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UNO: Cassis und Scholz hinterlassen wenig glaubhaften Eindruck

Mit Grund verurteilen beide äußerst heftig Putins Krieg. Aber sie schweigen über andere Konflikte und Krisen.

Von Andreas Zumach

Wer den ersten 35 RednerInnen bei der am Dienstag eröffneten UNO-Generalversammlung in New York zuhörte, konnte meinen, die 33 Männer und zwei Frauen lebten in verschiedenen Welten. Bei den Auftritten von Bundeskanzler Olaf Scholz und anderer Regierungschefs aus den Mitgliedsländern von NATO und EU sowie mit ihnen verbündeter Staaten wie Japan oder von Ignazio Cassis aus der Schweiz war Putin-Russlands Krieg gegen die Ukraine das beherrschende Thema.

Andere aktuelle Kriege - etwa im Jemen oder in den vom NATO-Mitglied Türkei bekämpften Kurdengebieten in Syrien und im Irak - kamen in diesen Reden überhaupt nicht zur Sprache. Auch die Krisen, Katastrophen und Bedrohungen wie Hunger, Klimawandel, gestiegene Energiepreise, Umweltzerstörung und die Folgen der Corona-Pandemie, die vor allem den globalen Süden betreffen, wurden - wenn überhaupt - nur am Rande erwähnt.

Ganz anders in den Reden des senegalischen Präsidenten Macky Sall - des derzeit Vorsitzenden der Afrikanischen Union - und der anderen Regierungschefs aus Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas war es hingegen genau umgekehrt. Sie konzentrierten sich - ebenso wie UNO-Generalsekretär Antonio Guterres in seiner Rede zur Eröffnung der Generalversammlung - auf die globalen Krisen. Guterres kritisierte, dass zur Finanzierung dringender humanitärer Maßnahmen der UNO in Krisenregionen des Südens derzeit "32 Milliarden US-Dollar fehlen, soviel wie nie zuvor". Zum Ukrainekrieg erklärte der UNO-Generalsekretär lediglich, dieser habe die globalen Krisen noch zusätzlich verschärft.

Die große Diskrepanz bei der Wahrnehmung, Benennung und Beurteilung internationaler Problemlagen gibt es vor allem deshalb, weil die Staaten der "westlichen Wertegemeinschaft" in den letzten 25 Jahren wegen ihrer Doppelstandards und selektiven Anwendung der seit 1945 universell gültigen Völkerrechts- und Menschenrechtsnormen im "Rest der Welt" erheblich an Glaubwürdigkeit verloren haben.

Eine ganz wesentliche Rolle spielt dabei der von den USA und Großbritannien geführte völkerrechtswidrige Irakkrieg des Jahres 2003. In der Folge dieses Krieges und der nachfolgenden, ebenfalls völkerrechtswidrigen achtjährigen Besatzung Iraks durch die USA verloren rund eine Million IrakerInnen ihr Leben.

Es ist unter den Mitgliedern der UNO-Generalversammlung auch nicht vergessen, dass die USA seinerzeit durch massiven Druck und Drohungen gegen Südafrika und andere Staaten die Verabschiedung einer Resolution zur Verurteilung dieses Krieges verhinderten. Wer - wie die US-Regierung - den Irakkrieg bis heute zu rechtfertigen versucht oder ihn - wie auch viele Medien in Deutschland - lediglich als "Fehler" bezeichnet, ist wenig glaubwürdig, wenn er heute Putin-Russlands Krieg gegen die Ukraine - völlig zu Recht - als völkerrechtswidrig und verbrecherisch kritisiert.

Zu dem Glaubwürdigkeitsverlust haben auch die Drohungen der USA gegen den Internationalen Strafgerichtshof beigetragen, um unliebsame Ermittlungen zu mutmaßlichen Verbrechen von US-Soldaten in Afghanistan und anderswo zu verhindern.

Ebenfalls als selektive Anwendung von völkerrechts-und menschenrechtlichen Normen wahrgenommen wird die fehlende Kritik oder gar offene Unterstützung der NATO für die völkerrechtwidrige Kriegsführung ihres Mitglieds Türkei gegen die Kurden.

