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Mitarbeit an Überwindung von Feindbildern

Von Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 112, März 2022 Der gesamte Rundbrief Nr. 112 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 697 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren )

Anmerkung: Dieser Artikel von Michael Schmid für den Lebenshaus-Rundbrief wurde ein paar Tage vor dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der russischen Führung auf die Ukraine abgeschlossen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

seit nunmehr zwei Jahren wird unser Leben von der Corona-Krise dominiert. Unabhängig davon, wie wir zu den einzelnen politisch getroffenen Maßnahmen stehen, erleben wir die größten Grundrechtseinschränkungen, die es jemals in der Bundesrepublik Deutschland gab. "Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist das Leben der Menschen außerhalb von Gefängnissen so strikt reguliert worden wie in der Corona-Zeit", stellt Prof. Dr. Heribert Prantl fest. Es klingt dramatisch, es war dramatisch - und die Auswirkungen werden uns noch lange beschäftigen. Wenngleich viele Menschen diese Folgen sehr unterschiedlich wahrnehmen.

So hat kürzlich etwa das Institut für Demoskopie in Allensbach ermittelt, 86 Prozent der Deutschen würden sagen, der Zustand unserer Gesellschaft habe sich in den letzten beiden Jahren verschlechtert. In einer INSA-Umfrage sahen 23 Prozent die Gefahr einer Diktatur in unserem Land, 15 Prozent erwägen der gleichen Befragung zufolge auszuwandern, was in absoluten Zahlen annähernd 13 Millionen Menschen wären. Und der Kanzler, der weder "rote Linien" kennt noch eine "Spaltung im Land" sieht, sagte kürzlich in der ARD allen Ernstes: "Deutschland ist ja gegenwärtig gerade das erfolgreichste Land in Europa in der Frage des Umgangs mit der Pandemie." In welcher Realität, frage ich mich, leben eigentlich führende Politiker und Politikerinnen in unserem Land?

Der Soziologe und Historiker Dr. Alexander Zinn hat in einem Beitrag in der Berliner Zeitung ein paar Gedanken geschrieben, die mir zumindest bedenkenswert für unsere aktuelle Lage erscheinen. Er schreibt: "Es ist an der Zeit, dass wir wieder zur Vernunft kommen und den Panikmodus, in dem wir uns seit fast zwei Jahren befinden, beenden. Dass wir einen Moment innehalten und überlegen, ob die Suche nach einem Sündenbock tatsächlich der richtige Weg ist, um mit Krankheit und Tod umzugehen. Dass wir versuchen, eine Mediendynamik zu durchbrechen, die davon lebt, immer erschreckendere ‚Zahlen’ und immer abschreckendere ‚Schuldige’ zu präsentieren, denen man angeblich nur noch mit Verboten und Zwangsmaßnahmen beikommt." Dies werde allerdings nur gelingen, wenn wir uns darauf besinnen würden, dass Skepsis, Zweifel und Widerspruch die Fundamente von Aufklärung, Wissenschaft und Fortschritt sind. Bedenklich sei aber, dass mittlerweile nahezu jeder Kritiker als "Spinner", "Schwurbler", "Wissenschaftsfeind" oder "Rechter" abgewertet werde. Allerdings seien nicht diejenigen "Wissenschaftsfeinde", die Zahlen, Studien und Maßnahmen hinterfragen würden, sondern diejenigen, die die offene Aussprache darüber unterbinden wollten. "Schuldzuweisung und Ausgrenzung mögen uns psychologisch entlasten. Die Corona-Krise, die inzwischen eher eine gesellschaftliche als eine gesundheitliche ist, werden wir damit nicht lösen."

In der Corona-Krise sehe ich persönlich inzwischen eine wahrhaftige Gesellschaftskrise. Es ist sehr zu hoffen, dass die von Scholz geführte Bundesregierung die Chance zum Kurswechsel endlich ergreift und öffentlich einräumt, dass das Schönreden alarmierender Entwicklungen nicht weiterhilft. "Es gilt in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft der Satz: Wenn es nicht zwingend geboten ist, Freiheit zu beschränken, ist es zwingend geboten, Freiheit nicht zu beschränken", so Heribert Prantl. "Angesichts der reduzierten Pathogenität der Virusvariante Omikron ist dieser Zeitpunkt da. Man kann Grundrechts-Einschränkungen nicht mit der Ankündigung oder auch nur Vermutung neuer Corona-Wellen im Herbst einfach aufrechterhalten."

