebe Freundinnen und Freunde,

keine Maschine, keine Anlage in unseren Fabriken, wo einem nicht gleich der berühmte "Rote Knopf", der "Not-Halt" ins Auge springt. Auf den haben die genialen Konstrukteure der gefährlichsten Maschinerie der Welt, der Kriegsmaschinerie absichtlich verzichtet. Nun fliegen uns die Fetzen um die Ohren. Dieser gottverdammte Krieg wütet ungehindert und eskaliert von Tag zu Tag. Nun auch noch Streu-Munition: Sie wird im Nachgang noch jahrzehntelang Kinder verstümmeln und Menschen zerfetzen. Giftige Uran-Geschosse, die sich in Panzer und Bunker bohren und alles Leben darin verglühen. F-16-Kampfjets am Himmel, und bald auch Marschflugkörper, die bis nach Moskau fliegen. Und nirgendwo am Horizont ein Friedensplan in Sicht, keine europäische Friedensoffensive, nicht einmal mehr die Telefonate der Regierungschefs, die wenigstens noch Friedenswillen vermuten ließen. Statt dessen Waffenlieferungen, bedingungslos. Die Regierungen scheinen absolut davon überzeugt, man könne eine Welt- und Atommacht auf dem Territorium der Ukraine militärisch "besiegen" – ohne den Krieg nach Russland hineinzutragen und ohne dass es die NATO in den Krieg mit hineinzieht. Das begreife, wer mag.

Nun hat sich der Krieg in Herzen und Hirnen festgefressen. Lächerliche Landgewinne in Ruinenfeldern und verbrannter Erde – ein paar Quadratmeter mal hüben, mal drüben. Und dafür lassen Tausende von Soldaten ihr Leben, als hätte es nie ein "Verdun" gegeben.

Und das ist es, was mich, der ich als Kind den Krieg noch erlebt habe, heute als Seelsorger so umtreibt: Das unsägliche Leid der Menschen. Es wird von beiden Kriegsparteien systematisch totgeschwiegen. Noch schlimmer: Wer nicht dicht hält, wird mit dem Tode bedroht. So will man den Kriegswillen bei Laune halten. Der Tod soll die Lebenden nicht vom Sterben abhalten. Jetzt schon haben Hunderttausende auf beiden Seiten diesen Wahnsinn völlig sinnlos mit ihrem Leben bezahlt. In den Medien hört man auch kein Sterbenswörtchen über das Weinen der Kinder in Russland und in der Ukraine um ihre gefallenen Väter. "Gefallen", wie das im Kriegs-Jargon heißt. Als wären sie gestolpert, dabei wurden sie ermordet. Junge Männer, ermordet von jungen Männern auf Befehl. Mit zum Himmel starrenden Augen, verdrehten Gliedmaßen und offenen Mündern vom letzten verzweifelten Schrei nach ihrer Mutter. Nichts zu hören von der Klage der Frauen um ihre Männer, der Totenklage der Mütter um ihre Söhne. Nichts zu hören von der Not der ausgebombten alten Frau, die dem nächsten Winter in Ruinen, in Kälte und Finsternis entgegensieht. Von den Tränen der Alten und Kranken ganz zu schweigen, die nun auch noch um einen würdigen Tod betrogen werden. Was mag erst in den jungen Männern in beiden Ländern vor sich gehen, die rekrutiert werden, um zu töten. Sie wollen aber nicht töten und viele können es einfach nicht und zerbrechen daran. Sie werden, falls sie überhaupt überleben, auf Jahre hinaus traumatisiert sein, verstümmelt an Leib und Seele. Die alle haben doch den Krieg zum Kotzen satt. Aber davon redet keiner.

Die Kriegsverbrecher der Welt bomben uns um Jahrhunderte zurück, sozial, ökonomisch, ökologisch, kulturell. Die Menschheit erleidet zur Zeit einen epochalen Rückschlag in ihrer Geschichte. Wenn es so weitergeht, endet dieser Krieg bestenfalls in totaler Erschöpfung – aber das kann dank ständiger Waffenlieferungen noch dauern. Dann wird von der Ukraine nicht mehr viel übrig sein. Massengräber, Schuttberge und Hunderttausende von Toten. Städte und Dörfer zerbombt, die Infrastruktur zerstört, die Felder auf Jahrzehnte hinaus vermint. Wo liegt da der Gewinn, fragt man sich und greift sich an die Stirn.

