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Vandana Shiva und der Kompost

Fragmente vom fünften "World Organic Forum" in Kirchberg/Jagst, 27.-30. Juni 2022

Von Julia Kramer (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 114, Sept. 2022 Der gesamte Rundbrief Nr. 114 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 699 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren )

Was machen die indische Physikerin und Aktivistin Vandana Shiva, die Präsidentin von Ecoropa (Europäisches Netzwerk für ökologische Reflektion und Aktion) und u.a. Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des gen-ethischen Netzwerks Christine von Weizsäcker, und der ghanaischer König Nana Amoatia Ofori Panin Okyenhene in Kirchberg/Jagst? Sie besuchen das "5. World Organic Forum" (Welt-Forum für organische Landwirtschaft) im "Haus der Bauern" im Schloss Kirchberg.

Und was mache ich dort? Als ausgebildete ökologische Gemüsegärtnerin und Permakultur-Designerin, als Dorfbewohnerin und vor allem als lebenslange Esserin, ist mir die Lebenswichtigkeit und die Arbeit, die mit dem Nahrungsmittelanbau verbunden ist, sehr bewusst.

Die Agrarindustrie und industrielle Landwirtschaft mit ihren Natur- und Menschenrechtsverletzungen sehe ich als eine große Gefahr für die Ernährungssicherheit und ein würdevolles Leben lokaler Gemeinschaften, sowie für ökologische Systeme und das Weltklima an. Angesichts der Klimakrise sorge ich mich sehr um die Welternährung, insbesondere auch um die Subsistenz-Bäuer*innen im Globalen Süden und der allgemein weiter fortschreitenden Abhängigkeit von der Agrarindustrie. Wie zerbrechlich unser Ernährungssystem ist, zeigen die Hungersnöte in Ostafrika im Zusammenhang mit der Klimakrise und dem Ukrainekrieg. Ökologische, nichtindustrielle Landwirtschaft global zu fördern und zu fordern ist daher m.E. ein dringliches Gebot der Stunde.

Über meinen Besuch des fünften "Welt-Forums für organische Landwirtschaft" in der Akademie "Haus der Bauern" berichte ich deshalb hier in Auszügen. Die Veranstaltung in relativer Nähe war eine gute Gelegenheit für mich, die aktuellen Diskurse kompakt und eindrücklich mitzuerleben. Auch steht das Thema im Zusammenhang mit den Inhalten, die wir ein Jahr lang in unserer Projektgruppe "Eine andere Welt ist möglich, aber wie?" im Lebenshaus erarbeitet haben.

Die Fragmente der Podiumsgespräche machen deutlich, welche Rolle ökologische und regenerative Landwirtschaft heute global spielen, um die ökologische und die soziale Frage auf dem Land zu bearbeiten - und welche Hürden es dabei gibt.

Regenerative Landwirtschaft: Die Erde heilen

Der neue Begriff der "regenerativen Landwirtschaft" ist zwar noch nicht eindeutig definiert. Er umfasst aber verschiedene Ansätze der Landwirtschaft, die das Ziel haben, die Erde gleichzeitig fruchtbarer und lebendiger zu hinterlassen, als sie ohne die landwirtschaftliche Nutzung im aktuellen Zustand wäre. Ana Digòn von der "Regenerative Agriculture Association" in Iberia erklärt es so: "Regenerative Landwirtschaft bringt das Leben zurück in den Boden und zu den Bäuer*innen. Es geht um einen Perspektivwechsel: Die Bäuer*innen bauen den Boden an, der dann wiederum Pflanzen hervorbringt, die dann Tiere ernähren." Es geht also darum, das Bodenleben so zu pflegen und zu stärken, dass die Lebendigkeit und Fruchtbarkeit des Bodens zunimmt. Dies ermöglicht nicht nur, dass dort Pflanzen wachsen können, die der Ernährung von Mensch und Tier dienen. Die Bodenpflege bewirkt auch, dass der Boden in den vermehrten Trockenperioden Wasser besser speichern kann, stärker durchwurzelt und deshalb vor Erosion besser geschützt ist. Es kann in regenerativer Landwirtschaft außerdem darum gehen, die Artenvielfalt zu stärken und mehr CO2 im Boden und in Pflanzen zu speichern und umzuwandeln. Angesichts z.B. der Gefahr, dass 70% der iberischen Halbinsel (Spanien und Portugal) zu Wüste werden, ist ein solcher Ansatz möglichst flächendeckend extrem wichtig.

