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Vandana Shiva: “Die Gier ist das eigentliche Problem in dieser Welt” - das EireneFest ist eine Alternative zu Amazon

Von Lorenzo Poli

Am 5. Juni, ging das EireneFest, das erste Buchfestival für Frieden und Gewaltfreiheit, im römischen Stadtteil San Lorenzo und in den Verano-Gärten zu Ende. Den Abschluss der Veranstaltung bildete Vandana Shiva, Ökophilosophin, Quantenphysikerin, Umweltschützerin, Ökofeministin, Präsidentin der Organisation Navdanya International und eine der originellsten Theoretikerinnen der sozialen Ökologie.

Vandana Shiva, übersetzt von der Journalistin Veronica Tarozzi, stellte ihr neuestes Werk vor, das auf Italienisch erschienen ist: "Dall’avidità alla cura" (Von der Gier zur Fürsorge), herausgegeben von EMI. Darin nimmt sie das Paradigma der Gier ins Visier, das der heutigen Ausbeutungswirtschaft innewohnt. Diese besteht aus einer neoliberalen Politik, die darauf abzielt, die privaten Profite großer Konzerne auf Kosten von Gemeingütern, indigenem Wissen, Gesundheit, Demokratie und Ernährungssouveränität zu begünstigen.

"Wir können den Planeten nicht retten, ohne das wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Paradigma zu ändern, das unser Leben bestimmt. Nur wenn wir den Weg der Fürsorge und des Respektes für die Erde wählen, werden wir den neuen Generationen eine bessere Welt übergeben", sagte Shiva.

In ihrem neusten Essay erinnert uns die indische Aktivistin daran, dass die aktuellen Klima-, Gesundheits-, Wirtschafts-, Sozial- und Demokratiekrisen alle dieselbe Wurzel haben: das Entwicklungs-, Konsum- und Produktionsmodell, die Globalisierung der Wirtschaft und die Kolonialisierung der Vorstellungswelt. Der Westen präsentiert das Problem weiterhin so, als ob es die Lösung wäre, und beweist damit eine starke Unfähigkeit, die Welt anders, mit anderer Annahme zu betrachten. Die Lösung besteht laut Shiva darin, "eine neue ökologische Allianz zwischen den Generationen" im Namen des Gemeinwohls zu schaffen.

Bei ihrem Vortrag auf dem EireneFest zeigte sie auf die Verfechter der grünen Wirtschaft und eine der größten Greenwashing-Operationen: "Das Problem des Klimawandels ist die Gewalt gegen die Erde. Seit 200 Jahren nutzen wir fossile Brennstoffe und alles, was damit einhergeht. Der Planet wurde durch Pflanzen und Wälder gekühlt. Die Temperatur wurde von 290 auf 30 Grad gesenkt: Unsere Erde war ein extrem heißer Planet. Dank der Pflanzen wurden die lebensspendenden Bakterien auf der Erde verändert und das Klima von unbewohnbar in bewohnbar verwandelt. Pflanzen und Tiere lebten während des gesamten Zeitraums, der nötig war, um die Erde so zu gestalten, wie wir sie kennen, in einer Symbiose. Wer vorschlägt, Tiere zu töten, um das Klimaproblem zu lösen, versucht damit offenbar, unsere Verwandten zu töten, denn die Tiere sind unsere Verwandten. Und all das basiert auf einer Wissenschaft, die keine wissenschaftliche Grundlage hat."

Ein weiterer Schwerpunkt war das Hinterfragen der Enteignung von Wissen durch Big Tech und Big Food mittels des neuen Big-Data-Marktes und der Patentierung von Saatgut, die auf eine "Landwirtschaft ohne Landwirte" hinausläuft:

"Wenn die Menschen ihre Rechte und Wahlmöglichkeiten nicht wahrnehmen, werden wir Landschaften voller Gifte haben und niemanden, der sich darum kümmert; wir werden mehr Drohnen haben, die mehr Gifte verbreiten. Wir werden immer größere Traktoren und immer größere Autos ohne Fahrer haben. Ein kleiner Bauernhof wird sich niemals einen großen technologischen Traktor leisten können. Und so wird die Art der Landwirtschaft, an die wir gewöhnt waren, durch eine Landwirtschaft ersetzt, die auf gentechnisch veränderte Organismen (GVO) und Düngemitteln basiert. Sogar das Saatgut wird durch Hybridsamen ersetzt, die sich nicht vermehren können, und wir werden völlig minderwertiges Erdreich produzieren. Wenn wir diese Samen nehmen, werden wir feststellen, dass sie kein Leben mehr spenden. Jetzt werden sie versuchen, eine Welt zu schaffen, in der die Bauern und Bäuerinnen von sich selbst glauben, keine Ideen mehr zu haben - als ob sie gar kein Wissen hätten.

