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Letzte Generation: Störenfriede für das Klima?

Von Lukas Klus

Im letzten Jahr hat man immer wieder von blockierten Autobahnen gehört. Dafür waren oft Klimaaktivist*innen der Letzten Generation verantwortlich. Die Letzte Generation, sie tauchte vor einiger Zeit wie aus dem Nichts auf und wirkt wie die radikalere Version von Fridays for Future. In den Medien erscheint die Letzte Generation gerne als neues Schreckgespenst. Ein paar Leute, die Autobahnen blockieren, wirken fast angsteinflößender als die Klimakatastrophe selbst. Es lohnt sich, einen näheren Blick auf die Letzte Generation zu werfen.

Hervorgegangen ist die Organisation aus einem Hungerstreik, der im letzten Jahr vor dem Bundestag stattfand. Es war eine radikale Form des Klimaaktivismus: Hungerstreik als Mittel, Aufmerksamkeit zu schaffen.

Tatsächlich suchte Bundeskanzler Olaf Scholz daraufhin das Gespräch mit den Aktivist*innen. Passiert ist seitdem: Nichts. Klimapolitische Veränderung wird weiterhin vermisst. Für die Letzte Generation war das ein entscheidendes Signal: Um die Gefahr des menschengemachten Klimawandels wirklich auf die Agenda zu bringen, reichen keine Demos mehr. Für wirkliche Aufmerksamkeit braucht es mehr.

"Auf Autobahnen kann man am besten stören", sagt Carla Rochel von der Letzten Generation. Sie war bei einer Vielzahl von Aktionen der Organisation dabei, protestierte in Städten wie Frankfurt und Berlin und wurde für ihren Aktivismus bereits festgenommen. Sie betont, dass es bei den Autobahnprotesten nicht darum geht, sich gegen die Autofahrer*innen zu richten. Menschen, die einfach nur auf dem Weg zur Arbeit sind, das sind nicht diejenigen, die eigentlich getroffen werden sollten. Generell ist es der Letzten Generation stets wichtig, zu betonen, dass klimapolitische Maßnahmen nicht auf Kosten arbeitender und ärmerer Menschen gehen dürften. Aber die Blockaden sieht Carla Rochel trotzdem als notwendiges Übel: Denn nur ein Aktivismus, der die Menschen direkt betrifft, schafft auch Aufmerksamkeit für das Thema. Wichtig sei es, den Aktivismus nicht als auf dem Rücken dieser Menschen zu bezeichnen.

Die Letzte Generation versteht sich jedoch auch nicht als bloßes Kollektiv von Störenfrieden mit dem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Die Aktivist*innen bringen eine Vielzahl an Forderungen mit sich. So fordern sie unter anderem ein Ende der Ölbohrungen in der Nordsee, keine neuen fossilen Brennstoffe und eine Unabhängigkeit von ölfördernden Diktaturen. Die Macht der Konzerne, die massiv zum Klimawandel beitragen, soll beschränkt werden, an dieser Stelle sollen demokratische Partizipationsmöglichkeiten geschaffen werden. Die Letzte Generation schlägt stattdessen Bürger*innenräte vor, in denen Menschen aus unterschiedlichen Schichten, Bereichen und Lebensrealitäten zusammenkommen, um sich politisch einzubringen. Dem Ideal nach sollten solche Räte auch Einfluss auf die Politik der Bundesregierung nehmen können – gelebte Demokratie soll so Politikverdrossenheit und Konzernmacht entgegenwirken.

Carla Rochel betont hierzu, dass die Verantwortung für den menschengemachten Klimawandel nicht individualisiert werden darf: "Der ökologische Fußabdruck ist eine Erfindung der fossilen Energieindustrie, um Verantwortung von sich zu weisen." Das Problem sieht sie in einer Politik, die nicht handelt und einem wirtschaftlichen System, das die Klimakrise vorantreibt. Die Verantwortung auf einzelne Menschen abzuwälzen, sei falsch. Ein paar Bioprodukte oder eine Holzzahnbürste alleine retten auch nicht die Welt. Dies könne nur eine große politische Veränderung leisten. Eine Holzzahnbürste besitzt Carla Rochel trotzdem.

Bleibt nur noch die Frage nach dem Namen: Die Letzte Generation, das klingt wenig verheißungsvoll, nahezu apokalyptisch. Die Organisation will jedoch keinesfalls als Botin des Untergangs verstanden werden: Die Letzte Generation hat noch die Chance, das Ruder herumzureißen. Sie ist die Letzte Generation deshalb, weil sie als letztes noch alle Register ziehen kann, der Klimakatastrophe entgegenzuwirken. In wenigen Jahren ist es zu spät, ab dann ist die Katastrophe unvermeidbar. Der Name Letzte Generation ist eine Aufforderung: Es muss jetzt gehandelt werden!

In den letzten Monaten haben wir eine beispiellose Hitzewelle erlebt. Waldbrände und Dürre haben dazu geführt, dass viele Staaten den Notstand ausrufen mussten. Es steht inzwischen außer Frage: Der Klimawandel ist da. Der Aktivistin Carla Rochel fällt es vor diesem Hintergrund schwer, den Optimismus zu wahren: "Manchmal glaube ich, dass es bereits zu spät ist." Aber bei aller Verzweiflung erkennt sie auch, gerade jetzt alles getan werden muss, um zu retten, was zu retten ist.

Es steht außer Frage, dass der Klimawandel uns noch lange begleiten wird. Seine Folgen spüren wir momentan am eigenen Leib – und es wird nicht besser. Jedenfalls nicht, wenn es so weitergeht wie bisher. Radikaler Klimaaktivismus wie der der Letzten Generation mag derzeit noch eine Randerscheinung sein. Wenn die Menschheit jedoch weiter auf die Katastrophe zufährt wie bisher, dann kann er keine Randerscheinung bleiben.

Lukas Klus studierte Kultur- und Sozialanthropologie und studiert derzeit Philosophie. Nebenbei ist er immer auf der Suche nach interessanten und wichtigen Themen, um darüber schreiben zu können.

Quelle: Pressenza - 01.09.2022. Eine Vervielfältigung oder Verwendung des Textes in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist unter Berücksichtigung der Regeln von Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) möglich.

Veröffentlicht am

03. September 2022

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