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Nach dem militärischen Desaster: Kein Antimilitarismus, nirgends!

Ein Kommentar zu 20 Jahren Afghanistan-Militärinvasion 2001-2021

Von Lou Marin

Nach dem 11,9.2001 begann die Bush-Jr.-Administration ihren "Krieg gegen den Terror" in Afghanistan; 2003 folgte die Invasion in den Irak. Die Epoche der sogenannten "Menschenrechtskriege" geht nun mit einer menschlich-moralischen Katastrophe zu Ende. Die BRD, die NATO-Staaten und die USA ziehen als Verlierer*innen auf der ganzen Linie ab und hinterlassen die Taliban-Herrschaft, die sie doch eigentlich 2001, so Bush Jr., als "those, who harbor them" (die Terroristen Bin Ladens) besiegen wollten. In Kürze wird der Abzug der "Koalition der Willigen" (Bush Jr. und Tony Blair) aus dem Irak folgen, voraussichtlich mit demselben Desaster – vielleicht sogar einem Machtgewinn des Islamischen Staats im Irak.

In zwanzig Jahren sind die "Menschenrechtskrieger" nicht auch nur einen konkreten Schritt auf dem Weg zur autoritär-militärischen Durchsetzung der Menschenrechte oder der Demokratie vorangekommen – ein Scheitern auf der ganzen Linie, wie es in dieser Dimension selbst für uns anarchistische Antimilitarist*innen zeitweise nicht vorstellbar war. Verzweifelt versuchen sie, diesem Krieg im Chaos der Rettungsflüge noch nachträglich einen Sinn abzugewinnen: Biden meint, der Zweck sei doch erreicht worden, Bin Laden und Al Qaida wären doch zur Strecke gebracht worden – aber eben in Pakistan 2011, wo sich Bin Laden schon seit 2006 aufhielt, und nicht etwa in Afghanistan; und außerdem als Schlag eines Einzelkommandos, dafür hätte man doch ein ganzes Land nicht zwei Jahrzehnte lang bekriegen müssen! Bernhard Klaus: "Flucht aus Kabul und Deutschlands ‚Verantwortung’", siehe: http://www.imi-online.de/2021/08/16/flucht-aus-kabul-und-deutschlands-verantwortung/ , in IMI-Standpunkt 2021/045, 16.8.2021.

59 bundesdeutsche Soldaten seien in diesen 20 Jahren gestorben, wird über die bundesdeutschen bürgerlichen Medien mit Krokodilstränen verlautet und gefragt, ob es das wert gewesen sei. Und wie viele Afghan*innen? Seriöse Quellen wie das "Cost of War"-Project des Watson Institute der Brown University in Providence/Rhode Island, USA, beziffern die Gesamtzahl der Toten in Afghanistan inclusive aller Afghan*innen auf 157.000 bis Oktober 2019, dazu die Toten im ständig mit bekriegten West-Pakistan auf 66.000 im selben Zeitraum, ergibt 213.000 bis Ende 2019; und zeitlich hochgerechnet bis auf April 2021 kommt man auf insgesamt 238.000 in Afghanistan und West-Pakistan. Davon entfallen insgesamt 67.000 Opfer auf Zivilist*innen beider Länder, Afghanistan und West-Pakistan. Siehe Blog: jg-nachgetragen.blog von J. Guillard, der sich auf die veröffentlichten Zahlen des Cost-of-War-Projects stützt.

Radikale Antimilitarist*innen hassen es, immer recht zu behalten, zumal beide Kriege durch eine weltweite Massenbewegung sowohl gegen den Afghanistan-Krieg wie gegen den Irak-Krieg von Anbeginn kritisiert und zu verhindern gesucht wurden. Und wie höllisch diese Antikriegsbewegungen, übrigens nicht nur in der BRD, recht hatten! Doch es nützte ihnen nichts.

