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Fünf Wege zur Unterstützung des mutigen gewaltlosen Widerstands in der Ukraine

Regierung und Zivilgesellschaft können sofortige Maßnahmen ergreifen, um die Dynamik der Gewalt zu durchbrechen und einen nachhaltigen, gerechten Frieden in der Ukraine zu schaffen.

Von Eli S. McCarthy

Der Krieg in der Ukraine ist eine menschliche und ökologische Katastrophe. Wir haben es versäumt, die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Verhinderung von Gewalt im großen Stil zu schaffen. Es ist uns nicht gelungen, den Kreislauf von Drohungen, Schuldzuweisungen und Vergeltung zu durchbrechen, der Feindseligkeit und Misstrauen eskalieren lässt. Wir haben es versäumt, die relevanten Ursachen und die Verantwortung der wichtigsten Akteure für das Unheil zur Kenntnis zu nehmen. Wir haben es versäumt, uns auf eine Diplomatie einzulassen, die der Würde und den menschlichen Bedürfnissen der Hauptbeteiligten Vorrang einräumt, die kompromissbereit ist und sich auf die Rettung von Menschenleben konzentriert. Wir haben es versäumt, die Menschen in gewaltloser Konfliktbearbeitung, in gewaltlosem Widerstand und ziviler Verteidigung angemessen zu schulen. Wir können es uns nicht leisten, diese Fehler erneut zu begehen.

Doch trotz all dieser Misserfolge gibt es auch Zeichen der Hoffnung. Es gibt eine Vielzahl kreativer, mutiger und gewaltloser Formen des Widerstands, die von Ukrainer:innen und anderen in größerem Umfang angewendet werden könnten.

Die Ukrainer:innen haben Konvois und Panzer blockiert und trotz Warnschüssen in mehreren Städten nicht aufgegeben. In Berdjansk und Kulykivka organisierten Menschen Friedenskundgebungen und überzeugten das russische Militär, sich zurückzuziehen. Hunderte protestierten gegen die Entführung eines Bürgermeisters, und in Cherson gab es Proteste gegen die Abspaltung von der Ukraine. Ukrainer:innen haben sich mit russischen Soldaten vermischt, um deren Moral zu senken und sie zum Ausstieg zu bewegen. Das Rote Kreuz und Ärzte ohne Grenzen haben humanitäre Hilfe geleistet (wobei orthodoxe Priester als Eskorte auftraten) und sich um Vertriebene gekümmert.

In Russland gab es zahlreiche Proteste gegen den Krieg und rund 15.000 Menschen wurden verhaftet. Journalisten haben ihre Arbeit beim staatlichen Fernsehen eingestellt und sind ausgestiegen. Fast 100.000 Russ:innen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen haben Petitionen zur Beendigung des Krieges unterzeichnet. Russ:innen aus allen Teilen der Gesellschaft haben sich gegen den Krieg ausgesprochen - von Angehörigen des Militärs und des Außenministeriums über Mitglieder der russischen Ölindustrie und Milliardäre bis hin zu fast 300 russisch-orthodoxen Geistlichen. Inzwischen haben sich über 100 Soldaten geweigert, an dem Krieg teilzunehmen.

Zu den Formen des gewaltlosen Widerstands durch Unterstützung aus dem Ausland gehören öffentliche Erklärungen wichtiger politischer Führer:innen sowie die Reduzierung des Geldflusses an den Aggressor - durch das Einfrieren von Bankkonten, die Reduzierung der Nutzung von Online-Medien, die Reduzierung des Handels, die Reduzierung der Nutzung russischer fossiler Brennstoffe und die Blockade von Schiffen mit russischen Waren. Andere Formen umfassen die Unterstützung der Demonstrierenden gegen den Krieg in Russland, die Störung der technischen Systeme des Aggressors und die Verhinderung von Desinformation. Eine weitere wichtige Form war die Bildung von Koalitionen, die Aktivierung wichtiger zivilgesellschaftlicher Führungspersönlichkeiten (einschließlich Sportler:innen, religiösen Persönlichkeiten und Vertreter:innen der Wirtschaft) sowie umfangreiche humanitäre Hilfe und die Unterstützung von Geflüchteten.