Im besten Fall, habe ich gesagt. Im schlimmsten Fall aber kommt es zu einem Atomschlag, und sei es auch nur aus Versehen. Dann gute Nacht! Da wird von der Menschheit nicht mehr viel übrigbleiben. Die Überlebenden werden die Toten beneiden. Die Zeiger der Weltuntergangsuhr stehen 90 Sekunden vor zwölf. Noch nie waren wir so nahe dran. Ich fürchte: Das Überleben der Menschheit hängt gegenwärtig am seidenen Faden einer Befehlsverweigerung. Und darum hoffe und bete ich, dass im letzten Moment ein verantwortlicher Militär verweigert, was ihm ein Idiot befiehlt.

Daher gibt’s nur eins, und das ist heute unser Appell: Stoppt diesen Wahnsinn, stoppt die Wahnsinnigen, die ihn verbrochen haben, und zwar sofort! "Not-Halt", "Roter Knopf" – ohne Wenn und Aber. Und das bedeutet: Sofortige Feuerpause, Waffenstillstand und dann Verhandlungen! Ein Krieg ist heute nicht mehr gewinnen. Er ist schon beim ersten Schuss verloren. Es geht darum, den Frieden zu gewinnen und nicht einen Krieg. Schon heute klagen uns die Toten dieses Kriegs an, dass wir unbesehen wieder Gewalt mit Gewalt vergelten und einmal mehr Feuer mit Benzin zu löschen versuchten.

Heute am "Anti-Kriegstag" fordern wir: Dieses Scheusal Krieg muss vom Erdboden verschwinden. Krieg bringt nur Tod und Verderben. Daher keine weiteren Waffenlieferungen. "Jeder Krieg ist eine Niederlage der Menschheit", sagt der Papst und ich teile seine Meinung, ein Rückfall ins Un-Menschliche! Krieg ist immer der Bankrott der Politik, der Bankrott der Diplomatie. Er ist an Dekadenz, Schamlosigkeit und vor allem an Dummheit nicht zu überbieten.

Albert Einstein, dem genialen Atomphysiker und leidenschaftlichen Pazifisten wird dieses Wort zugeschrieben: "Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine Maus der Welt würde eine Mausefalle konstruieren." Wir sind halt leider dümmer als die Maus und werden daher nicht müde, immer noch mehr in unsere eigene Vernichtung zu investieren. In einem Wettlauf ohnegleichen ist die Welt zur Zeit dabei, sich zu Tode zu rüsten. Pro Jahr werden weltweit 2, 4 Billionen US-Dollar für Rüstung verpulvert. Das sind unsagbare 2.000 Milliarden. Man braucht eine Turnhallenwand, um alle Nullen aufzumalen. Mit diesem hübschen Sümmchen könnte man Kindersterblichkeit, Hunger und Elend im Handstreich überwinden.

Auch bei uns kommt es nun, wie es kommen musste. Kriegskosten und Kriegsfolgen schlagen dermaßen zu Buche, dass die Wirtschaft schwächelt und nun die Sozialhaushalte angefressen werden. Die Kindergrundsicherung fährt auf Schmalspur. Es wird sich nichts daran ändern, dass weiterhin jedes fünfte Kind in diesem reichen Land von Armut bedroht oder betroffen ist. Mit dem Rotstift wird an der häuslichen Pflege und den Sozialversicherungen herumgefummelt: Kürzung der Zuschüsse, daher steigende Beiträge. Ein ganzer Grusel-Katalog, dem hoffentlich das Parlament im Herbst noch Einhalt gebietet.

"Rüstung tötet – auch ohne Krieg", seit Jahren schon mahnen wir vergebens. Nun fühlen wir das am eigenen Leib. Kein Wunder, wenn bald jeder fünfte Euro im Bundeshaushalt in die Rüstung fließt, dann geht der "Wumms" eben nach hinten los. Mit jeder Artillerie-Granate fliegen drei voll finanzierte Kita-Plätze in die Luft. Wir investieren in den Tod, aber nicht in das Leben. Das gilt auch für das "Sondervermögen", die "Sonderschulden" von 100 Milliarden für die Bundeswehr. Die würden lässig ausreichen, die Wohnungsnot zu überwinden, marode Schulen aufzupäppeln und endlich Bildungspläne aufzulegen, um junge Leute in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Geht’s nach der Rüstungslobby, müssen die 100 Milliarden auf 300 Milliarden aufgestockt werden. Klar – da reibt man sich in den Rüstungsbuden vergnügt die Hände. Wenn an der Front die Sargdeckel zuknallen, knallen in den Waffenschmieden die Champagnerkorken. "Bei uns fließen jetzt Milch und Honig", frohlockte dieser Tage ein Rüstungsmanager. Blasphemisch, denn "Milch und Honig" in der Bibel bedeuten gutes, auskömmliches und friedliches Leben für alle! Als Gewerkschaften wissen wir: Der Krieg war schon immer ein Geschäftsmodell, und im Kapitalismus sowieso. Je mehr Infrastruktur zerschossen wird, um so sattere Gewinne winken im Wiederaufbau. Also werden wir genau hingucken müssen: Wer hat denn da Interesse an der Verlängerung dieses Krieges?