Subsistenz: Unabhängige Ernährung und Einkommen lokaler Gemeinschaften

Vandana Shiva betont, dass Landwirtschaft grundsätzlich auch einen ökonomischen Aspekt hat. Gemeingüter wie Land und Saatgut werden genutzt, um Nahrungsmittel für sich (Subsistenzwirtschaft) und andere zu produzieren. Ökologische Landwirtschaft ermöglicht dies, ohne Raubbau zu betreiben. Im Gegensatz dazu beschreibt sie, wie eine "extraktivistische" Herangehensweise an Landwirtschaft und andere Wirtschaftsfelder (Extraktivismus, auch: "Okkupationswirtschaft", von extrare = herausnehmen) die natürlichen Lebensgrundlagen nur ausbeuten will, ohne etwas, z.B. an den Boden, zurückzugeben. Dies führe letztlich zu Ökozid und Genozid. Extraktivistische Firmen versuchen, denselben Fluss, dasselbe Stück Land, wieder und wieder zu Geld zu machen. Vandana Shivas Forderung ist daher: "Reclaim the commons! Fordert die Allmende wieder zurück! Mit der Pflege der Gemeingüter Land, Saatgut usw. wird das Leben regeneriert. Dies kann und muss überall geschehen, jede*r kann lokal damit anfangen." Und das geschieht auch, wie viele Beispiele zeigen.

In vielen Teilen der Welt geht es dabei aber besonders um die Ernährung und den Lebensunterhalt der Mehrheit der Bevölkerung. Das Menschenrecht auf Nahrung geht einher mit dem Menschenrecht, sich selbst zu ernähren, wie es ja auch Organisationen wie FIAN oder das globale Kleinbauern-Netzwerk "Via Campesina" einfordern. Zugang zu und Rechte an den Allmenden "Wasser", "Saatgut" und "Boden", sprich also Landrechte, sind zentral und werden von "Landgrabbing" durch große Unternehmen oder Privatbesitzer*innen, von der Agrarindustrie und anderen Akteuren untergraben. Lokale und insbesondere indigene Gemeinschaften praktizieren dagegen in vielen Teilen der Welt ökologische Landwirtschaftssysteme. Aber auch hier gibt es "Extraktivismus" von Wissen, wie Christine von Weizsäcker sagt: Indigene Praktiken werden oft als "Innovationen" durch Nicht-Indigene verkauft und vermarktet. Wissenschaft sollte eine Allmende sein, aber durch "Public-Private-Partnerships", also sogenannte "öffentlich-private Zusammenarbeit", sei sie das nicht mehr. Christine von Weizsäcker ruft nach "ökologischer Demokratie statt Expertokratie".

Sie beobachtet zudem, dass die Zusammenhänge von Menschenrechten und ökologischen Fragen, wie die Sorge um die Erde, immer mehr aus dem Fokus geraten. Ana Digòn ist daher von der Wichtigkeit überzeugt, lokale Gemeinschaften zu stärken. Dabei geht es darum, nicht "Macht über andere", sondern "Eigenmacht" (Ermächtigung) und "Macht mit anderen" zu stärken. Dieses feministische Verständnis von Macht wurde von der Ökofeministin Vandana Shiva illustriert, die auf einen Diskussionsbeitrag aus dem Publikum reagierte. Ein Mann aus dem Publikum meinte, dass Mütter eine besondere Integrität besäßen in Bezug auf den Schutz der Natur. Vandana Shivas Antwort darauf war sinngemäß, dass dies keine angeborene geschlechtsbezogene Eigenschaft sei. Im kapitalistischen Patriarchat hätten Männer das Privileg, die Grundlagen und die Pflege des Lebens zu vergessen, während Frauen zu Expertinnen der Sorgearbeit gemacht würden. Muttersein sei nicht (nur) eine biologische Rolle, sondern eine Beziehungsqualität. Wir alle seien aufgerufen, die Qualitäten der Mütterlichkeit zu erlernen und sie auch in Bezug auf die Erde anzuwenden.

