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Paul Schobel: “Hass erzeugt nur noch mehr Hass und ist kein Weg zum Frieden”

Von Paul Schobel, ehemaliger katholischer Betriebsseelsorger, Redebeitrag bei einer Friedenskundgebung am 5. März 2022 Stuttgart

Wir seien heute früh, so tönte es am 24. Februar auf allen Kanälen, in einer "anderen Welt aufgewacht". Ich rieb mir verwundert die Augen. Eine andere Welt?

Es war und ist die Welt, die ich kenne. Eine Welt voller Gewalt,

  • in der in Deutschland zum Beispiel an jedem dritten Tag eine Frau ermordet wird,
  • in der man Kinder schändet und missbraucht (auch in meinem Verein),
  • in der man tagtäglich Schüler mobbt und Arbeitende demütigt und drangsaliert,
  • in der die Netze überquellen von blindwütigem Hass, und man sich Tod und Verderben wünscht.

Es war und ist die Welt, die ich kenne. Eine Welt,

  • in der sich die Völker bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstehen,
  • sich nun auch cybermäßig attackieren,
  • in der man immer noch wirtschaftet nach dem "Gesetz des Stärkeren", "Fressen oder Gefressen werden",
  • in einer Welt, in der Vermessenheit und maßlose Gier das Geschehen bestimmen.

Nichts ist am 24. Februar anders geworden. Außer, dass sich der Unfriede in der Welt in kranken Hirnen und verbrecherischen Köpfen zu einem so explosiven Gemisch verdichtet hat, dass es nun krachend detoniert.

Strahlend und gut gelaunt ist der Krieg nun auch aus der europäischen Rumpelkammer zurückgekehrt. Dort glaubten wir ihn schon auf Dauer museal entsorgt, aber er war nur zwischengeparkt und zeigt uns nun seine hässliche Fratze. Wie üblich auf Lügen aufgebaut, walzt er nun die Ukraine nieder und entfaltet ein Potential, das die ganze Menschheit auslöschen könnte.

Mein Abscheu, mein Zorn, meine Empörung gilt denen, die diese Todesmaschinerie in Gang gesetzt haben. Ebenso aber auch all denen, die jahrzehntelang hochgerüstet und Misstrauen gesät, statt Vertrauen geschaffen haben. Unser Protest richtet sich gegen alle Kriegstreiber in der Welt.

Ihr alle seid heute Abend hier, da bin ich mir sicher, um den leidgeprüften Menschen in der Ukraine zu versichern: Wir nehmen Anteil, wir weinen mit denen, die schon Angehörige verloren haben, auch mit den Müttern und Frauen russischer Soldaten. Sie alle starben einen sinnlosen Tod. Wir leiden mit Frauen und Kindern, die im kalten Winter fliehen müssen, mit den Alten und Kranken, deren Leben nun in Angst und Schrecken versinkt. Und wir tun, was nun an Hilfe geboten ist. Schön sind die Zeichen der Solidarität. 

In uns alten Menschen steigen in diesen Tagen böse Erinnerungen wie Sumpfblasen nach oben. Das Heulen der Sirenen geht mir heute noch durch Mark und Bein, die Nächte im Luftschutzkeller, die Wölkchen der Flak-Geschosse am blauen Himmel, der Absturz eines getroffenen US-Bombers auf unserer Gemarkung, der Pfarrer, der wie ein Todesengel durchs Dorf ging, um die Angehörigen der Gefallenen zu trösten.

Einfach unbegreiflich, dass 80 Jahre später - sterbliche Menschen, denen der Tod sicher ist, sich auch noch künstlich den Tod bereiten. Dabei lassen uns Klima-Wandel und Pandemien ohnehin kaum noch Zeit und Lebensqualität. Da fällt uns nichts Besseres ein, als auch noch Massenmord organisieren? Denn nichts anderes ist der Krieg, und so muss er benannt werden!

Stoppt den Krieg in der Ukraine, stoppt die Wahnsinnigen, die ihn verbrochen haben. Aber wie? Die Welt glaubt, Kanonen seien nur mit Kanonen zum Schweigen zu bringen, Gewalt nur mit Gegengewalt zu besiegen, der Teufel nur mit Beelzebub, dem Oberteufel, dem Höllen-CEO auszutreiben. Jesus warnt zu Recht: Die teuflischen Brüder werden sich verbünden, dann haben wir den totalen Krieg, die Hölle auf Erden.