Es gab auch Situationen, in denen Akteure, darunter auch Russ:innen, Feindbilder durch die Verwendung von Bezeichnungen und Darstellungen überwunden haben, indem sie die Komplexität, die potenzielle Wandlungsfähigkeit und die gemeinsame Menschlichkeit zum Ausdruck brachten. Es könnte mehr getan werden, um den Übergang von der Strafverfolgung zur Wiedergutmachung und zur Übernahme der Verantwortung für Schäden zu fördern. Es wurde einiges an Informationsmaterial über gewaltlose zivile Verteidigung verbreitet und unsere Regierungen wurden aufgefordert, gewaltlose Aktivitäten in der Ukraine zu unterstützen und zu fördern. Darüber hinaus haben einige religiöse Führer sowie andere Personen diese Geschichten der Gewaltlosigkeit bekräftigt, eine theologische Ideologie, die den Krieg unterstützt, angefochten und die Rolle des Rassismus und der weißen Vorherrschaft in dem Konflikt kritisiert. Eine weitere bedeutende Praxis, die einige angeboten haben, ist das Fasten oder Beten sowohl für die Ukrainer als auch für ihre Gegner.

In der Washington Post erklärte Erica Chenoweth, Professorin an der Harvard University, dass die Forschung "darauf hindeutet, dass man nicht unterschätzen sollte, wie gewaltloser Widerstand das Töten aufhalten oder minimieren, die politische Landschaft verändern und zukünftige Aggressionen verhindern kann".

Im Folgenden werden fünf unmittelbare Maßnahmen vorgestellt, welche die Zivilgesellschaft, aber auch Mitglieder des US-Kongresses und das Weiße Haus ergreifen können, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und den Krieg zu beenden.

  1. Die mutigen und kreativen Aktionen des gewaltlosen Widerstands in der Ukraine, Russland und anderswo sollten verstärkt werden. Wie die Alliance for Peacebuilding es getan hat, kann Hilfestellung bei der Einrichtung von Koordinationszentren geleistet werden, um diplomatische, rechtliche und materielle Unterstützung für diese Personen zu leisten und andere aufzufordern, Ressourcen für diese zivilgesellschaftlichen Führungspersonen und Aktivist:innen bereitzustellen. Auf diese Weise wird konkrete Solidarität für eine Dynamik des gewaltlosen Widerstands geschaffen, die doppelt so wirksam ist als gewaltsame und mit zehnmal größerer Wahrscheinlichkeit zu einer dauerhaften Demokratie führt.
  2. Geldgeber, Regierungen und multilaterale Institutionen können ihre Unterstützung für den unbewaffneten Zivilschutz verstärken, um die Zivilbevölkerung gewaltlos zu schützen. Der unbewaffnete Zivilschutz (Unarmed Civilian Protection, UCP) ist eine evidenzbasierte Strategie für den gewaltlosen direkten Schutz der Zivilbevölkerung, die Verringerung lokaler Gewalt und die Entwicklung lokaler Infrastruktur für den Frieden, bei der unbewaffnete, ausgebildete Zivilisten in gewaltsamen Konflikten mit der lokalen Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Der US-Kongress beauftragte den Außenminister, in Absprache mit dem USAID-Administrator, in seinen Ausführungsbestimmungen zum Haushaltsgesetz 2022 Mittel für den unbewaffneten Zivilschutz (UCP) bereitzustellen.
  3. Alle Beteiligten, einschließlich der Gegner, müssen wieder als Menschen wahrgenommen werden. Dies geschieht durch die Sprache, Bezeichnungen und Darstellungen, die wir verwenden. Auch wenn es schwierig ist, müssen wir vermeiden, Personen oder Gruppen als "böse", "teuflisch", "irrational", " Verbrecher" oder "Monster" zu bezeichnen. Das bedeutet nicht, dass wir mit ihren Handlungen einverstanden sind oder sie rechtfertigen. Doch je mehr wir andere entmenschlichen, desto mehr eskalieren wir, engen unsere Vorstellungskraft ein und fördern die Dynamik der Gewalt.
  4. Der ukrainische Präsident Selenskyi sollte ermutigt werden, mit Russland ein Abkommen für eine erste Stufe zur Beendigung des Krieges zu unterzeichnen. Dies wird den Raum für weitere Überlegungen schaffen, wie die Ursachen angegangen werden können und ein dauerhafter, gerechter Frieden angestrebt werden kann. Wir wissen, dass die russische Führung für ihre Invasion verantwortlich ist. Dennoch haben wir zum jetzigen Zeitpunkt mehr Einfluss auf Selenskyi, um in eine bessere politische Lage zu kommen. Beispielsweise würde eine neutrale Ukraine wahrscheinlich Tausende von Menschenleben retten.
  5. Eine Welle von internationalen Delegationen oder eine humanitäre Luftbrücke in die Ukraine, um Zeit und Raum oder Sicherheitszonen für die Unterbrechung der Feindseligkeiten zu schaffen, sollte in Betracht gezogen werden. Dies könnte zum Beispiel bedeuten, dass ein oder mehrere verbündete Länder mit großen Frachtflugzeugen voller Medikamente und Lebensmittel in der Ukraine landen. An Bord wären hochrangige Regierungsvertreter:innen (und vielleicht auch Religionsvertreter:innen oder andere Personen). Frachtflugzeuge sind keine offensiven Kampfflugzeuge. Die USA haben genau eine solche humanitäre Luftbrücke durchgeführt, als Putin 2008 in Georgien einmarschierte, was wesentlich zur Beendigung der Feindseligkeiten beitrug.

