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NATO und China auf Konfrontationskurs - und Deutschland mit dabei

Die NATO - insbesondere deren Führungsmacht USA - und China gehen immer stärker auf Konfrontationskurs - und die Bundesregierung eskaliert mit.

Von Clemens Ronnefeldt

Im August 2021 wird die deutsche Fregatte "Bayern" im "Indopazifik" - das Meeresgebiet, das den Pazifik und den indischen Ozean verbindet - an der Seite ihrer Verbündeten Flagge zeigen, wodurch auch die deutsche Politik in den Strudel der Auseinandersetzungen insbesondere zwischen den USA und China hineingezogen werden wird. Die Bundesregierung riskiert dabei aus Gründen der Bündnistreue und wegen eigener Machtinteressen eine Eskalation mit Ungewissem Ausgang.

"Die Route soll nicht weniger sein als ein Bekenntnis zu offenen Seewegen - und eine Botschaft an China", schrieb die Süddeutsche Zeitung (SZ) am 4. März 2021 unter der Überschrift: "Bundeswehr: Reise in die Untiefen der Weltpolitik". https://www.sueddeutsche.de/politik/bundeswehr-china-suedchinesisches-meer-indopazifik-1.5225101 .

Deutsche Stimmen zur Militarisierung der Außenpolitik gegenüber China

Die Bundesregierung hat im September 2020 in ihren Leitlinien zum Indopazifik formuliert: "Mehr als 90 Prozent des weltweiten Außenhandels werden auf dem Seeweg abgewickelt, davon ein Großteil über den Indischen und Pazifischen Ozean". Und: "Eine Beeinträchtigung dieser Seehandelswege und damit der Lieferketten von und nach Europa hätte gravierende Folgen für Wohlstand und Versorgung unserer Bevölkerung" (zitiert nach SZ, 4.3.2021).

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte bei ihrer ersten Grundsatzrede vor Studierenden der Universität der Bundeswehr in München die Ansicht vertreten, Deutschlands Partner im indopazifischen Raum - Australien, Japan, Südkorea, Indien - "fühlten sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt" und wünschte sich "ein klares Zeichen der Solidarität". Es sei daher an der Zeit, dass "wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen". Ab August 2021 wird diese Präsenz Realität.

Der ehemaligen Leiter der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Karl-Heinz Kamp, hat seine Forderung nach einem größeren Militärengagement der NATO in Ostasien so beschrieben:

"Will die NATO nicht einen großen Teil ihrer Existenzberechtigung verlieren, wird sie ihre geografische Orientierung ebenfalls deutlich ändern und ausweiten müssen. (…) Eine Hinwendung der Nordatlantischen Allianz in Richtung Asien könnte sich in mehreren Stufen und Intensitäten gestalten. Der erste Schritt wäre, dass die NATO mehr Interesse au der Region zeigen und auch als Allianz die Entwicklungen im asiatisch-pazifischen Raum zur Kenntnis nehmen würde. (…)

Ein zweiter Schritt würde eine deutlich größere Bereitschaft Europas zu einer fairen Lastenteilung mit den USA hinsichtlich Asien erfordern. (…)

Langfristig werden die großen europäischen Staaten allerdings, sofern sich der chinesisch-­amerikanische Bilateralismus realisiert, nicht umhinkommen, in einem dritten Schritt ihrerseits Fälligkeiten zur weitreichenden Machtprojektion vor allem im maritimen Bereich aufzubauen. Das gilt nicht nur aus der Perspektive der NATO, sondern auch aus der Sicht der EU, wenn diese ihrem eigenen Anspruch des ‚global Player‘ gerecht werden will." zitiert nach: Jürgen Wagner, NATO-Agenda 2030 - Gipfel der Systemkonkurrenz: https://www.imi-online.de/2021/06/15/nato-agenda-2030/ .

Wer bedroht wessen Hegemonie?

