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Der westliche Doppelstandard rechtfertigt Russlands Krieg nicht

In Leserspalten wird die Abspaltung des Kosovo zitiert, um die Abspaltung der Krim und des Donbas zu rechtfertigen.

Von Andreas Zumach

Im Kosovo habe es im Gegensatz zum Donbas nicht einmal eine Volksabstimmung gegeben, wird gesagt. Das ist richtig. Doch einige Darstellungen und Schlussfolgerungen sind falsch.

Der Gewaltkonflikt, der seit 2014 im Donbas stattfindet, ist ein Bürgerkrieg zwischen den ukrainischen Regierungstruppen und russisch-stämmigen Milizen und Sezessionisten. Russland unterstützt sie mit Waffen, Munition und Söldnern.

Die Beobachterberichte der OSZE belegen, dass bis zur russischen Invasion beide Seiten etwa gleich stark beteiligt waren an kriegerischer Gewalt, Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht sowie am Nichteinhalten beziehungsweise Nichtumsetzen der Abkommen Minsk 1+2. Auch die Zahl der Opfer war laut OSZE auf beiden Seiten etwa gleich hoch. 

Es wird immer wieder kolportiert, der Internationale Gerichtshof in den Haag (IGH) habe im Jahr 2010 "die Unabhängigkeit Kosovos bestätigt". Zwar stellten dies viele westliche Medien und Regierungen damals so dar. Doch der IGH hatte sich überhaupt nicht zum völkerrechtlichen Status des Kosovo geäußert, sondern lediglich auf Bitten der UNO-Generalversammlung in einem Rechtsgutachten, das völkerrechtlich nicht verbindlich ist, festgestellt, dass "die einseitige Unabhängigkeitserklärung durch die Provisorischen Institutionen der Selbstverwaltung des Kosovo" nicht gegen das Völkerrecht und gegen die Resolution 1244 des UNO-Sicherheitsrates verstoße (Siehe LTO: "Was der IGH wirklich entschied" ).

Der IGH hat es unterlassen zu entscheiden, wie weit das in der UNO-Charta enthaltene Recht auf Selbstbestimmung der Völker geht und unter welchen Bedingungen ein Recht auf Sezession besteht.

Es bleibt deshalb im Fall Kosovo offen, ob es sich völkerrechtlich um einen unabhängigen Staat handelt. Eine einseitige, gegen nationales Recht verstoßende Unabhängigkeitserklärung wie im Kosovo oder auf der Krim oder im Donbas hat laut diesem Gutachten nur eine innerstaatliche Bedeutung, aber vorerst keine völkerrechtliche Wirkung.

Lediglich 108 der 193 UNO-Mitglieder haben eine Eigenstaatlichkeit des Kosovo anerkannt. Auch vier EU-Staaten, nämlich Spanien, Griechenland Zypern und Malta haben das bis heute nicht gemacht.

Anders als es die NATO-Staaten dem Kosovo zubilligten, lehnen sie ein Selbstbestimmungsrecht der russischsprachigen Minderheit in der Ukraine ab und entsprechend auch ein Recht auf eine Sezession.

Einmischung von Drittstaaten in Sezessionsbestrebungen

Für Drittstaaten, die sich in den Prozess einer Sezession einmischen, sieht es völkerrechtlich wie folgt aus.

Im Fall von Kosovo verstießen Nato-Staaten gegen das Völkerrecht, als sie Serbien ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrats bombardierten. Über 12’000 Menschen kamen dabei ums Leben. Wirtschaftliche Sanktionen und andere Maßnahmen gegen die völkerrechtswidrig handelnden Nato-Staaten wären legitim gewesen. Doch kein Land hat solche Maßnahmen ergriffen.

Zwischen den Fällen NATO/Serbien/Kosovo ab 1998 und Russland/Ukraine/Donbas ab 2014 kommen eine Reihe spezifischer Unterschiede hinzu, die einer Analogie entgegenstehen.

Russland hatte und hat keine Schutzverantwortung für die russischstämmigen oder -sprachigen Bevölkerungen im Donbas, auf der Krim oder sonstwo in der Ukraine. Deshalb verstößt Russland gegen das Völkerrecht sowohl mit dem seit Februar 2022 geführten Angriffskrieg gegen die Ukraine als auch mit der Annexion der Krim im Jahr 2014 und mit der Unterstützung der russischstämmigen Milizen und Sezessionisten im Donbas.

Richtig ist, dass der seit Februar 2022 geführte russische Krieg gegen die Ukraine kein Präzedenzfall war für die Anwendung militärischer Gewalt in Europa nach 1990 sowie für die gewaltsame Veränderung von Grenzen - wie von westlichen Medien und PolitikerInnen fast unisono behauptet. Der Präzedenzfall war vielmehr der NATO-Luftkrieg gegen Serbien im Jahr 1998 und die Abspaltung des Kosovo.

Der doppelte Standard des Westens ist keine Rechtfertigung für Russland

Autoren auf Infosperber haben über die Kritik an diesem NATO-Luftkrieg gegen Serbien sowie an anderen völkerrechtswidrigen Kriegen und Kriegsverbrechen westlicher Staaten wie etwa in Irak oder Afghanistan immer wieder informiert - ebenso wie über die Kritik an der Selektivität und den doppelten Standards, mit denen westliche Regierungen die seit 1945/48 universell gültigen Völkerrechts- und Menschenrechtsnormen anwenden.

Doch alle notwendige Information und Kritik zu den Völkerrechtsverstößen und Kriegsverbrechen westlicher Staaten darf nicht dazu führen, die Verstöße und Verbrechen Russlands oder anderer Länder zu relativieren, zu verharmlosen, zu rechtfertigen oder gar zu leugnen. Wer das tut, ist mitverantwortlich für die Schwächung der universellen Normen.

Quelle: Infosperber.ch - 19.06.2023.

Veröffentlicht am

19. Juni 2023

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