Bei aktiver Gewaltlosigkeit geht es nicht darum, Menschen zu verdammen oder zu verurteilen, die in wirklich schwierigen Situationen, wie sie die Menschen in der Ukraine erleben, zu gewaltsamem Widerstand greifen. Sie bekräftigt und würdigt ihre Bereitschaft, sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren, anstatt passiv zu bleiben. Aktive Gewaltlosigkeit besteht vor allem in der Unterstützung dessen, was Ukrainer:innen und andere Menschen auf vielfältige, kreative, mutige und gewaltlose Weise leisten können und bereits praktizieren.

Wenn wir uns auf einen Bezugsrahmen für gerechten Frieden stützen, können wir diese gewaltlosen Möglichkeiten besser erkennen und uns weiter in ihre Richtung bewegen. Es hilft uns auch zu erkennen, dass gewalttätiges Handeln regelmäßig Feindseligkeit, Entmenschlichung und Zerstörung eskalieren lässt und einen weiteren Kreislauf von langfristigen Traumata und Gewalt schafft. In dieser Dynamik könnten noch mehr Menschen sterben. Beispielsweise bombardiert Russland inzwischen mehr zivile Gebiete. Ein Konzept des gerechten Friedens wiederum würde uns helfen, uns darauf zu konzentrieren, wie wir die Dynamik der Gewalt durchbrechen und einen nachhaltigen gerechten Frieden schaffen können. Wir sollten diese fünf Schritte ernsthaft in Betracht ziehen und einen Weg finden, uns von den Gesetzmäßigkeiten des Krieges zu befreien.

Eli S. McCarthy, PhD, ist Professor an der Georgetown University in Washington DC für Gerechtigkeits- und Friedensforschung. Seit 2012 setzt er sich für eine nationale Politik mit besonderem Augenmerk auf Friedenskonsolidierung, Gewaltfreiheit und gerechten Frieden ein, wie sein jüngstes Buch zeigt: A Just Peace Ethic Primer: Building Sustainable Peace and Breaking Cycles of Violence (2020).

Quelle: Waging Nonviolence . Originalartikel: 5 ways to support courageous nonviolent resistance in Ukraine . Übersetzung: Michael Schmid. Eine Vervielfältigung oder Verwendung des Textes in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist unter Berücksichtigung der Regeln von Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) möglich.

Veröffentlicht am

30. März 2022

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