Im Jahre 2020 gaben die USA 778 Milliarden US-Dollar für Rüstung aus - 39% aller weltweiten Militärausgaben. An zweiter Stelle liegt inzwischen mit weitem Abstand zu anderen folgenden Staaten China mit 252 Milliarden US-Dollar. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes SIPRI wendet damit China rund 1,7% seines Bruttoinlandsproduktes für Militärausgaben auf, die USA mit 3,7% mehr als doppelt so viel.

China dürfte aus den Erfahrungen Russlands gelernt haben, das sich 1989 im damaligen Ost-West-Konflikt zu Tode gerüstet hatte.

Im Jahr 2021 lagen die Militärausgaben der NATO-Mitgliedsstaaten zusammen bei 1.174 Milliarden US-Dollar - Russland wendete im Jahre 2020 rund 61,7 Milliarden US-Dollar auf.

Am 14. Juni 2021 fand in Brüssel das Nato-Gipfeltreffen der jeweiligen Staats- und Regierungschefs statt.

Im Zentrum der Abschlusserklärung stand die Konkurrenz zu Russland und China. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bilanzierte: "Die Nato ist eine Allianz von Europa und Nordamerika, aber wir müssen uns an ein globales Sicherheitsumfeld, das immer kompetitiver wird, anpassen. Wir befinden uns in einem Zeitalter des globalen Systemwettbewerbs."

Der ehemalige deutsche Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann, hat sein dualistisches Weltbild des Kampfes des "guten" Westens gegen das "böse" China so beschrieben:

"Noch wichtiger ist allerdings, dass sich ein Wettstreit zwischen mindestens zwei Weltordnungsmodellen abzeichnet: Da ist einerseits das westliche Modell einer regelbasierten demokratischen Ordnung, in der die Macht der Gesetze die Macht der Mächtigen einhegt und in welcher der Einzelne jenen Schutz genießt, der in der Erklärung der Menschenrechte verankert ist. Und da ist andererseits das chinesische Modell, das Präsident Xi Jiugpin auf dem letzten Parteikongress als das neue Modell der Weltordnung anpries. (…) Diese beiden Modelle werden miteinander konkurrieren, weil sie aus einem einfachen Grund nicht miteinander in Einklang gebracht werden können: Das westliche Modell verspricht individuelle Freiheit, das chinesische Modell tut dies nicht. Daher steht die Welt am Rande eines neuen globalen Wettstreits, der in erster Linie in Asien stattfinden wird." https://www.imi-online.de/2021/06/15/nato-agenda-2030/ .

Admiral a. D. James G. Stavridis, ehemaliger NATO-Oberbefehlshaber, beschreibt in seinem neuen Roman einen Krieg zwischen den USA und China innerhalb der nächsten zehn Jahre. Konflikte um Taiwan oder um Inseln im Süd- und im Ostchinesischen Meer könnten dabei seiner Ansicht nach Kriegsauslöser sein.

Auch Frankreich eskaliert mit

Neben Deutschland zeigt vor allem Frankreich an der Seite der USA im "Indopazifik" Flagge: 7.000 französische Soldaten wurden in Asien und Ozeanien dauerhaft stationiert, dazu 15 Kriegsschiffe und 38 Flugzeuge.

Zwischen März und Juni 2021 verstärkten der nuklear angetriebene Flugzeugträger "Charles de Gaulle", das Atom-U-Boot "Emeraude", weitere Kampfflugzeuge, ein Hubschrauberträger und eine Tarnkappenfregatte diese dauerhafte Militärpräsenz. Gemeinsam mit den USA, Australien, Japan und Indien beteiligte sich Frankreich in erheblichem Maße an gemeinsamen Indopazifik-Manövern - um damit Signale an China und dessen Hegemonialabsichten zu senden. China beansprucht große rohstoffreiche Gebiete im südchinesischen Meer, auf die auch andere Anrainerstaaten Ansprüche erheben. siehe dazu: Martine Bulard, "Kommt eine pazifische Nato?" in: Le Monde Diplomatique, Juni 2021.