Dasselbe gilt seit Jahrzehnten für das mangelnde Engagement der westlichen Staaten zur Umsetzung der zahlreichen Resolutionen von UNO-Sicherheitsrat und Generalversammlung für eine gerechte Friedenslösung im Konflikt Israel/Palästina.

In jüngster Zeit hat die anhaltende Weigerung der nördlichen Industriestaaten, die bereits im September 2020 von über hundert UNO-Staaten aus dem globalen Süden beantragte Aussetzung der Patente für Corona-Impfstoffe zu ermöglichen, zum Glaubwürdigkeitsdefizit weiter beigetragen.

Dasselbe gilt für die seit Jahren anhaltende Blockade der Verhandlungen im UNO-Menschenrechtsrat in Genf über ein von den Ländern des Südens angestrebtes Abkommen über völkerrechtlich verbindliche Menschenrechts-, Umwelt- Umwelt- und Sozialnormen für transnationale Konzerne mit wirksamen Überwachungs-, Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismen.

In beiden Fällen ist Deutschland sowohl als nationaler Akteur wie auch als wirtschaftliche Führungsmacht der EU wesentlich verantwortlich für die Blockaden. All dies steht im Widerspruch zu den hehren - und richtigen - Bekenntnissen zu den "weiterhin universell gültigen Völkerrechts- und Menschenrechtsnormen", zur Institution der UNO sowie zu einer "regelbasierten Weltordnung", die Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede vor der Generalversammlung vorgetragen hat.

Die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats verteidigen ihre Position

In einem Punkt herrscht unter den 193 Mitgliedern der UNO-Generalversammlungen ein Konsens zwischen fast allen westlichen Staaten - mit Ausnahme der USA, Frankreichs und Großbritanniens - und sämtlichen Ländern des Südens: Die derzeitige, 1945 in der UNO-Charta festgelegte Zusammensetzung des Sicherheitsrates wird als historisch überholt kritisiert und seine Reform durch eine Erweiterung um zusätzliche Mitglieder gefordert.

Die allermeisten Staaten fordern die Abschaffung des Vetos der fünf ständigen Mitglieder. Denn dieses Veto - oder oft auch nur schon seine Androhung - wurde in den letzten 77 Jahren fast immer nur dazu eingesetzt, die Handlungsfähigkeit des Rates in den Fragen seiner exklusiven Zuständigkeit für die Bewahrung/Wiederherstellung des Friedens und der internationalen Sicherheit zu verhindern. Letztes Beispiel war das Veto Russlands vom 24. Februar gegen die Resolution zur Verurteilung des am selben Tag begonnenen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Die deutsche Bundesregierung hingegen strebt für Deutschland die ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat mit einem Vetorecht an. Dass der Regierungsvertreter eines UNO-Mitgliedslandes so wie Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag seinen Auftritt vor der Generalversammlung nutzt zur Formulierung dieser Forderung, ist allerdings seit Beginn der Debatte um eine Reform des Sicherheitsrates nach Ende des Kalten Krieges nur einmal vorgekommen: Im September 1993 preschte der damalige Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) völlig überraschend und ohne Absprache mit Kanzler Helmut Kohl mit dieser Forderung vor. Seitdem schürten sämtliche Bundesregierungen die Illusion, dass diese Forderung in absehbarer Zeit erfüllt würde. Kinkel sagte den Einzug Deutschlands als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates bereits zum 50. Gründungsjubiläum im Jahr 1995 voraus und - als daraus nichts wurde - für das Jahr 2000. Die Länder des Südens, die völlig zu Recht eine stärkere Vertretung ihrer Weltregionen Afrika, Asien und Lateinamerika im Sicherheitsrat fordern, sind da viel realistischer. Sie wissen, dass eine Erweiterung des Rates nicht nur am Widerstand der autokratisch regierten ständigen Mitglieder Russland und China scheitert, sondern ebenso am Widerstand der drei westlichen Demokratien USA, Frankreich und Großbritannien. Denn alle fünf fürchten gleichermaßen, bei einer Erweiterung an Macht und Einfluss zu verlieren.

Quelle: Infosperber.ch - 29.09.2022.

Veröffentlicht am

23. September 2022

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