Mitten im schlimmsten Kanonendonner trafen sich schon im vergangenen Jahr Vertreter aus 26 Regierungen zu einer "Geberkonferenz" und machten schnell mal ein paar Milliarden für den Wiederaufbau der Ukraine locker. Nicht zu fassen: Statt endlich eine internationale Friedenskonferenz auszurufen, einen Friedensplan vorzulegen, geht es – mitten im Krieg – um den Wiederaufbau. Der Wiederaufbau der Ukraine gibt das Geschäft des Jahrhunderts.
Keine Rede davon, was mit den traumatisierten Kindern geschieht, die in Mariupol über Leichen gestolpert sind, wie man vergewaltigte Frauen auffängt und therapiert. Von Invaliden, Kriegskrüppeln und Soldaten ganz zu schweigen, die für ihr Leben an Leib und Seele geschädigt sind. Keine Programme, wie man jungen Menschen, die nun um ihre Zukunft betrogen wurden, zum Leben verhilft.

Fachleute sind sich einig. Wenn nicht spätestens nach dem Ukraine-Krieg ein Jahrzehnt der weltweiten Abrüstung beginnt, ist die Menschheit verloren. Die Ressourcen dieses Planeten werden einfach nicht ausreichen, über acht Milliarden Menschen zu ernähren, unterentwickelte Länder zu entwickeln und vor allem, dem todbringenden Klima-Wandel Einhalt zu gebieten.

Es wird uns ergehen wie dem Ritter im Mittelalter. Fiel der vom Ross, zappelte er wie ein Maikäfer hilflos am Boden. Aufgrund der schweren Rüstung außerstande, aus eigener Kraft nochmals auf die Beine zu kommen. Ein schmähliches Ende. Mir wird immer klarer: Wenn Rüstung und Krieg nicht vom Erdboden verschwinden, wird die Menschheit vom Erdboden verschwinden. Krieg ist nicht bestialisch, wie wir gerne sagen. Da tun wir der Tierwelt unrecht – zu einer solchen Veranstaltung ist man dort gar nicht fähig. Krieg ist infernalisch, eine Ausgeburt der Hölle. Daher, Krieg, fahr zum Teufel. Von dort kommst du und dort gehörst zu hin!

Unser "Anti-Kriegstag" muss zu einem "Pro-Friedenstag" werden! Ich appelliere an Kirchen und Gewerkschaften gleichermaßen: Wir gehören an die Spitze der Friedensbewegung. Warum? Weil unsere Programme und Bekenntnisse uns binden! Wir dürfen nicht Verrat an der eigenen Sache begehen. Wir dürfen keine Halbherzigkeit in unseren eigenen Reihen dulden! Als weltweite Christenheit, wenn auch in vielen Bekenntnissen, sind wir als Geschwister miteinander verbunden. In den Gewerkschaften schwören wir auf die internationale Solidarität mit allen Kolleginnen und Kollegen. Also können und dürfen wird nicht hinnehmen, dass irgendwo auf der Welt unsere Leute als Kanonenfutter verheizt und in ihren Stellungen zerfetzt werden oder in Panzern verglühen. Wir nehmen nicht hin, dass alte Männer, politische Schwachköpfe, die sich sehr wohl kennen, jungen Männern (und Frauen), die sich nicht kennen, befehlen, sich gegenseitig umzubringen. Das sind unsere Kolleginnen und Kollegen! Wir leiden mit den Verwundeten, Verkrüppelten, Traumatisierten auf beiden Seiten der Front. Wir weinen mit den trauernden Müttern, Frauen und Kindern in Russland und in der Ukraine. Was da geschieht, darf für uns in den Kirchen um Gottes und der Menschen willen und in den Gewerkschaften um der Solidarität willen nicht sein.