Chinas Interessen

China hat sieben künstliche Inseln in der Zone des Spratly-Archipels aufgeschüttet, die zivil und militärisch genutzt werden und beansprucht auch die Spratly-Inseln selbst.

Seit Februar 2021 kann die chinesische Küstenwache nach der Verabschiedung eines neuen Gesetzes offensiv gegen Schiffe anderer Nationen vorgehen - und tut dies auch. Gefährliche Zwischenfälle mit japanischen, philippinischen und vietnamesischen Schiffen häufen sich.

Während China die Insel Taiwan als eine chinesische Provinz ansieht, wollen viele Menschen in Taiwan die Unabhängigkeit von China. Die chinesische Führung überfliegt tausendfach die Straße von Taiwan und verletzt dabei die offiziellen See- und Luftraumgrenzen.

Mit dem Projekt "neue Seidenstraße" setzt China vor allem auf eine gewaltige Ausdehnung seines wirtschaftlichen Einflusses, ebenso durch weltweite Kreditvergaben und die Durchführung von großen Infrastrukturmaßnahmen wie Brücken- oder Eisenbahnbauten in Europa und Afrika.

US-Interessen

Auch die US-Luftwaffe verletzt permanent See- und Luftraumgrenzen im "Indo-Pazifik" und hat 150 Kilometer vor der chinesischen Küste auf den Penghu-Inseln ein mobiles Radarsystem installiert, das dem Schutz Taiwans dienen soll - aber auch nach China hineinreicht. Die Trump-Regierung wollte auf den Palau-Inseln einen neuen US-Militärstützpunkt errichten - von denen es in der Region schon jetzt mehrere hundert mit großer Personalstärke gibt: Auf Guam (6.000 US-Soldat*innen), in Japan (55.000), in Südkorea (28.500), auf Hawai (42.000).

Während US-Regierungen selbst als Hegemon im Indopazifik seit Jahrzehnten auftreten, wirft die aktuelle US-Regierung und die NATO der chinesischen Führung hegemoniale Absichten vor.

Im Jahre 201S benannte US-Präsident Donald Trump das Oberkommando der US-Truppen von "US Pacific Command" (PACOM) in "US Indo Pacific Command (INDOPACOM) um. Es war mehr als nur eine symbolische Korrektur.

Donald Trump gelang es, eine informelle Militärkoalition in der Region mit Indien, Japan, Australien und den USA zu formen - weil, wie im US-Verteidigungshaushalt für 2019 zu lesen, "die oberste Priorität der Vereinigten Staaten (ist), dem Einfluss Chinas entgegen zu wirken".

Der schlimmste Fall aus Sicht der USA und der NATO insgesamt wäre, wenn sich das rohstoffreiche Russland und China als stärkste Wirtschaftsmacht der Welt in den nächsten Jahren enger zusammen schließen würden. Daher werden vermutlich seitens der NATO Anstrengungen unternommen werden, genau dies zu verhindern.

China in Bündnis-Koalitionen

China ist schon seit Jahren in informellen Bündnissen: dem BRICS-Verbund (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ, englisch: SCO) mit China, Russland, Indien, Pakistan und Sitz in Peking. Das weltweit größte Freihandelsabkommen, die Regionale, umfassende Wirtschaftspartnerschaft "RCEP" wurde zwischen den Asean-Staaten, Südkorea, Japan und China geschlossen. Vielfach übersehen derzeit NATO-Repräsentanten, dass China von vielen Staaten der Region nicht nur als "Bedrohung", sondern auch als Handelspartner gesehen wird.

Akzeptanz einer multipolaren Weltordnung

Wenn die NATO, insbesondere die US-Regierung, nicht akzeptiert, dass die Welt längst eine multipolare geworden ist, die nicht mehr von der einzigen Supermacht USA dominiert wird, werden die nächsten Jahre von großen internationalen Spannungen geprägt sein.

