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Gewaltfreie Blockadeaktion Großengstingen 1982: Christoph Besemer

Vom 1. bis 8. August 1982 fand bei Großengstingen auf der Schwäbischen Alb unter dem Motto "Schwerter zu Pflugscharen" eine einwöchige Blockadeaktion des Atomwaffenlagers statt. Rund 750 Menschen beteiligten sich an dieser gewaltfreien Aktion. Für viele Beteiligte hatte dies auch juristische Folgen.

Seit dieser gewaltfreien Aktion sind nun 40 Jahre vergangen. Wir haben Menschen eingeladen, die damals bei dieser Aktion dabei waren, sich nach dieser langen Zeit zurück zu erinnern.

Hier findet sich eine Übersicht über alle Beiträge: Einwöchige gewaltfreie Sitzblockade vor dem Atomwaffenlager bei Großengstingen Sommer 1982 - Beteiligte erinnern sich

Nachfolgend ein Interview mit Christoph Besemer.

  • Wie blickst Du heute mit dem Abstand von vier Jahrzehnten auf diese Aktion zurück?

Es war ein beeindruckendes Erlebnis für mich - sowohl, was die Aktion selbst angeht, als auch unsere Form der Organisation (Bezugsgruppen-System und Konsensfindung im Sprecher*innen-System) und darüber hinaus auch unser Bezugsgruppen-Leben (gemeinsame Anreise per Rad, intensives Zusammenleben auf dem Camp und gemeinsames Musizieren).

  • Wie ist es zu Deiner Teilnahme überhaupt gekommen und was waren Deine Gründe?

Ich war seit meiner Kriegsdienstverweigerung aktiv in der Friedensbewegung und bei Aktionen dabei. Diese längere und gut organisierte Blockadeaktion hat mich und meine Bezugsgruppe, die es schon zuvor gab, sehr angesprochen. Es war ja sowohl ein Experiment als auch ein Vorbild für größere gewaltfreie Aktionen, weil das Ganze sehr erfolgreich war.

  • Erinnerst Du Dich an die Vorbereitung und den Verlauf der Aktion?

An die Vorbereitung erinnere ich mich nicht mehr. Ich glaube, da ist das meiste von den Tübinger*innen (sehr gut) gemacht worden.

Einzelne Ereignisse sind mir aber noch gut in Erinnerung:

- Der Auftakt, als wir alle gemeinsam zum Atomwaffenlagen gezogen sind und dann dort die erste Blockadegruppe vor dem Tor sitzen geblieben ist.

- Die Beratungen innerhalb der Bezugsgruppe und der Dorfsprecher*innen-Rat und als dritte Stufe der Gesamt-Sprecher*innen-Rat.

- Alles wurde per Konsens entschieden und dazu mussten manche Entscheidungsfragen mehrmals die verschiedenen Ebenen rauf und runter gehen.

- Interessant war die Entscheidung, wer von uns zu einer Fernsehdiskussion gehen soll. Da wurden, so weit ich mich erinnere, auch kleine Rollenspiele gemacht und dabei hat sich herausgestellt, dass F.S. wohl der geeignetste Vertreter für uns ist. Und er hat seine Sache tatsächlich mit Bravour gemacht.

- Die Beratungen, wie der Abschluss der Blockadeaktion gestaltet werden sollte, war auch spannend und führte zu einem guten Ergebnis. Es war ein würdiger und beeindruckender Abschluss.

  • Hatte diese Aktion Folgen für Dich und wenn ja, welche?

Nein, für mich hatte das keine strafrechtlichen Folgen.

  • Welche Bedeutung hat diese Aktion in Deiner eigenen Biografie gespielt?

Mit dieser exemplarischen Aktion konnte das Anliegen (gegen Atomwaffen) und die Aktionsform "gewaltfreie Blockade" bekannt gemacht werden. Ich habe dazu bei Veranstaltungen und Rüstzeiten für Zivildienstleistende gesprochen. Und es gab die Nachfolgeaktionen an verschiedenen Militärstandorten, die alle gewaltfrei waren und geblieben sind. Diese sich ausweitenden Aktionen haben der Friedensbewegung viel Schwung und Erfolg verschafft. Ich selbst habe mein berufliches Leben der Thematik "Gewaltfreiheit und Gewaltfreie Aktion" gewidmet - z.B. als Hauptamtlicher bei der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden und bei der Gründung des Bundes für Soziale Verteidigung (BSV).

Interessant fand ich, dass ich letztes Jahr zu einem Vortrag über Konsensfindung in größeren Gruppen ("Konsens mit Tausenden") eingeladen war, bei dem ich dann u.a. auch meine Erfahrungen mit dem Sprecher*innenrat-System verwenden konnte.

  • Haben Aktionen des Zivilen Ungehorsams aus Deiner Sicht in der heutigen Zeit einen Sinn? Falls ja: Welchen?

Ziviler Ungehorsam ist immer sinnvoll und vielleicht auch erforderlich, wenn sich ein konkretes Unrecht nicht durch andere Mittel beseitigen lässt. Und manchmal braucht es auch Zivilen Ungehorsam, um überhaupt auf ein drängendes Problem hinzuweisen und Menschen zum Widerstand dagegen zu mobilisieren. Dadurch, dass die Aktions-Teilnehmer*innen das Risiko auf sich nehmen, mit Gewalt weggebracht zu werden, vor Gericht zu stehen und Geldbußen oder Gefängnisstrafen zu erhalten, zeigt das den Ernst der Protestierenden und die Dringlichkeit des Problems. Wichtig dabei ist immer auch, dass der Inhalt der Aktion im Mittelpunkt steht und nicht "blinder Aktionismus".

Christoph Besemer, Freiburg:

Jahrgang 1955 - Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst: Seitdem friedenspolitisch aktiv;

Studium der Politikwissenschaften an der FU Berlin;

Mitarbeit beim landeskirchlich Beauftragten für KDV und ZDL, Pfarrer Schäufele, in Stuttgart (1982-1985);

hauptamtlicher Mitarbeiter der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden ab 1985 - 2021 (mit wenigen Jahren Unterbrechung);

freiberufliche Tätigkeit als (Konflikt-)Moderator, Mediator, Referent und Seminarleiter zu "Konsens" und "Gewaltfreiheit".

Von Christoph Besemer gibt es einen interessanten Auswertungsartikel zur Blockadeaktion in Großengstingen im Sommer 1982:

Christoph Besemer: "Eine neue Widerstandsperspektive?" aus: Handbuch 2. BlockadeAktion ‘82 - Auswertung. Tübingen.

 

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Veröffentlicht am

20. Juli 2022

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