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Leonardo Boff: Wasser: Lebensquelle oder Profitquelle? Gegen die Privatisierung des Wassers

Von Leonardo Boff

Es gibt heutzutage zwei wesentliche Probleme, die die gesamte Menschheit betreffen: die globale Erwärmung und die zunehmende Verknappung des Trinkwassers. Beide erfordern tiefgreifende Veränderungen in der Art und Weise, wie wir leben, denn sie können einen Zusammenbruch unserer Zivilisation verursachen und das Lebenssystem tiefgreifend beeinflussen.

Konzentrieren wir uns auf das Thema Wasser, das von großen Konzernen begehrt wird, um es zu privatisieren und riesige Gewinne zu machen. Es kann ein Grund für Kriege sein, aber auch ein Grund für soziale Solidarität und Zusammenarbeit zwischen den Völkern. Es wurde bereits gesagt, dass, wenn die Kriege des 20. Jahrhunderts um Öl geführt wurden, die Kriege des 21. Jahrhunderts um Trinkwasser geführt werden. Dennoch kann es eine zentrale Referenz für einen neuen Weltsozialpakt zwischen Völkern und Regierungen zum Überleben aller sein.

Betrachten wir die grundlegenden Fakten über Wasser. Es ist extrem reichlich vorhanden und doch gleichzeitig knapp.

Auf der Erde gibt es etwa 1,36 Milliarden Kubikkilometer Wasser. Wenn wir all dieses Wasser, das sich in den Ozeanen, Seen, Flüssen, Grundwasserleitungen und Polkappen befindet, nehmen und es gleichmäßig über eine flache Landoberfläche verteilen würden, wäre die ganze Erde drei Kilometer tief unter Wasser getaucht. 97% sind Salzwasser und 3% sind Süßwasser. Aber nur 0,7 % davon sind für den Menschen direkt nutzbar. Von diesen 0,7 Prozent gehen 70 Prozent in die Landwirtschaft, 22 Prozent in die Industrie, und der Rest wird von Mensch und Tier genutzt.

Das Wasser-Recycling liegt in der Größenordnung von 43.000 Kubikkilometern pro Jahr, während der Gesamtverbrauch auf 6.000 Kubikkilometer pro Jahr geschätzt wird. Es gibt also ein Überangebot an Wasser, aber es ist ungleich verteilt: 60% steht gerade einmal 9 Ländern zur Verfügung während in 80 anderen Ländern Knappheit herrscht. Es wird davon ausgegangen, dass bis 2032 etwa 5 Milliarden Menschen von der Wasserkrise betroffen sein werden.

Das Problem ist nicht die Knappheit des Wassers, sondern seine schlechte Bewirtschaftung und Verteilung, um den Bedarf der Menschen und anderer Lebewesen zu decken.

Brasilien ist die natürliche Wasserkraft, mit 13 % des gesamten Süßwassers auf dem Planeten, das sind 5,4 Billionen Kubikmeter. Trotz des Überflusses werden 46 % davon verschwendet, was ausreichen würde, um ganz Frankreich, Belgien, die Schweiz und Norditalien zu versorgen.

Weil es knapp ist, ist Süßwasser zu einem Gut von hohem wirtschaftlichen Wert geworden. Da wir von einer Marktwirtschaft zu einer Marktgesellschaft übergegangen sind, wird alles zu einer Ware. Aufgrund dieser "großen Transformation" (Karl Polaniy) gibt es nun einen ungebremsten globalen Wettlauf, Wasser zu privatisieren und große Gewinne zu machen. So sind multinationale Konzerne wie die französische Vivendi und Suez-Lyonnaise, die deutsche RWE, die englische Thames Water, die amerikanische Bechtel u.a. entstanden. Ein Wassermarkt mit einem Volumen von mehr als 100 Milliarden Dollar wurde geschaffen. Nestlé und Coca-Cola sind hier stark vertreten und versuchen, überall auf der Welt Quellen zu kaufen.

Die große Debatte lautet heute in diesen Begriffen: Ist Wasser eine Quelle des Lebens oder eine Quelle des Profits? Ist Wasser ein natürliches, lebensnotwendiges, gemeinsames und unersetzliches Gut oder ein Wirtschaftsgut, das als Wasserressource und Ware zu behandeln ist?

Es ist wichtig zu erkennen, dass Wasser kein Wirtschaftsgut wie jedes andere ist. Es ist so eng mit dem Leben verbunden, dass es als etwas Vitales und Heiliges verstanden werden muss. Leben kann nicht in eine Ware verwandelt werden. Es ist eines der hervorragendsten Güter im Prozess der Evolution und eine der größten göttlichen Gaben. Darüber hinaus ist Wasser mit anderen kulturellen, symbolischen und spirituellen Dimensionen verbunden, die es kostbar machen und mit Werten aufladen, die an sich unbezahlbar sind.

Um den Reichtum des Wassers zu verstehen, der über seine ökonomische Dimension hinausgeht, müssen wir mit der Diktatur der instrumental-analytischen und utilitaristischen Vernunft brechen, die der Gesellschaft als Ganzes auferlegt ist. Letztere sieht Wasser als bloße Wasserressource, mit der man Geschäfte machen kann. Es dient nur Zwecken und Nützlichkeiten. Doch die Vernunft des Menschen hat andere Funktionen. Es gibt eine uralte, sensible, emotionale, herzliche und spirituelle Vernunft, die über Zwecke und Nützlichkeit hinausgeht und mit dem Sinn des Lebens, mit Werten, mit dem symbolischen, ethischen und spirituellen Charakter des Wassers verbunden ist.