Sie haben sogar die Bedingung gestellt, dass die Satelliten den Bauern und Bäuerinnen sagen, wann sie säen und wann die Oliven geerntet werden können. Das liegt daran, dass die gesamte Technologie auf diesem System basiert, das nur Verkaufsprodukte produziert. Was glaubt ihr, wie die verschiedenen Tycoons von heute, etwa Zuckerberg, dorthin gekommen sind, wo sie sind? Das gesamte digitale System ist ein Überwachungssystem, und wir werden sowohl zum Rohstoff als auch zu Konsumierenden. New Big Data sind das neue Öl, sagt man heute. Der Diebstahl unserer Daten durch Technologieunternehmen wird zu den genau gleichen Problemen führen wie beim Öl. Es gibt eine große Debatte darüber, ob es Arbeitsplätze ohne Arbeitnehmende, und Arbeitnehmende, Industrien ohne Arbeiter:innen geben wird, und in den Palästen der Macht heißt es immer wieder, es gebe keinen Bedarf an Arbeitskräften. Wir werden diejenigen sein, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen und für sich selbst entscheiden sollten, unsere Rechte zu behalten und nicht weggeworfen zu werden, als wären wir Abfall. Nadia hat uns gelehrt, wie kleine Bauernhöfe für unsere Wirtschaft sehr wichtig werden können. Das ist die Zukunft, die wir sehen wollen: dass die Kleinbauern und -bäuerinnen erkennen, wie wichtig ihre Ernte, so klein sie auch sein mag, für den Bauernstand und für die Gesellschaft als Ganzes ist."

Eine weitere wichtige erkenntnistheoretische Kritik richtete sich gegen Fake-Food: "Euer Land war lange Zeit als eines der Länder bekannt, in dem die biologische Vielfalt von Lebensmitteln zu den höchsten der Welt gehört. 75% der chronischen Krankheiten auf der Welt werden durch ultra-verarbeitetes Junk Food verursacht. Eine Mozzarella ohne Büffelmilch ist keine Mozzarella und künstliches Fleisch ist kein Fleisch. All diese pseudo-vegetabilen Lebensmittel wie Fleischimitate, Milchimitate, Fischimitate, all diese aus Pflanzen stammenden Lebensmittel, die als die Lebensmittel der Zukunft angepriesen werden, sind in Wirklichkeit industriell verarbeitet und verursachen die uns bekannten chronischen Krankheiten. Diese Art von Nahrung wird uns nicht durch unsere Entscheidungen aufgezwungen, sondern durch den Techno-Faschismus".

Eine starke strukturelle Kritik war den Multimilliardären vorbehalten, dem einen Prozent der Erde, die in ihren wirtschaftlichen Praktiken und Spekulationen das Paradigma der Gier verkörpern, oft getarnt als falsche philanthropische Aktionen: "Ich denke, wir leben in einer Zeit, in der die Gier dramatisch zunimmt, aber auch die Solidarität unter den Menschen. Der schlimmste Fehler, den wir als freie Menschen machen können, ist es, diesem einen Prozent des Planeten zu erlauben, uns zu befehlen, wie wir unsere Zukunft gestalten sollen. Wir müssen also erkennen, dass sie zwar glauben, mächtig zu sein, uns aber nur in eine Zukunft der Vernichtung führen können. Es gab schon in der Vergangenheit Diktatoren, und es waren die Volksbewegungen, die diesen Leuten beigebracht haben, dass sie in Wirklichkeit nicht über unbegrenzte Macht verfügen. Die Diktatoren von heute sind die Millionäre und ihre Hedgefonds."

Zum Schluss noch eine Perle der Hoffnung, die auch dem EireneFest gewidmet ist:

"Die Saat des Lebens kann nur aus dem Boden geboren werden und wachsen; alles, was geboren wird, wächst aus dem Boden, und wir müssen kreativ sein im Erschaffen neuer Alternativen. Euer Festival heute ist die Alternative zu Amazon: Ihr habt nicht auf Amazon gewartet, um es zu organisieren! Ihr habt es beschlossen, indem ihr eure Energien gebündelt habt. Jede Initiative zum Anbau von Lebensmitteln ist offensichtlich die Entscheidung von Gemeinden, sich nicht vergiften zu lassen und Lebensmittel mit ihren eigenen Händen zu produzieren. Je stärker die Gewalt des einen Prozents ist, desto stärker müssen unser Mitgefühl, unsere Gewaltfreiheit und unsere Solidarität werden."

Wie Nicoletta Dentico feststellt, "erneuert Vandana Shiva ihr wichtigstes und notwendigstes Talent: die Angewohnheit der Parrhesie, also der Redefreiheit, d.h. eine offene und direkte Beziehung zur Wahrheit, die sich in einem kühnen Blick ausdrückt. Sie gebiert diese Wahrheit als freie Frau, als unabhängige Wissenschaftlerin, als unnachgiebige Aktivistin und als lösungsorientierte Denkerin für eine Welt, die von immer neuen Formen der Kolonialisierung bedrängt wird. Dieses Buch gibt der Möglichkeit, anders zu denken und zu sein, wieder Raum, um die Fürsorge für das Leben auf der Erde zu reaktivieren".

Quelle: Pressenza - 20.06.2022. Übersetzung aus dem Italienischen von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam. Eine Vervielfältigung oder Verwendung des Textes in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist unter Berücksichtigung der Regeln von Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) möglich.

Veröffentlicht am

21. Juni 2022

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