Besorgniserregendes Säbelrasseln

"Corona" dominiert derart stark unser Leben, dass darüber andere besorgniserregende Entwicklungen drohen, vergessen bzw. viel zu wenig beachtet zu werden. So diskutiert etwa die EU darüber, ob Atomenergie als nachhaltige Energiequelle gefördert werden soll. Die drohende Klimakatastrophe ist etwas in den Hintergrund getreten. Das Desaster des verlorenen Afghanistankriegs scheint ohne Aufarbeitung zu bleiben. Ganz zu schweigen von einer ernsthaften Betrachtung und Bearbeitung weltweit herrschender struktureller Gewalt mit den Folgen Armut, soziale Ungerechtigkeit und Flucht. Und dann die Gefahren, die zum Beispiel aus konventioneller, atomarer oder biologischer Rüstung hervorgehen.

So hat in den vergangenen Wochen das Säbelrasseln zwischen der US-Regierung, anderen NATO-Staaten und Russland eine neue Qualität erreicht. Zunehmend wird von einem drohenden Krieg "mitten in Europa" geredet und von einem hohen Preis, den Russland bei einem Einmarsch in die Ukraine bezahlen müsse. Folgt man der Medienberichterstattung, ist selbst die Frage, ob daraus ein Krieg entstehen könnte, in den dann auch die NATO involviert wäre, auf dem Tisch.

Die Journalistin Gabriele Krone-Schmalz, die viele Jahre als ARD-Korrespondentin in Russland gearbeitet hat, antwortet auf die Frage, wie sie auf diese Entwicklung blicke: "Hochgradig besorgt. Ständig liest man Meldungen wie: Der amerikanische Präsident Biden warnt vor einem unmittelbar bevorstehenden russischen Einmarsch. Die baltischen Staaten bereiten sich auf einen russischen Angriff vor, etc. etc. Man bekommt den Eindruck, einigen Journalisten kann es gar nicht schnell genug gehen mit dem Krieg."

Schrecken der beiden Weltkriege vergessen?

Es scheint, die Schrecken der beiden Weltkriege seien vergessen. "Nie wieder Krieg" lautete das Motto der Massenkundgebungen, mit welchem pazifistische Organisationen während der Weimarer Republik immer wieder an das Leiden im Ersten Weltkrieg erinnerten, um Abrüstung und friedliches Miteinander der Völker zu fordern. Im Gründungsaufruf des Friedensbund der Kriegsteilnehmer, initiiert u.a. von Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky, von dem 1920 die Gründung der "Nie-wieder-Krieg"-Bewegung ausging, hieß es: "Der Weltkrieg ist vorbei. Wenn er einen Sinn gehabt haben soll, kann es nur der gewesen sein, die Völker über den Aberwitz bewaffneter Auseinandersetzungen zu belehren. Auch solche gigantischen Lehren werden jedoch rasch vergessen."

Wie wir wissen, wurde diese gigantische Lehre, die allerdings ja nur von einer Minderheit gezogen wurde, nicht herrschende Politik. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs wurde "Nie wieder Krieg" erneut zur Leitidee - wieder für eine Minderheit, die sich zum Teil als Friedensbewegung organisierte. Bundeskanzler Konrad Adenauer und seine Nachfolger setzten auf Integration in den Westen, auf militärische Abschreckung und eine Politik der Stärke. Diese auf Konfrontation ausgerichtete Politik machte den Kalten Krieg immer härter. Erst Willy Brandt leitete als Außenminister und dann als Bundeskanzler mit seiner neuartigen Ostpolitik eine neue Epoche der Verständigung ein. Seine Aussage "Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein" im Oktober 1969 unterstrich ein neues Denken, das fortan wegweisend für die Politik der Bundesregierung unter seiner Führung wurde. Mit den Ostverträgen begann er einen Kurs der Entspannung und des Ausgleichs mit der Sowjetunion, der DDR, Polen und den weiteren Ostblockstaaten.

Zum Glück musste ich nie die Schrecken eines Krieges unmittelbar erleben. Aber rückblickend froh bin ich darüber, mit Eltern aufgewachsen zu sein, die von ihren Kriegserlebnissen im Zweiten Weltkrieg erzählt haben. Die Vorstellung, dass Krieg absoluter Horror ist und alles zu tun bzw. zu unterlassen ist, was zu Krieg führen könnte, diese Einsicht hat mein Leben geprägt. Ich erinnere mich auch noch gut an die Angst in meiner Kindheit, als die Welt während der Kuba-Krise 1962 am atomaren Abgrund stand. Meine kriegsgeprägten Eltern legten damals Lebensmittelvorräte an. Und natürlich hat das Aufwachsen im Schatten eines wahnsinnigen atomaren Wettrüstens seine Spuren bei mir hinterlassen.

