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Zweite antikoloniale Revolution

Westafrika: Nach dem Tschad, Mali und Guinea wurde jetzt auch in Burkina Faso geputscht. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich verliert an Einfluss. Was bedeutet das für die Region?

Von Sabine Kebir

Im Vorjahr wurde im Tschad, in Mali und Guinea geputscht. Nun ging am 24. Januar auch in Burkina Faso die Macht an eine Militärregierung über. Was auffällt: Es handelt sich ausnahmslos um Länder der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, die bislang enge Beziehungen zu Frankreich unterhalten. Von Guinea abgesehen, liegt der tiefere Grund für die Umstürze im Scheitern einer Militärkooperation mit der Ex-Kolonialmacht bei der Bekämpfung islamistischer Gruppen. Seit dem Zusammenbruch Libyens 2011 kontrollieren sie immer größere Territorien im Sahel, terrorisieren die Bevölkerung und betreiben Parallel-Administrationen. In Burkina Faso haben Dschihadisten seit 2016 die nationalen Streitkräfte aus den nördlichen und östlichen Bezirken verdrängt. Mehrere tausend Menschen wurden ermordet, anderthalb Millionen Binnenflüchtlinge verloren mit Haus und Hof ihre Existenzgrundlage.

Parallelen zu Afghanistan

Letzter Akt: Im Dezember eroberten schwer bewaffnete Islamisten den letzten Stützpunkt der Armee im nördlichen Inata und töteten 53 Gendarmen. Die Angreifer demonstrierten ihre Übermacht, indem sie das Geschehen per Video dokumentierten. Die bedrängten Gendarmen hatten zuvor über mangelnde Ausrüstung und Verpflegung geklagt – sie mussten sich durch Jagd in unsicherem Gebiet ernähren. Zwei Tage vor dem Massaker sandten sie einen Notruf, auf den die Regierung von Präsident Roch Marc Kaboré nicht reagierte. Diese Ignoranz löste heftige Proteste in der Bevölkerung und der Armee aus. Wie auch den Menschen in Mali leuchtete es den Burkinern schon lange nicht mehr ein, dass sie ein von Frankreich geführtes internationales Korps in ihrem Land weiter dulden sollten. Gemeint ist die Takuba Task Force, von der die 2021 formal beendete, stark kritisierte Mission Barkhane abgelöst wurde. Ein logistischer Konvoi, der sich Ende 2021 mit Truppen dieses Kontingents von der Elfenbeinküste nach Nordmali bewegte, wurde bei der Fahrt durch Burkina Faso und Niger immer wieder von einer aufgebrachten Menge attackiert. Und das nicht zuletzt, weil sich Gerüchte bestätigten, dass französische Militärs zuweilen auch mit Dschihadisten Abkommen geschlossen hatten.

Komplett unverständlich bleibt, weshalb die einheimischen Streitkräfte, die mutmaßlich von europäischen, unter anderem von deutschen Ausbildern trainiert werden, nach wie vor nur äußerst mangelhaft ausgerüstet sind. Nur ein Indiz dafür, dass ein als Kooperation deklariertes Aufgebot gegen den dschihadistischen Vormarsch auf ganzer Linie gescheitert ist. Dass die nationalen Streitkräfte nach Neuausrichtung streben, erklärt sich aus ihrer Sorge vor stetem Prestigeverlust. Auch stellt sich die Frage, inwieweit es angebracht und angemessen war, ein westliches Streitkräfte-Modell auf das subsaharische Afrika zu übertragen. Parallelen zu Afghanistan sind nicht von der Hand zu weisen.

Der Mut der malischen Militärregierung, die von der Frankreich-hörigen Assoziation ECOWAS und der EU mit harten Sanktionen belegt wurde, hat die Burkiner zu einem ähnlichen Weg inspiriert. Nachdem am 22. Januar eine in der Hauptstadt Ouagadougou geplante Großdemonstration verboten worden war, wurde Staatschef Kaboré zwei Tage später durch einen unblutigen Putsch gestürzt. Die Bevölkerung jubelte, und wie in Bamako wurden auch hier russische Fahnen geschwenkt.

Demokratische Systeme entwickeln

Oberstleutnant Paul-Henri Sandaogo Damiba ist der neue starke Mann im Land. Er hat sich nicht nur an vorderster Front im Antiterrorkampf bewährt, sondern sogar ein Buch darüber veröffentlicht. In seiner ersten Rede an die Nation vermied er es, auf die offenkundigen antifranzösischen Haltungen der Burkiner anzuspielen, artikulierte aber den Wunsch nach einer Souveränität, mit der "die Nation neu begründet und die Integrität des nationalen Territoriums wiederhergestellt" werden soll. Das verlange enorme Anstrengungen und werde Opfer kosten. Damiba kündigte Gerichtsverfahren gegen korrupte Strukturen des gestürzten Regimes an, bei denen man auf eine unabhängige Justiz vertraue. Und er versprach, so bald wie möglich zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren. Im Moment jedoch habe der Rückgewinn an Sicherheit oberste Priorität. Damit überzeugte der General auch die am 3. Februar in Accra tagenden ECOWAS-Delegationen, die vorerst auf Sanktionen gegen Burkina Faso verzichtet haben. Das kann sich wie bei Mali ändern, finden nicht in absehbarer Zeit Wahlen statt.

Der malische Intellektuelle Elimane Haby Kane kommentierte die Haltung der ECOWAS gegen sein Land mit dem Verdikt, sie habe sich total vom Volk Malis entfremdet und damit Legalität eingebüßt. Statt der mageren, vom neoliberalen Wirtschaftssystem oktroyierten Demokratie sollten reichere demokratische Systeme entwickelt werden, die traditionelle und innovative Formen der Mitbestimmung einschließen. Die Bürger müssten das Recht erhalten, auch während einer Wahlperiode effektive Veränderungen zu bewirken.

So deutet sich im noch immer von Frankreich abhängigen Westafrika eine zweite antikoloniale Revolution an. Ob sie in absehbarer Zeit gelingt und das zu Hilfe gerufene Russland sich dabei nicht übernimmt, ist offen. Die als "langer Arm Moskaus" geltenden Wagner-Söldner sollen schon ihre Bereitschaft bekundet haben, auch die Armee von Burkina Faso zu unterstützen. So verdichtet sich die Lage in Westafrika zum Desaster für Emmanuel Macrons Wahlkampf um die zweite Präsidentschaft. Man muss ihm zugestehen, dass er anders als Vorgänger François Hollande die Krise geahnt hat, die aber mit der Rückgabe geraubter Kulturgüter allein nicht durchzustehen ist.

Quelle: der FREITAG vom 11.02.2022. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

22. Februar 2022

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