Die EU - allen voran Frankreich und auch Deutschland - sind gut beraten, wenn sie sich im Machtkampf der Giganten USA und China nicht einseitig auf die us-amerikanische Seite schlagen, sondern eine kluge Distanz zu allen Großmächten halten - auch zu Russland.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kritisierte CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nach ihrer bereits erwähnten Grundsatzrede in München, einen Paradigmenwechsel voranzutreiben: "Ihre Idee eines deutschen Engagements im Indopazifik erinnere ihn an das wilhelminische Weltbild eines ‘Platzes an der Sonne’", sagte er - und ergänzte: "Wenn die Verteidigungsministerin einer militärischen Eindämmungsstrategie gegen China das Wort redet, geht mir das entschieden zu weit" (zitiert nach SZ, 4.3.2021).

"Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne", hatte 1897 der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Bernhard von Bülow, im Zusammenhang einer Reichstagsdebatte um die deutsche Kolonialpolitik formuliert. Als späterer Reichskanzler verteidigte er die enormen Kosten der Kriegsführung als drittstärkste Kolonialmacht in Afrika 1907 mit der Frage: "Soll das deutsche Volk kleiner dastehen als andere Völker?"

Die deutsche Suche nach diesem "Platz an der Sonne" endete im Ersten Weltkrieg mit knapp zehn Millionen toter Soldaten, rund ebenso vielen getöteten Zivilisten und 21 Millionen Verletzten insgesamt.

Hoffentlich setzen Gewerkschaften, Kirchen, Friedensorganisationen und andere Akteure dem neuerlichen deutschen Großmachtstreben rechtzeitig und mit großer Klarheit Grenzen - bevor es zu spät ist.

Entspannung statt Konfrontation

Unter der Überschrift" China - Konfrontation stärkt Hardliner" https://www.zeit.de/online/2008/14/moral-realismus-kolumne-sommer/komplettansicht schrieb Theo Sommer am 27. März 2008, was auch aktuell ein guter Rat an die Bundesregierung wäre:

"Eine westliche Konfrontationsstrategie würde all diese Fortschritte gefährden. Sie würde den Tibetern und allen anderen Dissidenten nicht helfen, im Gegenteil: Ihre Unterdrückung würde mit Gewissheit verschärft. Obendrein würde sie lediglich die Impotenz des Westens enthüllen, da uns am Ende doch nichts anderes übrig bliebe, als das Nicht-Hinnehmbare hinzunehmen. Und sie könnte leicht der angeschlagenen Weltwirtschaft, für die China längst zu einer tragenden Säule geworden ist, einen zerstörerischen Schlag versetzen.

Natürlich müssen wir unsere Interessen verteidigen und unsere Werte hochhalten. Kotaus sind fehl am Platze. Aber wir sollten auch die Lehre beherzigen, die uns der Ausgang des Kalten Krieges erteilt hat: Konfrontation stärkt der Betonfraktion den Rücken, geduldige Entspannung begünstigt langfristig die Reformer."

Wenn "unsere Interessen" weiterhin darin bestehen "Wohlstand und Versorgung unserer Bevölkerung" (Leitlinien der Bundesregierung zum Indopazifik vom September 2020) auf Kosten anderer Staaten und Kontinente zu verteidigen, läuft dies allerdings massiv "unseren Werten" - wie zum Beispiel dem Friedensgebot des Grundgesetzes diametral entgegen.

In der Präambel des Grundgesetzes steht, dass das "Deutsche Volk", "von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen", sich kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben hat.

"Dem Frieden der Welt zu dienen" - wo sind die Politikerinnen und Politiker - oder auch andere Personen - die sich dieser Aufgabe annehmen?

Freising. 23. Juni 2021

Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes.

Fußnoten

Veröffentlicht am

25. Juni 2021

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