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Ein Held, den man kennen sollte

Von Emran Feroz

In der vergangenen Woche wurde der ehemalige Militäranalyst und Whistleblower Daniel Hale im US-Bundesstaat Virginia zu einer 45-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Dank Hale wurden 2015 zahlreiche Details zum amerikanischen Drohnenkrieg, der seit Beginn des "War on Terror" im Jahr 2001 in mehreren Ländern tobt und zum damaligen Zeitpunkt vor allem die Präsidentschaft Barack Obamas prägte, bekannt. Der damals anonyme Hale war de facto für den größten Drohnenleak der US-Geschichte verantwortlich.

Kurz darauf wurden von der investigativen Medienplattform "The Intercept" die sogenannten "Drone Papers" veröffentlicht. Diese machten etwa deutlich, dass die meisten Opfer von US-Drohnenangriffen in Afghanistan, dem bis dato am meisten von Drohnen bombardierten Land der Welt, keine bewaffneten Extremisten waren, sondern Zivilisten. Die geheimen Dokumente, die Hale den Journalisten zuspielte, beschrieben etwa die sogenannte "Operation Haymaker", die zwischen Januar 2012 und Februar 2013 im Nordosten Afghanistans stattfand und bei der mindestens 200 Menschen getötet worden. Bei über achtzig Prozent der Opfer handelte es sich nicht um die eigentlichen Ziele. Anstatt bekannter Taliban-Führer wurden immer wieder Zivilisten getötet. Vor Ort führte dies zu einer zunehmenden Radikalisierung der Bevölkerung, von der vor allem die Taliban profitierten, etwa indem sie aufgrund von Hass und Rachegefühlen zusätzliches Personal rekrutieren konnten. Trotz der Tatsache, dass Zeitraum und Lokalität der in den Leaks beschriebenen Operationen begrenzt waren, machten die Dokumente die Abgründe des geheimen Drohnenkrieges, der Obamas Nachfolgern praktisch auf dem Silbertablett serviert wurde, deutlich.

Ein weiterer Fokus des "Drone Papers" lag auf den globalen Mittätern des amerikanischen Drohnenprogramms. Eine große Rolle hierbei spielt bis heute Deutschland aufgrund des US-Luftwaffenstützpunkts Ramstein in der Pfalz. Hales bezeichnete Ramstein in den "Drone Papers" als "Herzstück" des Drohnenkrieges. Ohne die Basis sei praktisch die Koordination keines einzigen Drohnenangriffes möglich. In Ramstein befindet sich nämlich eine Satelliten-Relaisstation, ohne die die Kommunikation mit den unbemannten Killermaschinen in Afghanistan, Jemen und in allen anderen Ländern, in denen Drohneneinsätze stattfinden, für die Drohnen-Crew unmöglich wäre. Die Station wurde Ende 2012 fertiggestellt und befindet sich im Zentrum des Waldgebietes, welches die Basis umgibt. 2021 stellte die US-Luftwaffe im Kontext einer Budgetanfrage klar, dass ohne die Satellitenstation in Ramstein das Drohnenprogramm nicht wie geplant funktionieren würde und dass zukünftige Missionen darunter in erheblicher Hinsicht leiden würden.

All diese Dinge wissen wir dank Daniel Hale, der aufgrund seiner Arbeit auch andere Menschen dazu bewegt hat, dem US-Drohnenprogramm den Rücken zu kehren und die Wahrheit über jenen mörderischen Schattenkrieg auszusprechen. "Daniel Hale, einer der großartigen, amerikanischen Whistleblower, wurde vor wenigen Momenten zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Sein Verbrechen war das Aussprechen der Wahrheit: 90 Prozent jener Menschen, die durch US-Drohnen getötet werden, sind Unbeteiligte und nicht die beabsichtigten Ziele. Hale hätte eine Medaille erhalten sollen", hieß es seitens des wohl bekanntesten US-Whistleblowers, Edward Snowden, kurz nach Hales Urteilsverkündung. "Daniel Hale hatte recht mit allem, was er gesagt hat. Ich unterschreibe jedes seiner Worte zum Drohnenprogramm. Die meisten Menschen, die wir getötet haben, waren Unschuldige", sagte Lisa Ling, die einst als Technikerin Teil des US-Drohnenprogramms war und sich seit einigen Jahren als Whistleblowerin engagiert. Ling ist mit Hale befreundet. Sie kritisiert nicht nur den politischen Umgang mit ihm, sondern auch den Umstand, dass viele Medien das Verfahren gegen ihn ignoriert oder relativiert hätten.

Dass Hale aufgrund seiner heldenhaften Tat ins Gefängnis gehen muss, ist bitter. Besonders perfide ist auch die Argumentation der verantwortlichen Richter. Diese behaupten nämlich, dass Hales Tätigkeit als Whistleblower kein Problem dargestellt hätte und er deshalb auch nicht strafrechtlich verfolgt worden sei. Stattdessen hätte er nicht die umstrittenen Dokumente an sich nehmen und Journalisten weitergeben dürfen. Hale fand klare Worte für sein "Vergehen": "Ich bin hier, weil ich etwas gestohlen habe, was mir nie zustand – wertvolles menschliches Leben." Außerdem wiederholte er, dass neun von zehn Opfern von Drohnenangriffen Unschuldige seien und dass man für solch eine Arbeit "sein eigenes Bewusstsein töten müsse".

Im Übrigen könnte man behaupten, dass der Drang und die Verpflichtung zur Wahrheit innerhalb der Familie Hale besonders stark ist – und zwar schon seit Jahrhunderten. Daniel Hales Vorfahre war nämlich der bekannte US-Offizier Nathan Hale, der von den Briten 1776 der Spionage bezichtigt und erhängt wurde. Hale hatte, ähnlich wie sein Nachfahre, Dokumente gestohlen. Er gilt heute als amerikanischer Patriot.

Quelle:  NachDenkSeiten - 04.07.2021. Dieser Beitrag ist auch verfügbar als Audio-Podcast .

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Veröffentlicht am

05. August 2021

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