Warum eigentlich Afghanistan? Ökonomische und geostrategische Interessen aller imperialistischen Mächte: der Sowjetunion und der NATO

Afghanistan gilt für viele auf den ersten Blick als unwirtliche Gegend, als Einöde und Wüste, mit Ausnahme der Mohnfelder, die in den Sechzigerjahren zu einem Art Alternativtourismus nach Kabul führten. Doch sowohl die Sowjetunion als auch die NATO richteten bei ihren Besetzungen ihre Begehrlichkeiten auf Afghanistan aus anderen Interessen- und Motivlagen.

"Die Liste an mineralischen Bodenschätzen liest sich wie die Wunschliste einer Industrienation. Lithium, Beryllium, Edelsteine, Seltene Erden, Kupfer, Molybdän, Gold, Niob, Blei, Zink, Öl, Gas und Kohle sind in Afghanistan bereits nachgewiesen. Weiterhin verfügt das Land im gesamten Osten über mehrere Milliarden Tonnen hochwertiges Eisenerz. Von Kabul bis Kandahar verläuft eine sehr reichhaltige Chromader. In Mittelafghanistan sind große Mengen an Bauxit nachgewiesen. Marmor und Granit sind über den Osten und Mittelafghanistan verteilt.

Öl- und Gasvorkommen gibt es im Norden. Das Gesamtpotential an Öl-Ressourcen in Afghanistan wird auf 1,6 Mrd. Barrel und die Gas-Ressourcen werden auf 15.690 Mrd. Kubikfuß geschätzt.” Siehe: https://institut-seltene-erden.de/e4orme-rohstoffvorkommen-in-afghanistan/ .

Hinzu kommen geostrategische Interessen in der Region: Die Sowjetunion wollte durch die Invasion 1979 infolge des von ihr gestützten kommunistischen Regimes einen Zugang zum Indischen Ozean; heute hat Russland das Interesse, eine durch eventuell neuerliche islamistische Herrscher in Afghanistan entstehende Nachschubbasis für Kämpfer an den russischen Südostgrenzen (z.B. Tschetschenien) zu verhindern. Die NATO wollte noch in Zeiten des Kalten Krieges genau diese sowjetischen Interessen durchkreuzen, dadurch dass sie islamistische Milizen großzügig mit Waffenlieferungen unterstützten und islamistische Gruppen überhaupt erst in die Lage versetzten, die sowjetische Invasion durch militärische Nadelstiche über die Jahre hinweg zu destabilisieren. Doch die Islamisten bedankten sich für die US-Waffenhilfe dann nur durch den 11. September 2001.

Der blutige Schröder-Fischer-Deal

Wir erinnern uns kurz an einige Schlaglichter aus 2001, als die NATO-Invasion anlief und sich die BRD entscheiden musste, ob sie ein weltweit "anerkannter" Militärpartner bleiben wollte. In die ersten handfesten Nachkriegs-Kriege zog die Bundeswehr im Rahmen einer Rot-Grün-Regierung unter Führung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Weil sie die Bombardierung Serbiens 1999 im Kosovo-Krieg und den Afghanistan-Krieg 2001 aktiv verantworteten, konnten sie beim Irak-Krieg 2003 auch mal pausieren und sich angeblich antiimperialistisch gerieren, so die nachträgliche Selbstrechtfertigung dieser bundesdeutschen, zynischen Menschenrechtskrieger bei ihrem Deal.

Und an diesem Zynismus hat sich bis heute nichts geändert, wie ein nur flüchtiger Blick auf den Bundeswehreinsatz in Mali zeigt. Dort hat das Militär Malis jüngst zweimal gegen die Demokratie geputscht – und die Bundeswehr ist nicht etwa aus Protest und demokratischer Verantwortung sofort abgezogen, nein, sie hat diese Putsche abgesegnet, ohne mit der Wimper zu zucken. Plötzlich kam es dort den Militärstrategen auch sehr gelegen, dass die demokratische Regierung Malis sowieso über die Maßen korrupt war. Soviel zur Konsequenz und Ernsthaftigkeit, mit der die "Menschenrechtskrieger" auf die Menschenrechte und demokratische Zustände achten, noch dazu, wo es in Mali darum geht, den Uranabbau im Grenzgebiet Mali-Niger für die 54 französischen Atomkraftwerke mittels deutsch-französischer Militärzusammenarbeit abzusichern.