Sage keiner, wir als Gewerkschaften und Kirchen seien in Sachen "Frieden" nicht kompetent. Mein Leben lang schon bewundere ich als Betriebsseelsorger die Friedensarbeit der Gewerkschaften. Wie Ihr es versteht, dem Kapitalismus in harten und schweren Auseinandersetzungen, aber mit friedlichen Mitteln hartnäckig das abzutrotzen, was den Arbeitenden gehört. Wie Ihr in den Betrieben Frieden schafft durch Gerechtigkeit, durch menschenwürdigen Umgang und im Kampf um humane Arbeit. Ich glaube, ein paar gewiefte Tarifpolitiker kämen als Unterhändler schneller zu einem Verhandlungsfrieden als die Kriegsherren. Vielleicht sollte man die mal mit einer erfahrenen Kita-Leiterin in einen Stuhlkreis setzen. Die hat nämlich mehr Friedenskompetenz als alle Betonköpfe samt ihren Beratern zusammen.

Und daher fordern wir heute klar und deutlich:

Schluss mit diesem Krieg, Schluss mit allen Kriegen! Sofortiger Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. Lasst uns weiterhin und noch lauter als bisher klagen, anklagen, demonstrieren, protestieren gegen den Krieg und gegen die Kriegsverbrecher und gegen den tödlichen Rüstungswettlauf. Der Krieg muss als Option aus den Köpfen, dann wird Friede!

Von der Regierung verlangen wir: Schluss mit Waffenlieferungen, die nur den Krieg verlängern und befeuern. Tut endlich was für den Frieden. Für den Krieg habt ihr genug getan. Waffen schaffen keinen Frieden! Jetzt ist die Zeit für diplomatische und nicht für militärische Groß-Offensiven!

Den Europäern rufe ich zu: Seid ihr denn mit Blindheit geschlagen? Es gibt kein Europa ohne Russland und die Ukraine, und schon gar nicht gegen Russland. Dieser Krieg ist für ein zukunftsfähiges Europa ein Desaster! Für mich ist der Traum des Michail Gorbatschow, dessen Todestag sich vorgestern jährte, nicht ausgeträumt. Das bedeutet aber, dass wir sofort Frieden brauchen in der eigenen Hütte.

Ich rufe die Umweltbewegung auf: Macht endlich mit uns gemeinsame Sache! Der Krieg ist ein umweltpolitisches Ungeheuer. Er hat allein im ersten Kriegsjahr 120 Millionen Tonnen Co2 ausgestoßen. Den ökologischen Fußabdruck eines einzigen Leopardpanzers wird man auch schlecht mit einem Kinderstiefelchen vergleichen können. Dieses Raubtier säuft allein über 500 Liter Diesel auf 100 km. Und wie dann die Öko-Bilanz der Zerstörung und des Wiederaufbaus der Ukraine ausfällt, kann man noch gar nicht erahnen. Jeder Krieg, und diese Materialschlacht insbesondere, schlägt der Umweltbewegung direkt ins Gesicht.

Wo ist der "Aus-Knopf" für diesen Krieg? Als Christ finde ich ihn in der Gewaltlosigkeit. Nur sie kann den Schalter umlegen und den tödlichen Kreislauf Gewalt-Gegengewalt unterbrechen. "Finsternis kann keine Finsternis vertreiben, das gelingt nur dem Licht", predigte einst der unvergessene Pastor Martin Luther King und fährt fort: "Hass kann man nicht mit Hass besiegen, das gelingt nur der Liebe. Hass vervielfältigt den Hass, Gewalt mehrt die Gewalt – in einer ständigen Spirale der Vernichtung. Die Kettenreaktion des Bösen muss unterbrochen werden. Sonst stürzen wir alle in den Abgrund der Vernichtung".

Es wird Zeit für eine wirkliche "Zeitenwende". Was in Berlin ausgerufen wurde, ist ein "Salto mortale" rückwärts. Der bricht uns das Genick! Unsere "Zeitenwende" buchstabiert sich anders. Sie lautet: "Nieder mit den Waffen – nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!" Die Welt braucht Frieden!

Vielen Dank.

Paul Schobel ist Betriebsseelsorger i. R. und lebt in Böblingen.

Veröffentlicht am

19. September 2023

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