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Einmarsch und Sanktionen - die Verlierer sind wir alle

Von Jens Berger - Kommentar

Geostrategische Fragen werden gerne auf geostrategischer Ebene diskutiert. Das ist verständlich, birgt jedoch die Gefahr, die eigentlichen Folgen für uns alle auszublenden. Die Russen wollen keinen Krieg, die Ukrainer auch nicht und die Deutschen schon gar nicht. Wahrscheinlich wollen noch nicht einmal die Amerikaner Krieg. Die Rede ist hier natürlich nicht von den Regierungen, sondern vom normalen Bürger auf der Straße. Wer Krieg und Sanktionen als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln propagiert, sind hüben wie drüben Politiker und Strategen, für die das Wohl der normalen Menschen keine Rechengröße ist. So wird nun dank der politischen Kurzsichtigkeit der deutschen Regierung allen voran der normale Deutsche den Preis für die Vorkommnisse in der Ost-Ukraine bezahlen - in Form explodierender Energiekosten.

Als der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, die Empfehlung der Anerkennung der "Volksrepubliken" in Donezk und Lugansk verkündete , sagte er, "Russland [sei] sich im Klaren darüber, dass [dieser] Schritt angesichts der vom Westen angedrohten Sanktionen ernste Folgen haben" und "der Druck auf Russland beispiellos sein werde". Man werde jedoch standhalten. Ja, so etwas ist leicht gesagt, wenn man Politiker ist und die Folgen der zu erwartenden Sanktionen nicht selbst am eigenen Leibe spüren muss.

Für meinen Freund Alexander aus Rostow sieht dies anders aus. Alexander ist ein äußerst talentierter Sattler und verkauft seine hochwertigen selbst hergestellten Uhrenarmbänder und Gürtel über seine Internetseite und über Facebook, Instagram und Co. an Liebhaber in der ganzen Welt. Würden die USA ihre Drohung wahr machen und Russland vom internationalen Bankennetzwerk SWIFT abschneiden, könnte er seinen Laden schon morgen dicht machen. Es gäbe keine Möglichkeit mehr, ihn zu bezahlen. Er könnte sich seine Rohstoffe nicht mehr kaufen. Und er ist nicht allein. Tausende - meist hoch qualifizierte - Jobs in Russland hängen maßgeblich am internationalen Handel. Vorprodukte müssen importiert, Endprodukte exportiert und Dienstleistungen international angeboten werden. Damit wäre dann Schluss. Ob Dmitri Medwedew diese Menschen gemeint hat, als er sagte, man werde dem Druck standhalten? So verständlich seine geopolitischen und geostrategischen Argumente auch sind - es ist halt auch einfach, sich rhetorisch in eine Heldenpose zu begeben, wenn andere den Preis bezahlen.

Und was für die russische Regierung gilt, gilt ohnehin verstärkt für die ukrainische Regierung. Die stellt sich jetzt - wie eigentlich immer - als Opfer dar, hat jedoch mit ihren antirussischen Obsessionen und ihrem überbordenden Nationalismus genau die Situation provoziert, die jetzt viele normale Ukrainer den Preis für die fehlgeleitete Politik bezahlen lässt. Der einfache Ukrainer in Kiew, Lemberg oder Odessa will keinen Krieg mit Russland und würde der russischen Minderheit in Donezk und Lugansk jede Autonomie zugestehen. Seine Regierungsvertreter sehen das anders. Sie müssen auch nicht täglich mit den Nachteilen ihrer antirussischen Politik leben. Ihre Arbeitsplätze fallen nicht weg, steigende Preise und Inflation sind ihnen persönlich egal und sie sind es auch nicht, die krepieren, wenn der kalte Krieg heiß wird und Bomben fallen.

Und der Westen? Hier zeigt sich einmal mehr, dass vor allem die deutsche Regierung den Preis für ihre von Nibelungentreue gegenüber den USA gekennzeichnete Außen- und Sicherheitspolitik zahlen lässt. Während die EU und die USA es - zum Glück - bislang bei eher symbolischen Sanktionen belassen, hat die Bundesregierung offensichtlich nur auf einen Vorwand gewartet, das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 zu beerdigen. Damit schädigt man oberflächlich zwar den russischen Staatskonzern Gazprom. Mindestens genauso schädigt man jedoch dessen europäischen Partner Engie, OMV, Shell, Uniper und Wintershall DEA und sämtliche Versorger und energieintensive Betriebe im eigenen Land, die auf eine preiswerte und sichere Versorgung mit Erdgas angewiesen sind.

Aber letzten Endes ist es natürlich vor allem der normale Bürger, der den Preis bezahlen wird. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte gestern dann auch nicht Besseres zu tun, als die Deutschen erst einmal auf steigende Gaspreise einzustimmen . Hat er in seinem Amtseid nicht geschworen, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden? Eine Politik, die einzig und allein dem Wohle der US-Regierung dient, den Nutzen der US-Frackinggas-Unternehmen und Rüstungskonzerne mehrt und der deutschen Bevölkerung massiven Schaden zufügt, ist durch diesen Eid ganz sicher nicht gedeckt.

Nun müssen Rentner, Alleinerziehende und Niedriglöhner, die ohnehin bereits jetzt nicht wissen, wie sie ihre Strom- und Gasrechnung bezahlen sollen, also den Preis dafür bezahlen, dass Deutschland - als einziges Land weltweit(!) - harte Sanktionen gegen Russland verhängt. Welchen Beleg braucht es noch, dass Parteien und Politik in Deutschland in einem hohen Maße "fremdgesteuert" sind, wie Albrecht Müller es formuliert ?

Vielleicht bin ich ja naiv und sicher werden mich einige geostrategisch argumentierende Leser eines Besseren belehren: Aber ich bin der festen Überzeugung, dass die allermeisten normalen Menschen keine geostrategischen Interessen haben. Sie wollen lachen, lieben und das Beste aus ihrem Leben machen. Sie wollen, dass es ihren Kindern gut geht, und nicht, dass sie auf den Schlachtfeldern für eine Ideologie oder ein angeblich "nationales Interesse" verheizt werden. Sie wollen keine Kriege, keine Sanktionen gegen wen auch immer. In grauer Vorzeit wurden Bauern und Handwerker für die geostrategischen Interessen ihrer Könige und Kaiser auf den Schlachtfeldern verheizt. Ist das heute so anders? Die Könige und Kaiser sind Präsidenten, Kanzlern und Ministern gewichen. Den Preis für deren große Politik zahlen jedoch immer noch die normalen Menschen. Und daran hat sich nichts geändert.

Quelle:  NachDenkSeiten - 23.02.2022.

Veröffentlicht am

23. Februar 2022

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