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Einschätzung des Militärs aus humaner und ethischer Sicht

Von Ullrich Hahn - Beitrag zur Tagung "Weltinnenpolitik und Internationale Polizei - Von militärischer zu ziviler und polizeilicher Sicherheitspolitik", Bad Herrenalb, 22.09.2021

1. Das Militär, gleich welcher Nationalität und welcher Seite, ist lebensfeindlich.

Seit der Antike folgt ihm eine breite Spur von Blut und Zerstörung durch die menschliche Geschichte.

Sein Zweck war und ist die Anwendung tödlicher Gewalt. Dafür ist es ausgerüstet und vorbereitet.

("Streitkräfte dienen der Androhung und Anwendung militärischer Gewalt. Wir Soldaten müssen kämpfen und töten können. Das ist der Wesenskern unseres Berufs und sein entscheidendes Merkmal." Oberstleutnant im Generalstabsdienst der Bundeswehr Marcel Bohnert im "Der Spiegel" Nr.32/07.08.2021).

2. Wegen dieser lebensfeindlichen Ausrichtung bedarf das Militär der Rechtfertigung,

anders als Einrichtungen und Institutionen, die dem Leben dienen (Landwirtschaft, Handwerk, Gesundheitswesen, Bildungseinrichtungen etc.).

Hier mag es zwar jeweils um die angemessene Bezahlung der Berufsträger gehen oder um umweltschonende Verfahrensweisen. Es käme aber niemand auf die Idee, von politischen Parteien ein Bekenntnis zu diesen zivilen Institutionen zu fordern, wie es für die Bundeswehr und die NATO der Fall ist. Ich habe den Eindruck und zugleich auch die Hoffnung, dass sich das Militär ohne die Stützen seiner Rechtfertigung nicht halten könnte.

3. Zu diesen Rechtfertigungen gehört seit jeher die Vorstellung, die eigene Seite vertrete nur gute Ziele und benötige das Militär nur zur Verteidigung,

da die andere Seite - der Feind - sonst angreifen werde, da er im Gegensatz zu uns nur böse Ziele verfolge.

Dieser verstellte Blick ist in der deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts bis in die gegenwärtige Politik zu beobachten, u.a. in der Frage nach der Kriegsschuld am Ersten Weltkrieg ("Dolchstoßlegende") und dem Mythos der sauberen Wehrmacht, der noch Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der bundesdeutschen Gesellschaft lebendig war (trotz oder gerade wegen der zweifellos deutschen Schuld am Ausbruch dieses Krieges).

In seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" verweist Immanuel Kant auf den notwendigen Seitenwechsel im Blick auf die eigene Rüstung, wenn er die Abschaffung der "stehenden Heere" fordert, "denn sie bedrohen andere Staaten unaufhörlich mit Krieg durch die Bereitschaft, immer dazu gerüstet zu erscheinen".

4. Seit der Antike ist es auch eine zentrale Aufgabe der jeweils staatstragenden Religion, den Einsatz des eigenen Militärs zu rechtfertigen und das Gewissen der Soldaten zu beruhigen.

Das gilt nicht nur, aber auch (mit wenigen Ausnahmen) für die christlichen Kirchen bis heute.

So gab es für die deutschen protestantischen Landeskirchen seit Luthers Stellungnahme zum Bauernkrieg 1525 keine Form staatlicher Gewalt, die jeweils zu ihrer Zeit nicht von ihnen gerechtfertigt wurde (die Folter im Strafverfahren, die Todesstrafe, die Vertreibung andersdenkender Menschen, Kriege aller Art usw.).

Schon lange bevor es von koalitionsfähigen Parteien gefordert wurde, bekannte sich die Evangelische Kirche in Deutschland in allen ihren Friedensschriften zu Bundeswehr und NATO.

5. Auch ohne einen realen oder vermeintlichen Feind an der Grenze werden das Militär und die Rüstungsausgaben seit Auflösung des Warschauer Pakts mit der "Internationalen Verantwortung" gerechtfertigt.