Dass die mit Menschenrechtskriegen zu installierende Demokratie irritierenderweise immer Regierungen hervorbringt, die ganz besonders korrupt sind wie etwa die demokratische Regierung in Mali oder auch die demokratische Regierung in Afghanistan, das zum Beispiel zum Zentrum des weltweiten Opium- und Heroinhandels geworden ist Siehe: https://www.rollingstone.de/drogenstaat-afghanistan-wie-heroin-ein-land-regiert-698857/3/ . Laut Süddeutsche Zeitung vom 21.-22.8.2021 sind in Afghanistan 85% des weltweiten Opiums angebaut und "Unmengen von Heroin und Crack" über Zentralasien vertrieben worden, siehe Artikel Anm. 11., wird mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen, wenn es mal nicht zur Konstruktion einer Legitimation des Bleibenmüssens eingesetzt wird.

Rassistisches Überlegenheitsgefühl wie in Vietnam

Die Kriegsanalysen von Harald Welzer in seinem Buch "Klimakriege" (2010) bieten hierzu vor der Folie des verlorenen Vietnam-Krieges viel Vergleichsmaterial:

So habe sich in der US-Armee damals "eine irrationale Realitätssicht breit gemacht, die zum Beispiel davon ausging, dass den feindlichen Vietcong irgendwann die Kämpfer ausgehen würden und dann der Augenblick der finalen militärischen Überlegenheit gekommen sei." Dito in Afghanistan, wo immer wieder arrogant und selbstverständlich die zunehmende Schwäche der Taliban verlautbart und beschworen wurde – daher auch die völlig verfehlten zeitlichen Fehleinschätzungen zum jüngsten Vordringen der Taliban nach Kabul. Welzer: "Die Stabschefs und Präsidentenberater befanden sich, wie ein zeitgenössischer Beobachter schrieb, zu diesem Zeitpunkt in einem ‚Traumzustand’, der ihnen jede realistische Einschätzung der Folgen ihres Handelns versperrte." Zit. nach: Harald Welzer: "Klimakriege: Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird", Fischer, Frankfurt/M. 2010, S. 69f.

Weiter Welzer zu Vietnam: "Phantasien der Überlegenheit verschwisterten sich hier mit der panischen Angst, das Gesicht zu verlieren. Sowohl Lyndon B. Johnson als auch Richard Nixon teilten öffentlich mit, sie wollten nicht die ersten amerikanischen Präsidenten sein, die einen Krieg verlieren, und weil man so eine Aussage schlecht zurücknehmen kann, setzten sie alles daran, den Krieg wenigstens so lange wie möglich nicht zu verlieren – wenn sie ihn schon nicht gewinnen konnten." Welzer, ebenda, S. 71f.  Dito in Afghanistan für die Bundeswehr: Margot Käßmann machte bereits Ende 2010 in breiter Öffentlichkeit ihre Meinung kund, "nichts ist gut in Afghanistan". Den Bundeswehr-Soldat*innen wurde da schon längst nicht mehr von Kindern jubelnd zugewunken, die Soldat*innen stiegen bei Patrouillenfahrten nicht mehr aus und sprachen auch nicht mehr mit den Leuten, die militärischen Angriffe auf sie vervielfachten sich, die ersten Schulen wurden wieder geschlossen. Es war absehbar, dass auf diese Weise, mit Hilfe einer militärischen Intervention und der Einführung der "Menschenrechte" mit Waffengewalt, niemals eine stabile Demokratie aufgebaut werden konnte, die die Leute auch wollten und verinnerlichten.

