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Yurii Sheliazhenko: Der 15. Mai ist der bedeutendste Tag im Mai

Yurii Sheliazhenko von der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung hat eine eindrucksvolle Videonachricht für die Veranstaltungen rund um den Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung am 15. Mai gesandt. Es finden deutschlandweit Aktionen statt, aber auch in Finnland, Belgien und Italien rufen mehr als 30 deutsche und internationale Friedens- und Menschenrechtsorganisationen - darunter auch solche aus Russland, Belarus und der Ukraine, zur Teilnahme an den zahlreichen Veranstaltungen auf. Hier findet sich der Aufruf: Schutz und Asyl für alle aus Russland, Belarus und der Ukraine, die den Kriegsdienst verweigern .

Das Video mit dem Redebeitrag von Yurii Sheliazhenko kann heruntergeladen werden unter: https://fex.net/s/dx8ypod

Es folgt eine deutsche Übersetzung der Botschaft von Yurii Sheliazhenko, daran anschließend das englische Original.

Von Yurii Sheliazhenko

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich sende Euch Grüße aus Kiew von der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung.

Ich nehme diese Botschaft an einem Tag auf, an dem die Hauptstadt der Ukraine erneut von der russischen Armee bombardiert wurde. Viele Jahre lang haben sowohl die Ukraine als auch Russland im Mai den Tag des Sieges gefeiert, einen Feiertag des militaristischen Kults des sogenannten großen Sieges der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Ein altes Lied besagt: Es ist ein Feiertag mit Tränen in den Augen. Aber im Allgemeinen waren Tränen nicht erlaubt, Kriegsverbrechen wie die grausame Bombardierung von Städten während des Krieges und besonders am Ende des Krieges wurden vergessen. Es war ein Feiertag der allmächtigen Armee und der tödlichen Stärke von uns, "den Siegern".

Als ich einmal am Tag des Sieges auf die Straßen von Kiew ging und ein Transparent hielt, auf dem die Abschaffung der Wehrpflicht und der Armee gefordert wurde, versuchten einige Menschen mit Siegergefühlen auf beschämende Weise, mir mein Transparent zu entreißen. Ein Mann in Militäruniform schlug mich sogar. Diese Versuche, eine pazifistische Stimme zum Schweigen zu bringen, zeugten von der völligen Unwürdigkeit der sogenannten Sieger.

Und jetzt, nach der hartnäckigen Weigerung Selenskyjs, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, und nach der verbrecherischen Invasion Putins in der Ukraine, sterben auf beiden Seiten der Frontlinie Zivilisten. Ihre Viertel werden durch den Beschuss zweier siegreicher Armeen zerstört. In Donezk zum Beispiel tötete die ukrainische Armee "ruhmreich" sieben Insassen eines Kleinbusses, darunter ein Kind. In Uman hat die russische Armee die "Ziele" der so genannten militärischen Sonderoperation erreicht, ein Wohnhaus zerstört und 23 Bewohner, darunter 6 Kinder, ermordet.

Diese jüngsten "Siege" sind falsch, und sie sind das Ergebnis eines falschen Gedenkens an vergangene "Siege". Es ist falsch, dass Putin, Selenskyj und ihre Hintermänner, zynische geopolitische Zocker aus Ost und West, den Krieg für immer fortsetzen können. Es ist falsch, dass der von ihnen beschworene Siegesmythos bei den Menschen, die von der Kriegswerbung im medialen Flügel des militärisch-industriellen Komplexes berauscht sind, der den Wohlstand des Volkes ausplündert und von Tod und Elend profitiert, keine Kritik erfährt.

Wir brauchen genau das, was für die Händler des Todes und ihre politische Klientel auf beiden Seiten der Frontlinie verhängnisvoll ist. Wir brauchen einen Waffenstillstand und Friedensgespräche. Putin muss seinen Angriffskrieg beenden. Lukaschenko sollte nicht Putins Komplize im Angriffskrieg sein. Selenskyj muss diplomatische und gewaltfreie Wege zur Verteidigung der Ukraine in Betracht ziehen, anstatt ein Blutbad anzurichten. Das ist gesunder Menschenverstand.

Aber Diktatoren und Militaristen hören nicht auf den gesunden Menschenverstand. Sie greifen an. Die Menschen bedeuten ihnen nichts, nur die Angriffe zählen. Sie suchen Ortschaften heim, zwingen Menschen gewaltsam in die Armee und machen Zivilisten gegen ihren Willen zu Kanonenfutter, um den Feind unter einer Lawine von unterdrückten Leichen und höllischem Gewehrfeuer zu begraben.