Laufen wir nicht Gefahr, dass sich das Leiden in der Ukraine verlängert und der Tod sich vervielfacht, wenn wir Waffen liefern? Nun lassen wir uns auch noch von Putin das Gesetz des Handelns diktieren, lassen uns ein in die vernichtende Logik von Krieg und Gewalt. Müssten wir nicht bedenken: Je stärker die Drohkulisse, desto wahrscheinlicher wird, dass einer der Wahnsinnigen durchknallt, Atomkraftwerke beschießt oder gleich den "Roten Knopf" drückt und die Menschheit in seinen eigenen Tod mit hineinreißt. "Erweiterter Suizid" sozusagen. Ich fürchte: Das Schicksal der Menschheit hängt gegenwärtig am seidenen Faden einer Befehlsverweigerung. Und ich bete zu Gott, dass im Ernstfall verantwortliche Militärs verhindern, was Idioten befehlen.

Entwaffnend ist nicht die Gegengewalt, sondern nur die Gewaltlosigkeit. Man mag uns Friedensbewegte als Naivlinge bezeichnen, aber ich frage mich: Hat je ein Krieg die Weltgeschichte zum Besseren gewendet? Naiv ist, wer immer noch glaubt, Kriege seien zu gewinnen - jeder Krieg ist schon mit dem ersten Schuss verloren. Abertausende bezahlen ihn völlig sinnlos mit ihrem Leben. Herzzerreißend das Weinen der Kinder in der Ukraine, die Klage und das Trauma der Überlebenden. Wie oft habe ich schon als junger Seelsorger an den Sterbebetten von Weltkriegs-Soldaten erleben müssen, wie eruptiv aus ihnen herausbrach, was sie jahrelang verschwiegen hatten. Dass sie im Tode noch loswerden mussten, was sie auf den Schlachtfeldern angerichtet und was sie dort erlitten haben. "Wir sind zu Tieren geworden, zu Mördern, wir haben aufgehört, Menschen zu sein", schreibt der Rekrut Erich Maria Remarque über seine Erfahrungen an der Westfront des 1. Weltkriegs. Jeder Krieg ist ein Verrat an der Menschwerdung, ein Rückfall ins Un-Menschliche. Als Christ füge ich dem hinzu: Damit schlagen wir Gott ins Gesicht, der uns nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat.

Waffen bringen nur Tod und Verderben. Statt nun Milliarden in des Wortes wahrstem Sinn zu verpulvern und Rüstungshaushalte aufzublähen, hätte man in Friedensforschung und gewaltfreie Strategien investieren müssen. Aber die Friedensforscher wurden als Spinner abgetan und ihre Konzepte belächelt. Mahatma Gandhi - ein Fakir aus Indien, Jesus von Nazareth, ein frommer Folklorist, der die Friedensstifter selig preist, die braucht man doch nicht ernst zu nehmen! Nun fehlt es an wirksamen Methoden gewaltfreier Verteidigung, wie man Aggressoren und Besatzungsmächte narrt und gegen die Wand laufen lässt, wie man ihnen gewaltfrei widersteht, bis sie letztlich aufgeben und verhandeln müssen. Verhandeln muss man bekanntlich auch nach jedem Krieg, aber dann über Massengräbern und rauchenden Trümmern. Statt Militärblöcke aufzubauen, hätten wir mit einem Bruchteil der Kosten ganze Kontingente von FriedensarbeiterInnen ausbilden können, als "stehendes Heer" sozusagen, "Blauhelme" der besonderen Art, die man unter dem Kommando der UN in die Kriegszonen entsenden könnte.

Nun können wir nur noch eines tun: Aufstehen gegen den Krieg. Aufstehen für den Frieden, für das Leben. Ein weltweiter Aufstand für eine Welt ohne Krieg.

Ich schließe mit einer Ermutigung des ermordeten Pastors Martin Luther King: "Finsternis kann keine Finsternis vertreiben", predigt er. "Das gelingt nur dem Licht. Hass kann den Hass nicht austreiben. Das gelingt nur der Liebe. Hass vervielfältigt den Hass, Gewalt mehrt Gewalt, Härte vergrößert Härte in einer ständigen Spirale der Vernichtung. Die Kettenreaktion des Bösen muss unterbrochen werden. Sonst stürzen wir in den Abgrund der Vernichtung."

Gerne würde ich morgen früh aufwachen in einer wirklich anderen Welt. In einer Welt, in der man Waffen verschrottet und sich die Hände reicht zum Frieden.

Paul Schobel ist ehemaliger und langjähriger (1991-2008) Betriebsseelsorger der Diözese Rottenburg-Stuttgart und lebt in Böblingen. Er hielt die hier veröffentlichte Rede bei einer von der Gesellschaft Kultur des Friedens (GKF) organisierten Kundgebung "Stoppt den Krieg in der Ukraine" am 5. März in Stuttgart.

Veröffentlicht am

09. März 2022

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