Welzer weiter: "Kennzeichnend für die Verantwortlichen war – wie Barbara Tuchman mit Recht gesagt hat – ihre Weigerung, Informationen zur Kenntnis zu nehmen, die ihren Erwartungen nicht entsprachen. Das fing damit an, dass sie es schlicht für unmöglich hielten, von einem, wie sie es nannten, ‚viertrangigen’ Land wie Vietnam besiegt werden zu können, setzte sich damit fort, dass sie die Stärke der eigenen Truppen wie die Südvietnams chronisch überschätzten, und endete damit, desto hartnäckiger an Illusionen festzuhalten, je deutlicher sich das Desaster abzeichnete." Welzer, ebenda, a.a.O., S. 72.  Dito in Afghanistan: Die bereits vor Monaten von der deutschen Botschaft in Kabul abgegebenen Notsignale und die Aufforderungen zur Evakuierung von Personal und Hilfskräften wurden nicht zur Kenntnis genommen und der autochthone Einsatzwille der doch von der Bundeswehr so intensiv ausgebildeten afghanischen Armee und der Polizeikräfte wurde "chronisch überschätzt"!

Kriegsmüdigkeit und völlig anderer Referenzrahmen

Doch die warfen beim ersten Zusammentreffen mit den Taliban einfach die Waffen fort. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens ist es ein immer wieder in lang andauernden Bürgerkriegen (nehmen wir Liberia, wo ein langjähriger Bürgerkrieg durch Kriegsmüdigkeit und die Übernahme von Verantwortungspositionen durch Frauen anstelle von kriegerischen Männern beendete wurde) feststellbares Phänomen, dass eine gesamte Gesellschaft nach zig Jahren Krieg (in Afghanistan ja schon seit 1979, der Invasion durch die Sowjetunion) nicht mehr so will, wie es sich die Interventionsmacht vorstellt und die von ihr aufgezwungenen Kriege nicht mehr weiterführt. Und zweitens, darauf weist Melzer unter Rückgriff auf die Analysen von Erwin Goffman hin, liegt das daran, dass die westlichen Interventionsmächte und die Bevölkerungsgruppen in Afghanistan einen kategorial verschiedenen "Referenzrahmen" haben, "in den die Wahrnehmung des Ereignisses eingeordnet wird". Welzer, ebenda, S. 64, bezieht sich auf Goffmans Buch "Rahmenanalyse". Die westlich-europäische Erwartung, dass afghanische Truppen nach 20 Jahren ausländischer Intervention mutig in die Schlacht gegen eigene Landsleute ziehen, musste notwendig fehlschlagen, weil der westliche Referenzrahmen hier verabsolutiert wurde und die Sicht auf die Wirklichkeit vernebelt hat. Die Taliban stehen hier trotz aller Morde und Verbrechen für einen eigenständigen befreiungsnationalistischen Referenzrahmen – trotz ihrer religiösen Überformung und trotz aller unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen im Land, die zum Teil weiterhin verfeindet sein werden.

Die rassistische Dimension: Befreiung und Aufklärung kann nie mit äußerer Waffengewalt aufgezwungen werden

Dies führt diese Analyse zum letzten Punkt, der grundsätzlich in allen Verlautbarungen sowohl der BRD-Regierung als auch der herrschenden Medien systematisch ausgeklammert wird: Welch eine ungeheuerliche Arroganz steckt eigentlich hinter der Vorstellung, emanzipatorische Werte und Verhaltensweiten, Frauenbefreiung usw. durch militärische Gewalt – einem anti-emanzipatorischen Wert per se – aufzwingen zu wollen? Und welche rassistische Arroganz wird bezeugt, wenn wie selbstverständlich davon ausgegangen wird, der afghanischen Kultur grundsätzlich und in jeder Hinsicht abzusprechen, diese Werte jemals eigenständig und unabhängig ausbilden, erringen und durchsetzen zu können? Was für ein kultureller Rassismus steckt dahinter, nur Europa und Nordamerika als Beglückungsregionen der Aufklärung hinzustellen – trotz Gandhi in Indien, trotz Mahmud Muhammad Taha im Sudan, und trotz der paschtunischen Tradition des Abdul Ghaffar Khan, um nur mal einige Beispiele gewaltfreier Widerstandstraditionen aus dieser Erdregion anzuführen.