Kein Wunder, dass die Stimme des Gewissens im Kopf eines jeden Menschen sagt: Nein. Nein, um Gottes willen! Ich weigere mich zu töten! Wenn die Menschen nur zuhören würden… Wenn alle Menschen sich weigern zu töten, wird es keine Kriege mehr geben. Aber im Moment ist es ein Tabu, ein Verbrechen, und Kriegsverweigerer werden unterdrückt. Die ukrainische Armee verweigert die Gewissensfreiheit und den Ersatzdienst. Kriegsdienstverweigerung wird in der Ukraine mit drei bis fünf Jahren Gefängnis bestraft, Desertion mit fünf bis zwölf Jahren hinter Gittern.

Dennoch setzen wir den gewaltlosen Widerstand gegen Militarismus und Krieg fort. Wir verteidigen die Menschenrechte. Ich lade Euch und die deutsche politische Klasse ein, darauf zu bestehen, dass die Ukraine, wenn sie Teil der europäischen Familie werden will, die Menschenrechte respektieren muss, einschließlich des Rechts, nicht zu töten. Ich lade Euch und die deutschen Medien ein, den Anhörungen des Obersten Gerichtshofs der Ukraine in den nächsten wegweisenden Fällen beizuwohnen: der Kassationsbeschwerde des politischen Gefangenen Vitaly Alekseenko, der einen Freispruch und die Freilassung am 25. Mai anstrebt, und der Klage von Andrii Vyshnevetskyi, einem Kriegsdienstverweigerer, der in der Armee an der Front festgehalten wird und das Gericht auffordert, Präsident Selenskyj anzuweisen, ein Verfahren zur Entlassung aus dem Militärdienst aus Gewissensgründen einzuführen.

Eine der Möglichkeiten, sich dem Krieg zu widersetzen, besteht darin, ins Ausland zu gehen, aber selbst Studenten, die es vorziehen, an europäischen Universitäten zu studieren, anstatt in Schützengräben zu verrotten, ist es untersagt, eine Zukunft in Frieden und Hoffnung zu wählen. Allen Männern im Alter von 18 bis 60 Jahren ist es verboten, die Ukraine zu verlassen, vielen ist es gelungen, illegal zu fliehen, aber einige von ihnen haben sich auf der Suche nach einem Ausweg aus dem Krieg umgebracht, sind in den Karpaten erfroren, in der Theiß ertrunken, und Tausende wurden direkt aus den Grenzstädten in den Fleischwolf geschickt.

Ich bitte Euch eindringlich, die #ObjectWarCampaign zu unterstützen, die Schutz und Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Russland, Belarus und der Ukraine fordert. Die Europäische Union muss die Achtung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung nachdrücklich bekräftigen und darauf bestehen, dass auch Russland, Belarus und die Ukraine dieses Menschenrecht respektieren müssen. Die Menschenrechte sind eine Grundlage für einen gerechten Frieden.

Wie jedes Jahr gedenken wir auch in diesem Mai am Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerer all derer, die das Recht, das Töten zu verweigern, begründen und aufrechterhalten. Der 15. Mai ist der bedeutendste Tag im Mai. Erinnern wir uns und feiern wir ihn. Dieser Mai oder der nächste Mai darf kein Monat der tödlichen und zerstörerischen Siege sein. Es muss ein Monat der Würde und des gesunden Menschenverstandes sein, ein Monat der Hoffnung, des Friedens und der Liebe, kurz gesagt, ein Monat der Kriegsdienstverweigerung.

Ich wünsche Euch Frieden und Glück.

Yurii Sheliazhenko, Ph.D. (Law)

Er ist Geschäftsführer der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung und Vorstandsmitglied beim Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung sowie bei World BEYOND War. Er gehört dem Rat des International Peace Bureau an. Kontakt: shelya.work@gmail.com, +380973179326


15th May is the most meaningful day of May

Yurii Sheliazhenko

Dear friends, greetings from Kyiv, from the Ukrainian Pacifist Movement.

I am recording this message on a day when the capital of Ukraine was again bombarded by the Russian army. For many years, in May both Ukraine and Russia celebrated a Victory day, a holiday of the militarist cult of so-called great victory in WWII inherited from the Soviet Union. Old song says: it is a holiday with tears in eyes. But generally tears were not allowed, war crimes like cruel bombings of cities during the war and especially at the end of war were forgotten. It was a holiday of the almighty army and deadly strength of us "the victors."