Darauf beruhen heute die Auslandseinsätze der Bundeswehr und des Militärs anderer Staaten.

Die wirklichen Motive hierfür sind aber zweifelhaft.

Wirkliche Verantwortung besteht in erster Linie für die Folgen des eigenen Tuns. Gerade bei ausländischen Militäreinsätzen gilt aber eine völkerrechtliche Verantwortungslosigkeit für die dabei angerichteten Schäden. "Das deutsche Amtshaftungsrecht (§ 839 BGB in Verbindung mit Art.34 GG) findet auch unter der Geltung des Grundgesetzes auf Schäden keine Anwendung, die bei dem bewaffneten Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte ausländischen Bürgern zugefügt werden" (BGH, Beschluss vom 13.07.2016, bestätigt durch BVerfG, Beschluss vom 18.11.2020).

Verantwortlich in diesem Sinne wäre unser Staat und auch viele andere für die zahllosen Opfer wirtschaftlicher Zerstörungen der einheimischen Märkte in Afrika und anderswo durch die ungezügelten und subventionierten Exporte, durch Überfischung ihrer Küstengewässer durch die Fangflotten der Industriestaaten, jeweils unter dem Leitbild des freien Weltmarktes.

Der Gipfel der Verantwortungslosigkeit gegenüber der Menschheit ist die Bereithaltung der Atomwaffen-Arsenale, die als tickende Zeitbomben zur Vernichtung allen Lebens auf unserer Erde in der Lage sind und zu diesem Zweck bereitgehalten werden.

Noch einmal Immanuel Kant: " …woraus denn folgt: dass ein Ausrottungskrieg, wo die Vertilgung beide Teile zugleich und mit dieser auch alles Recht treffen kann, den ewigen Frieden nur auf dem großen Kirchhofe der Menschengattung stattfinden lassen würde. Ein solcher Krieg also, mithin auch der Gebrauch der Mittel, die dahin führen, muss schlechterdings unerlaubt sein."

6. Nur eine neue, moderne Form der Rechtfertigung des Militärs können die angedachten "Internationalen Polizeieinheiten" sein,

wenn diese Einheiten wegen der mit ihnen verbundenen Erwartung an Stärke und Durchsetzbarkeit mit Kriegswaffen ausgerüstet werden (zur Abgrenzung von Polizei- u. Kriegswaffen s. Anlage zum Kriegswaffenkontrollgesetz).

Die jeweiligen Waffensysteme in Verbindung mit dem Format der Einheiten prägen die Art des Einsatzes und die damit verbundenen Zerstörungen und Opfer, die denen des Militärs dann nicht nachstehen müssen.

Die im Zweiten Weltkrieg hinter der Ostfront eingesetzten deutschen Polizeibataillone haben sich dort in gleicher Weise an den Kriegsverbrechen beteiligt wie die Einheiten der SS.

7. Als Hinderungsgrund für eine Abschaffung des Militärs und damit als Form seiner Rechtfertigung wird häufig auf eine zuvor nötige Alternative hingewiesen.

Zum Militär bedarf es aber keiner Alternative.

Alternativen werden benötigt, wenn etwas Notwendiges ersetzt werden soll, z.B. eine Energieform durch eine andere, konventionelle durch die biologische Landwirtschaft, Individual- durch öffentlichen Verkehr.

Unrecht hingegen bedarf keiner Alternative, sondern soll ersatzlos gelassen, d.h. abgeschafft werden, wie z.B. Folter, Leibeigenschaft und Sklaverei.

Auch bei diesen Menschheitsübeln hat es Jahrhunderte gedauert, bis sie überwunden wurden.

Auch da ging es jeweils vom ersten Tag an darum, ihre Rechtfertigungen und angebliche Notwendigkeit im Bewusstsein der Menschheit zu überwinden.

Beim Militär ist das nicht anders.

Quelle:  Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig - in: Versöhnung 4/2021.

Veröffentlicht am

08. Dezember 2021

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