Zum Bedeutungsgehalt der gewaltfreien Traditionen Tahas und Ghaffar Khans: Im Sudan des Mahmud Taha und seines kulturellen Erbes, übrigens mit einem hohen Anteil an Frauenaktivist*innen, wurde 2019 selbständig – und ganz ohne militärische Auslandsintervention – das islamistische Regime al-Bashirs, Täter beim Völkermord in Darfur, durch eine gewaltfreie Massenbewegung der einheimischen Bevölkerung gestürzt und al-Bashir soeben an den Haager Kriegsgerichtshof ausgeliefert. Siehe: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/voelkermord-sudan-liefert-ex-praesident-al-baschir-an-den-haag-aus-17480428.html . Zum Einfluss der gewaltfrei-libertären Philosophie von Mahmud Taha auch auf diese Bewegung siehe: Guillaume Gamblin, Pierre Sommermeyer, Lou Marin (Hg.): Im Kampf gegen die Tyrannei: Gewaltfrei-revolutionäre Massenbewegungen in arabischen und islamischen Gesellschaften: der zivile Widerstand in Syrien 2011-2013 und die "Republikanischen Brüder" im Sudan 1983-1985, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2016.  Und zur paschtunischen Tradition Abdul Ghaffar Khans: Ghaffar Khan war in den Dreißigerjahren Gandhis muslimischer Verbündeter im anti-britischen Antikolonialismus, was den paschtunischen Teil des späteren Pakistan betraf. Die Paschtun*innen waren und sind aber auch gleichzeitig die Mehrheitsbevölkerung Afghanistans. Die Tradition des gewaltfreien Kampfes von Abdul Ghaffar Khan und seinen "Rothemden" ist in der Region legendär und weithin bekannt. Ihnen gelang während der Salzmarschzeit 1930 die Befreiung der Großstadt Peschawar auf gewaltfreie Weise und über mehrere Wochen hinweg. Bei den "Rothemden" waren Muslime und Hindus integriert und gemischt organisiert. Siehe: https://www.graswurzel.net/gwr/2001/11/die-kommune-von-peshawar-1930/ .  Dazu sind solche Kulturen tatsächlich befähigt, das ist historisch belegt.

Doch davon wollen die westlichen Kommentator*innen heute immer noch nichts wissen. Sie wissen auch deshalb nichts davon, weil sie trotz des gegenwärtigen militärischen Desasters immer nur in militärischen Maßstäben denken können: Wenn die westliche Militärintervention gescheitert ist, dann wird eben auf den nächsten Bürgerkrieg gehofft. Und anstatt auf eine Erneuerung der Tradition Ghaffar Khans wird in Afghanistan nun wieder auf den General Massud gesetzt, den pro-westlichen und nicht-paschtunischen Anführer der ehemaligen "Nord-Allianz", und das militärisch uneinnehmbare Pandschir-Tal sowie einen erneuten miliz-artigen Widerstand gegen die Taliban, nur jetzt eben unter Befehl des Sohnes Massuds, des "jungen Massud". Und so jubelt etwa am 21. 8. auch die Süddeutsche Zeitung: "Es kommt überraschend schnell zu ersten Protesten. Und vielleicht sogar bald zu einem Bürgerkrieg." Zit. nach Tomas Avenarius, Silke Bigalke, Jochaim Käppner: "Das afghanische Drama", in: Süddeutsche Zeitung, Sa/So, 21.-22.8.2021, S. 2.  Als ob das für Afghanistan noch immer eine Hoffnung sein könnte – nach 42 Jahren durchgängigem Krieg und Bürgerkrieg seit 1979! Was für eine arrogante, brutale, rassistische und westeuropäische Blindheit. Und so verstricken sich die "Menschenrechts-Krieger" in einen permanenten Zyklus von direkter Militärintervention und sinnloser Hoffnung auf einen erneuten Bürgerkrieg mit dem Vorteil für die westliche Waffenexportindustrie, weiter Geschäfte machen zu können, nur diesmal wieder von außerhalb - bis zur nächsten Militärintervention!