Aus dieser Perspektive erscheint Wasser als natürliches Allgemeingut, als die Quelle und der Ort, aus dem das Leben auf der Erde vor 3,8 Milliarden Jahren entstanden ist. Wasser ist ein globales öffentliches Gemeingut. Es ist das Erbe der Biosphäre und lebenswichtig für alle Lebensformen. Leben kann ohne Wasser nicht existieren.

Offensichtlich müssen sich die Dimensionen von Wasser als Lebensquelle und als Wasserressource nicht gegenseitig ausschließen, sondern richtig aufeinander bezogen sein. Grundsätzlich gehört Wasser zu den Lebensrechten. Die UN hat am 28. Juli 2010 erklärt, dass sauberes und sicheres Wasser und sanitäre Einrichtungen ein grundlegendes Menschenrecht sind.

Aber es erfordert eine komplexe Struktur der Sammlung, Erhaltung, Aufbereitung und Verteilung, die eine unbestreitbare wirtschaftliche Dimension impliziert. Diese sollte jedoch nicht über dem anderen, nämlich dem Recht, stehen, sondern Wasser für alle zugänglich machen.

Jedem Menschen sollten mindestens 50 Liter kostenloses, sauberes Trinkwasser garantiert werden. Es ist Aufgabe der öffentlichen Hand, zusammen mit der organisierten Gesellschaft, öffentliche Mittel zu schaffen, um die Kosten zu decken, die notwendig sind, um dieses Recht für jeden zu garantieren. Die Tarife für die Dienstleistungen müssen die verschiedenen Verwendungszwecke des Wassers berücksichtigen, sei es im Haushalt, in der Industrie, in der Landwirtschaft oder im Freizeitbereich. Für die industrielle und landwirtschaftliche Nutzung ist das Wasser natürlich preispflichtig.

Die vorherrschende Marktsicht verzerrt die direkte Beziehung zwischen Wasser als Lebensquelle und Wasser als Wasserressource. Dies ist im Wesentlichen auf die Verschärfung des Privateigentums zurückzuführen, die dazu führt, dass Wasser ohne Sinn für das Teilen und die Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der anderen und der gesamten Lebensgemeinschaft behandelt wird. Das Prinzip der gesellschaftlichen Solidarität und der Interessengemeinschaft und des Respekts für Wassereinzugsgebiete, die die Grenzen der Nationen überschreiten, ist immer noch sehr schwach, wie es zum Beispiel zwischen der Türkei auf der einen Seite und Syrien und dem Irak auf der anderen Seite oder zwischen Israel auf der einen Seite und Jordanien und Palästina auf der anderen Seite oder sogar zwischen den USA und Mexiko um die Flüsse Rio Grande und Colorado vorkommt.

Um all diese lebenswichtigen Fragen zu diskutieren, wurde 2003 das Alternative Weltwasserforum in Florenz (Italien) ins Leben gerufen. Dort wurde die Gründung einer Weltwasserbehörde vorgeschlagen. Sie wäre ein öffentliches, kooperatives und plurales Regierungsgremium, das sich mit Wasser auf der Ebene großer internationaler Wassereinzugsgebiete und seiner gerechteren Verteilung entsprechend dem regionalen Bedarf befassen würde.

Gleichzeitig wurde eine internationale Artikulation im Hinblick auf einen Weltwasservertrag gebildet, der, da ein Weltgesellschaftsvertrag nicht existiert, um das herum aufgebaut werden könnte, was uns alle effektiv verbindet, nämlich das Wasser, von dem das Leben der Menschen und anderer Lebewesen abhängt. In ähnlicher Weise ist jetzt, mit der Ausbreitung von Covid-19, ein Weltvertrag zum Schutz des menschlichen Lebens jenseits jeder Souveränität, die als etwas Überholtes, aus einer anderen historischen Zeit, angesehen wird, dringend notwendig.

Eine wichtige Rolle ist es, Druck auf Regierungen und Unternehmen auszuüben, damit Wasser nicht auf die Märkte gebracht oder als Handelsware betrachtet wird. Es ist wichtig, die öffentlich-private Zusammenarbeit zu fördern, um zu verhindern, dass so viele Menschen aufgrund von Wassermangel oder aufgrund von falsch behandeltem Wasser sterben.

Jeden Tag verdursten 6.000 Kinder, und etwa 18 Millionen Jungen/Mädchen können nicht zur Schule gehen, weil sie gezwungen sind, 5 bis 10 Kilometer entfernt Wasser zu holen.

Es ist sehr wichtig, bestehende Wälder zu erhalten und so viel wie möglich wieder aufzuforsten, da sie die Beständigkeit des Wassers garantieren, die Grundwasserleitungen speisen und die globale Erwärmung abschwächen, indem sie Kohlendioxid binden und lebenswichtigen Sauerstoff produzieren.

Null Hunger in der Welt, wie es die UN-Millenniumsziele seit Jahren fordern, muss auch Null Durst beinhalten, denn Wasser ist Nahrung und ohne Wasser kann nichts leben und konsumiert werden.

Schließlich ist Wasser das Leben, Erzeuger des Lebens und eines der stärksten Symbole des ewigen Lebens, da Gott als lebendig, der Erzeuger allen Lebens und die unendliche Quelle des Lebens erscheint.

Leonardo Boff ist Theologe und Ökologe, Autor von: "Zukunft für Mutter Erde: Warum wir als Krone der Schöpfung abdanken müssen", Claudius, 1. Edition (1. März 2021)

Quelle:  Traductina , 25.07.2021.

Veröffentlicht am

02. August 2021

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