Kriegsgefahren und verlorene Kriege

Die atomare Aufrüstung führte dazu, dass das weltweite Atomwaffenarsenal bis in die 1980er Jahre hinein auf rund 70.000 Atomsprengköpfe angewachsen war. Viele tausende Atomwaffen waren zu jener Zeit in Deutschland deponiert. Auch hier, wenige Kilometer von unserem Wohnort entfernt, befanden sich Stellungen mit Atomraketen. Gegen die damit verbundene Gefahr sind insbesondere in den 1980er Jahren Hunderttausende oder gar Millionen Menschen in unserem Land und weltweit aufgestanden und haben sich der Gefahr in den Weg gestellt. Nach den Verbrechen von Hiroshima und Nagasaki standen wir als Weltgemeinschaft vor der völligen atomaren Zerstörung. Ob aus Absicht, durch einen Unfall oder durch Fehlalarme - der Einsatz von Atomwaffen stand nach 1945 oft unmittelbar bevor. Fast nicht glauben konnte ich, dass dann Michail Gorbatschow und Roland Reagan im November 1986 den INF-Vertrag zur Verschrottung atomarer Mittelstreckenwaffen unterzeichneten. Bald darauf war der Kalte Krieg zu Ende. Die Erleichterung war groß. Und die weltweite Friedensbewegung hat dazu nicht unerheblich beigetragen.

Das sind prägende Erfahrungen. Doch diese scheinen einer jüngeren Generation von Journalist*innen und Politiker*innen abzugehen. "Krieg ist Horror und nicht nur aseptische Joystick-Aktivität in durchgestylten IT-Räumen", stellt Gabriele Krone-Schmalz fest. "Aber offenbar reicht bei vielen weder die Bildung noch die Fantasie aus, um sich die Schrecken des Krieges vorzustellen. Anders kann ich mir das Verhalten nicht erklären."

Gerade erst ist der Afghanistan-Krieg desaströs verloren gegangen. "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt", betonte Anfang der 2000er Jahre der Verteidigungsminister der rot-grünen Bundesregierung, Peter Struck (SPD). Wer das Desaster nicht bereits vorausgesehen hat, kann zumindest jetzt die Ergebnisse dieser militärisch gestützten "Sicherheitspolitik" am Hindukusch sehen. Der Krieg der NATO hat hunderttausenden Menschen das Leben gekostet, ein verwüstetes und verarmtes Land hinterlassen, Hunderttausende in die Flucht geschlagen - und die Taliban sind zurück an der Macht über das Land.

Müsste dieses Afghanistan-Desaster ebenso wie ein drohender Atomkrieg - führende Wissenschaftler haben in diesem Jahr die Weltuntergangsuhr erneut auf 100 Sekunden vor zwölf Uhr stehenlassen - nicht Anlass sein, noch einmal über das "Nie wieder Krieg!" nachzudenken? Würde es nicht naheliegen, sich auf eine Politik zu besinnen, die auf zivile Mittel setzt statt auf militärische? Stattdessen wird im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen dem Westen und Russland von Politik und Medien vielfach Öl ins politische Feuer gegossen.

Feindbilder überwinden

Angesichts der Konfrontation zwischen der NATO und Russland im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt bräuchten wir als Gegengewicht dringend eine kraftvolle Friedensbewegung vergleichbar jener in den 1980er Jahren. Doch davon sind wir aus unterschiedlichen Gründen leider sehr weit entfernt.

Immerhin gibt es inzwischen aus den Reihen der Friedensbewegung einige Aktionen und Aufrufe, die unterzeichnet werden können. Die Überschriften lauten etwa "Gemeinsame Sicherheit in Europa gibt es nur mit Russland", "Friedenspolitik statt Kriegshysterie" und "Diplomatie statt Kriegsvorbereitung". Letzteren Aufruf sowie weitere Hinweise veröffentlichen wir in diesem Rundbrief. Es wäre sehr wünschenswert, wenn sich möglichst viele Menschen an diesen Aktionen gegen den drohenden Krieg in Europa beteiligen würden.

Ich hoffe, dass wir gemeinsam daran mitarbeiten, innergesellschaftliche ebenso wie nach außen gerichtete Feindbilder zu überwinden und das Versprechen "Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein" von Willy Brandt wieder aufgreifen.

Mit allen guten Wünsche grüße ich herzlich,

Euer / Ihr
Michael Schmid

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Fußnoten

Veröffentlicht am

10. März 2022

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