Von der Beförderung des Oberst Klein bis zur Weigerung einer Selbstkritik der Antideutschen

Schon jetzt steht fest: Alles soll so weiter gehen wie bisher. Den Afghan*innen wird nie zugetraut, sich an die Ghaffar Khan-Tradition zu erinnern, selbst wenn sie bis zum Anschlag kriegsmüde sind. Das rassistische Mantra "Nie wieder ein 2015" gegen einen erneut drohenden Geflüchtetenstrom wird von den BRD-Politiker*innen wieder bis zum Erbrechen wiederholt. Die Bundeswehr ist trotz der eindeutigen Niederlage nicht gewillt, ein einziges Mal selbstkritisch aufarbeitend über die schlimmsten eigenen Menschenrechtsverletzungen nachzudenken, etwa den Bombenbefehl von Oberst Klein im September 2009 auf Tank-Lastzüge, bei dem mindestens 100 Zivilist*innen starben, und für den Oberst Klein noch zum Brigadegeneral befördert worden ist. Siehe: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-oberst-georg-klein-zum-brigadegeneral-befoerdert-a-892278.html .  Es war das größe Massaker einer deutschen Armee nach dem Zweiten Weltkrieg. Verstocktes Festhalten am schlimmsten Militarismus, wohin das Auge reicht! Keine selbstkritische Erinnerung, keine selbstkritische Aufarbeitung, nirgends! Geschweige denn ein Wahrnehmen der gewaltfreien Traditionen in der Region und innerhalb der demografisch wichtigsten Bevölkerungsgruppe.

Doch dasselbe lässt sich über diejenige Fraktion der deutschen Linken sagen, die damals, nach den Anschlägen des 11. September 2001, von links dem Militäreinsatz nicht nur zugestimmt haben, sondern ihn zudem noch als nicht entschlossen genug kritisierten. Kein selbstkritischer Rückblick von Leuten wie etwa Mathias Küntzel, einem der schlimmsten linken Kriegspropagandisten der Militärintervention von 2001, oder von Zeitungen wie der Jungle World, von Thomas von der Osten-Sacken und Konsorten, alles Kriegspropagandist*innen von 2001! Kein kritisches Reflektieren darüber, was denn ihre linke Kriegspropaganda von damals je an Positivem erreicht hat bzw. gar, was sie angerichtet hat! Sondern bereits der Aufruf zu weiterem Bürgerkrieg und bewaffnetem Widerstand, exakt dasselbe wie in der Süddeutschen. Sie unterscheiden sich in nichts vom bürgerlichen Immer-weiter-so! Osten-Sacken schreibt heute in der Jungle World, als hätte es die 20 Jahre Krieg in Afghanistan mit ihren 241.000 Toten nie gegeben:

"Wer jetzt glaubt, der Sieg der Taliban über USA und Europa (…), der eigentlich nur die eigene Kapitulation meint, würde auch zu einer Befriedung Afghanistans, sprich einer neuen Friedhofsruhe, die nur von den Schreien der Exekutierten, Ausgepeitschten und Gefolterten gestört wird, führen, dürfte einer großen Illusion aufsitzen." Doch das erwünschte Szenario, von dem solche Leute niemals lassen können, ist schon nah: "So wird es sehr schnell vermutlich zu bewaffnetem Widerstand im Norden und den von Hazara bewohnten Gebieten kommen." Thomas von der Osten-Sacken: "Haben die Taliban den Krieg gewonnen oder gesiegt?", in: Jungle World, 18.8.21, siehe: https://jungle.world/artikel/2021/33/haben-die-taliban-den-krieg-gewonnen-oder-gesiegt .  Bürgerkrieg – westliche Militärintervention – Bürgerkrieg – auf jeden Fall bewaffneter Widerstand: Etwas anderes kennen diese Militaristen nicht und genau deshalb sind sie sich alle gleich!

Quelle: graswurzelrevolution 22. August 2021.

Fußnoten

Veröffentlicht am

28. August 2021

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