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USA/China: Wind aus den Segeln nehmen

Beim Videogipfel zwischen Joe Biden und Xi Jinping zeigen sich beide Seiten um Deeskalation bemüht. Den Regierungen in Washington und Peking erscheint eine permanente Konfrontation offenkundig zu riskant. Sind Kompromisse zeitgemäß?

Von Lutz Herden

Um China zu verspeisen, bedarf es eines größeres Bestecks, als es die Biden-Administration in der Hand hält. Sollte sie dennoch vom Glauben beseelt sein, einen strategischen Gegner wie diesen in Schach halten zu können, dann enttäuscht, was sie unternimmt. Ihr fällt wenig ein, sie bemüht das Standardrepertoire, verschickt ein Sanktionspaket nach dem anderen, setzt auf regionale Hegemonie im Pazifik, rüstet auf und sucht Mitläufer, die sich wie Deutschland für ein neues Lagerdenken vereinnahmen lassen, ohne davon überzeugt zu sein.

Eine gewisse Neuerung besteht beim Thema Taiwan . Hier halten es die USA mit politischer Absurdität und historischem Anachronismus gleichermaßen. Da wird der Regierung in Taipeh militärischer Beistand zugesichert, obwohl deren Staat, die "Republik China", von den USA seit Jahrzehnten nicht mehr anerkannt ist. Durch dieses Verhalten wird – darin besteht der Anachronismus – eine Spätfolge des japanischen Kolonialismus konserviert. Taiwan musste 1911 der auf dem Festland gegründeten chinesischen Republik deshalb fernbleiben, weil die Insel von Japan okkupiert war und das bis 1945, als die US-Armee und ihre Alliierten den japanischen Imperialismus niederwarfen.

Ein Rohrkrepierer

Da mag man behände auf dem Hochseil der Moralpolitik herumbalancieren – realpolitisch ist der Umgang mit Taiwan ein Rohrkrepierer. Das Angebot der Regierung in Peking, im Falle einer Rückkehr in den chinesischen Staatsverband nach dem Muster "Ein Staat, zwei Systeme" zu verfahren, wird auf die Dauer seine Wirkung nicht verfehlen und zu einer einvernehmlich ausgehandelten Lösung führen. Wenn die in der Luft liegt, und das tut sie – warum sollten die USA einen Krieg riskieren. Und warum China?

Vielleicht war Joe Biden beim jüngsten Videogipfel mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping auch deshalb um Deeskalation bemüht. Wem nützt es, wenn ein konfrontatives Verhältnis aus dem Ruder läuft und nicht mehr beherrschbar ist? Wenn man Differenzen habe, sollte konstruktiv damit umgegangen werden, so Xi. Er wählte die Metapher von den "beiden gigantischen Schiffen China und USA", die sich "gegen Wind und Wellen vorwärtsbewegen", aber nicht kollidieren sollten.

Das digitale Treffen folgte unmittelbar nach der Ankündigung auf dem Klimagipfel in Glasgow, beide Staaten wollten beim Eindämmen der Klimaerosion letztlich doch und mehr kooperieren. Es steht außer Frage, dass weder Russland noch China, und schon gar nicht die USA allein, den existenziellen Fragen gewachsen sind, die über Sein, Schattendasein oder Nichtsein der Menschheit entscheiden. Wer da mit dem Instrumentenkasten aus Hochrüstung, Militärpräsenz, Bedrohungsobsession, Verleumdungsrhetorik und Sanktionsfuror herumklimpert, wird nicht viel ausrichten. Im Gegenteil, der verschwendet seine Ressourcen, gemessen an dem, was notwendig ist. Wenn Xi Jinping gegenüber Biden erklärt, sein Land werde sich in seinem souveränen Handeln nicht beschneiden lassen, kann sich der US-Präsident darauf verlassen, dass es so sein wird. Was auch immer die Komparserie in den politischen Echokammern des Westens dazu an Aufwallung verströmt.

Hstorische Resolution

Da über China in der Regel monothematisch und mit Schnappatmung berichtet wird, um den "Feind der Menschheit" zu ächten und nach der Maxime zu verfahren: "Was man dem Volk dreimal sagt, hält das Volk für wahr" (Heinrich von Kleist), dürfte deutschen Mediennutzern entgangen sein, wie sehr Xi Jinping durch das ZK-Plenum der KP Chinas vom 9. bis zum 13. November gestärkt wurde. In ihrer hundertjährigen Geschichte hat die Partei eine "historische Resolution" bisher erst zweimal verabschiedet: 1945, um Mao Zedong als Vorsitzenden zu bestätigen, 1981, um Deng Xiaopings Reformen abzusegnen, und jetzt zum dritten Mal, um Xi Jinping Rückendeckung zu geben.

Joe Biden hingegen erinnert mit seinem eher fragilen Mandat und fallenden Umfragewerten gerade mehr an den späten Gorbatschow, den irgendwann auch das "Neue Denken" nicht mehr retten konnte. Für Biden ist das – noch – eine Option. Schließlich hat er die USA zu führen, die sich ein "Neues Denken" sehr viel mehr leisten können, als das für die zuletzt schwer erschöpfte Sowjetunion der Fall war.

Quelle: der FREITAG vom 16.11.2021. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

18. November 2021

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