When once on Victory day I went to the streets of Kyiv with a banner calling to abolish conscription and army, some people with feelings of victors shamefully tried to take away my banner, one man in military uniform even hit me. These attempts to shut up a pacifist voice demonstrated total indignity of so-called victors.

And now, after stubborn unwillingness of Zelensky to implement Minsk accords and Putin’s criminal invasion of Ukraine, on both sides of the frontline civilians are dying and their neighbourhoods are smashed by the shelling of two victorious armies. For example, in Donetsk the Ukrainian army "gloriously" killed seven passengers in a minibus, including a kid. In Uman, the Russian army "achieved targets" of the so-called special military operation, ruined a condo and murdered 23 residents, 6 children.

These recent "victories" are wrong, and they are the result of wrong commemoration of past "victory." It is wrong that Putin, Zelensky and their backers, cynical geopolitical gamblers of the East and West, could perpetuate the war forever and the myth of victory they invoke face no criticism among the people intoxicated by advertising of war in the media wing of military industrial complex, which plunders popular welfare, profits from death and misery.

We need the very thing disastrous for the merchants of death and their political clienteles on both sides of the frontline. We need ceasefire and peace talks. Putin must stop his war of aggression. Lukashenko should not be Putin’s accomplice in the war of aggression. Zelensky must consider diplomatic and nonviolent ways to defend Ukraine instead of bloodbath. It is common sense.

But dictators and militarists don’t listen to common sense. They attack. People mean nothing to them, only the offensives matter. They haunt communities violently conscripting people, turning civilians into cannon fodder against their will to bury the enemy in avalanche of subdued bodies and hellish fire of guns.

No wonder the voice of conscience in the mind of every person says: no. No, for God’s sake! I refuse to kill! If only people listen… When all people will refuse to kill, there will be no wars. But for now it is taboo, it is a crime, and war resisters are repressed. The Ukrainian army denies freedom of conscience and alternative service. Draft evasion in Ukraine is punishable from three to five years of prison, desertion from five to twelve years behind the bars.

Nevertheless, we continue nonviolent resistance to militarism and war. We defend human rights. I invite you and the German political class to insist that if Ukraine aspires to become part of the European family it must respect human rights, including the right to refuse to kill. I invite you and German media to attend the Ukrainian Supreme Court’s hearings in closest landmark cases: the cassation complaint of the prisoner of conscience Vitaly Alekseenko seeking acquittal and release on 25th May, and the lawsuit of Andrii Vyshnevetskyi, a conscientious objector held in army on frontline, asking the court to order President Zelensky to establish a procedure of discharge from military service on the grounds of conscience.

One of the ways to resist the war is to go abroad, but even the students who prefer to study in European universities instead of rotting in trenches are prohibited from choosing a future of peace and hope. All men in age from 18 to 60 are prohibited from leaving Ukraine, many people managed to escape illegally but some of them killed themselves seeking escape from war, frozen to death in the Carpathian mountains, drowned in Tisza river, and thousands were sent to the meat grinder directly from the border cities.

I urge you to support the Object War campaign calling for protection and asylum to conscientious objectors and deserters from Russia, Belarus and Ukraine. The European Union must strongly reiterate respect for human right to conscientious objection to military service and to insist that Russia, Belarus and Ukraine must respect this human right too. Human rights constitute a basis of just peace.

This May, as every year, on the International Day of Conscientious Objection we remember all those who have established and maintaining the right to refuse to kill. 15th May is the most meaningful day of May. Let’s remember and celebrate it. This May, or next May, must not be a month of deadly and destructive victories. It must be a month of dignity and common sense, a month of hope, peace and love, in short, a month of conscientious objection.

Wish you peace and happiness.

Yurii Sheliazhenko, Ph.D. (Law)

Executive secretary, Ukrainian Pacifist Movement; Board member, European Bureau for Conscientious Objection (Brussels, Belgium): Member of the Board of Directors, World BEYOND War (Charlottesville, VA, United States); Member of the Council, International Peace Bureau (Berlin, Germany); LL.M., B.Math, Master of Mediation and Conflict Management, shelya.work@gmail.com, +380973179326

Quelle: Connection e.V. - 09.05.2023.

Veröffentlicht am

09. Mai 2023

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