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Und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht

Eine Reise an die EU-Außengrenzen im März 2022 (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 113, Juni 2022 Der gesamte Rundbrief Nr. 113 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 684 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren )

Von Julia Kramer

Für zwei Wochen fuhren Ursula Overhage und ich im März 2022 mit der Initiative "grenzenlos - People in Motion" an die EU-Außengrenzen. Im Mittelpunkt stand - neben direkter humanitärer Hilfe für Flüchtende - die Pushback-Map bekannt zu machen. Diese internet-basierte Plattform ermöglicht Flüchtenden und deren Unterstützer*innen jederzeit, Pushbacks auf einer Karte zu dokumentieren und zu veröffentlichen. Als "Pushback" wird das meist mit physischer und immer mit psychischer Gewalt einhergehende Zurückdrängen flüchtender Menschen verstanden, ohne dass ihnen das Recht auf einen Asylantrag gewährt wird. Diese Praxis, die u.a. bei Frontex und der Grenzpolizei verschiedener EU-Länder verbreitet ist, wurde in den letzten Monaten in diversen Berichten und Gerichtsverfahren problematisiert: So zum Beispiel im Lighthouse Report "Unmasking Europe’s Shadow Armies" (Demaskierung von Europa’s Schattenarmeen) letzten Oktober https://ogy.de/l3dh ., von Pro Asyl https://ogy.de/r1y5 , https://ogy.de/4h64 .  und auf tagesschau.de https://www.tagesschau.de/thema/pushbacks/ .

Wir fuhren, zeitweilig gemeinsam mit einer dritten Person aus den Niederlanden, zunächst an die bosnisch-herzegowinische Grenze zu Kroatien und an die serbische Grenze zu Ungarn. Dort begegneten wir Menschen, die oft bereits im Herkunftsland massive Gewalt erlebt hatten, schon monate- oder jahrelang unterwegs sind, und die auf dieser Station ihrer Reise unter einfachsten Bedingungen in inoffiziellen Flüchtlingscamps oder "Squats" überleben. Die wieder und wieder den Mut aufbringen, ins "Game" zu gehen, also den Versuch unternehmen, über die Grenze in die EU zu gelangen, um sich ein neues, sichereres Leben aufbauen zu können - und die wieder und wieder, oft viele dutzende Male über mehrere Jahre, brutale Pushbacks erleben.

Wir trafen auch Menschen, die sich privat oder organisiert solidarisch zeigen und die Flüchtenden konkret und unbürokratisch unterstützen. Und wir trafen bosnische Rückkehrerinnen, die während des dortigen Krieges in Deutschland waren und andere, die den Krieg vor Ort überlebt haben, die nun versuchen, präventiv eine neue kriegerische Eskalation auf dem Balkan zu verhindern und sich für Verständigung und Gerechtigkeit einsetzen.

Wir haben die Polizist*innen an den Grenzen gesehen, die Grenzzäune, Verwundete und zerstörte Handys direkt nach einem Pushback, Zivilpolizei und "Dorfaufpasser", nationalistische Grafitti, verbliebene Landminenfelder aus dem letzten Krieg, rassistische Cafe-Betreibende, …

Und wir haben auch gesehen, wie es anders gehen kann: Am Ende unserer Reise fuhren wir an die ukrainisch-ungarische Grenze: Hier fanden wir eine wohlorganisierte und freundliche Aufnahmestation vor, mit Charity-Buffet, Kinderspielzeug und kostenloser Weiterreise. Aber auch hier werden Menschen nach "guten und schlechten Flüchtenden" sortiert: Die meisten der afrikanischen Studierenden, die aus der Ukraine geflohen waren und von denen wir einige bei der Flucht und seitdem unterstützen konnten, haben auf der Flucht Rassismuserfahrungen gemacht.

Wir konnten dafür sorgen, dass mindestens 1500 Flüchtende in Bosnien-Herzegowina und Serbien von der Pushback-Map erfahren haben oder aktuell noch davon erfahren (da einige Organisationen die Sticker weiterverteilen, und wir den Weblink an frequentierten Orten gut sichtbar "hinterlassen" haben). Gleichzeitig konnten wir etwa 300 Kleidungsstücke und Schuhe, mehrere Babytragen und Medikamente, sowie Nahrungsmittel und Bargeld an Flüchtende bzw. Unterstützende weitergeben.

Einige unserer vorläufigen Schlussfolgerungen aus der Reise sind:

  • Die meisten derer, die wir getroffen haben, wollen ihre Erfahrungen an den europäischen Außengrenzen mitteilen. Das Potential der Pushback-Map hat sich für uns bestätigt, da es Flüchtenden ermöglicht, selbstermächtigend, wann immer es für sie der richtige Moment ist, ihre Erfahrungen mit illegalen Pushbacks dokumentieren zu können. Sie sind dabei nicht abhängig von Interviewer*innen, und können den Grad der emotionalen Aufarbeitung selbst bestimmen. Der Effekt der Pushback-Map ist also dreifach: Gegen das "Verstummen", gegen das "Vergessen werden", und als Informationsbasis für Widerstand gegen die illegale und unmenschliche Pushback-Praxis.
  • Die Pushback-Map ist eine gute Ergänzung zu detaillierten persönlichen Interviews wie zum Beispiel des "Border Violence Monitoring Network", da sie potentiell eine größere Reichweite und Zahl der Berichte erreichen kann. Dafür ist aber eine laufende Weiterverbreitung des Links zur Pushback-Map notwendig.
  • In jedem Fall finden wir wichtig, dass die Zeugenaussagen auf der Pushback-Map genutzt werden, für Kampagnenarbeit zu einer politischen und strukturellen Veränderung und einem Ende der Pushback-Praxis.

Wir laden ein,

  • die Pushback-Map weiterzuverbreiten (hierfür können auch Sticker auf der Website heruntergeladen oder bestellt werden);
  • die Pushback-Map selbst zu nutzen - auch als Nicht-Betroffene (z.B. Ehrenamtliche in der Unterstützung Geflüchteter), wenn Sie von Pushbacks hören;
  • Mitbürger*innen und Entscheidungsträger*innen über Pushbacks zu informieren und sich für ein Ende dieser Praxis einzusetzen.

Die Diskrepanz zwischen der Behandlung durch die EU von Flüchtenden erster, zweiter und dritter Klasse finden wir erschütternd und beschämend. Krieg ist genauso schrecklich, ob in der Ukraine, in Syrien, dem Jemen oder in Afghanistan. Das Recht auf Bewegungsfreiheit und ein faires Asylverfahren muss für alle Menschen gleichermaßen gelten! Mit diesen Doppel-Standards der EU zeigt sich einmal mehr, wie das EU-Grenzregime eine rassistische, zutiefst ungerechte und auf kolonialen Strukturen aufbauende Weltordnung aufrechterhalten soll. Und dass der Umgang mit Flüchtenden auch anders geht - und gehen muss!

Beendet die illegale Praxis der Pushbacks!

Ein Ende der Doppelstandards bezüglich flüchtender Menschen - Bewegungsfreiheit für ALLE!

Menschliche Sicherheit statt Militarisierung!

Globale Gerechtigkeit anstatt "Festung Europa"!

Julia Kramer ist Mitglied bei Lebenshaus Schwäbische Alb und als Referentin für internationale Friedensfragen angestellt. 

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Fußnoten

Veröffentlicht am

10. Juni 2022

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