Ökologische Landwirtschaft und Welternährung

Vandana Shiva erzählte von der Rio+10-Konferenz 2002: Hier wurde Kritik geübt an der "Bullshit-Idee, die Welt durch ökologische Landwirtschaft in eine Hungersnot zu treiben". Ihre Reaktion auf diese inhaltlich falsche Kritik war: "Bullshit kompostiert gut - und Kompost, das ist genau das, was wir für ökologische Landwirtschaft brauchen." Sie initiierte daraufhin ein "Kompost-Ritual", um die Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) in gute, lebendige Erde zu kompostieren. Christine von Weizsäcker betonte, dass die 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele (SDGs), an deren Verhandlungen sie beteiligt war, ein unfertiger Kompromiss seien. Ihre Widersprüchlichkeit spiegle den Widerstreit von Ministerien der Verhandlungsländer wieder. Es sei gut, die SDGs zu nutzen und gleichzeitig zu kritisieren und selbst mit Sinn zu füllen. Ernährungssouveränität habe es z.B. nicht in die SDGs geschafft! Außerdem brauche es mehr legal verbindliche Strukturen, wie zum Beispiel eine Biodiversitäts-Konvention. Einklagbarkeit sei natürlich etwas, das die Lobby der Industrie etc. vermeiden und untergraben wolle. Erfreulich sei aber, dass viele Länder das Anliegen unterstützen, dass Ökozid als krimineller Akt vor dem Internationalen Strafgerichtshof anklagbar werden soll. "Wir dürfen nicht zulassen, dass die Investoren und die WTO die Welt regieren", sagte sie, und betonte: "Seit der letzten Konferenz in Glasgow wird nun klar: Die großen Umweltverschmutzenden werden bezahlt und machen die Regeln. Die Reichen sammeln durch ‚business as usual’ Geld an, das sie dann verwenden können, um sich aus der Krise rauszukaufen."

Multidimensionale Krisen angehen

Christine von Weizsäckers Resümee ist: "Um die aktuelle multidimensionale Krise zu bestehen, brauchen wir systemische, multidimensionale, sektorübergreifende, inter- und transdisziplinäre, sowie partizipatorische Ansätze für einen dramatischen Fokus-Wechsel. Schicke technik-basierte Reparaturen einzelner Probleme werden nicht genügen. Und wir müssen lokale potentiell Betroffene auf allen Ebenen bis zur UN-Ebene daran beteiligen, im Bereich der Katastrophenprävention Frühwarnsysteme und Bewältigungsmechanismen für Mehrfachkrisen zu entwickeln." Janet Maro Wostry, Mitbegründerin und Vorsitzende von "Sustainable Agriculture Tansania", betonte hierbei ganz praktisch, dass es gerade in Krisenzeiten einfacher ist, auf ökologischen Dünger, wie Kompost und Leguminosen, zu setzen als chemische Düngemittel zu subventionieren.

Mein Fazit aus diesen Ausführungen ist: Ich stimme daher dem von Christine von Weizsäcker eingeforderten Fokus-Wechsel zu. Insbesondere sollten wir unsere Aufmerksamkeit richten auf lokale, indigene, Landwirtschaft betreibende Gemeinschaften. Ökologische Landwirtschaft als ein Baustein für eine andere Welt ist dabei, wie ein weiterer Referent auf der Tagung anmerkte, dreifach gesünder: Für die Konsumierenden, die Bäuer*innen und die Erde. Ein Ziel muss daher sein, die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft zu beschleunigen und "Gemeinschaften frei von Gift und fossilen Brennstoffen" (Vandana Shiva) zu bauen.

Julia Kramer ist Referentin für internationale Friedensfragen bei Lebenshaus Schwäbische Alb

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Fußnoten

Veröffentlicht am

07. September 2022

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