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Pestizidvergiftungen werden weltweit häufiger

​Jedes Jahr sterben Tausende an Vergiftungen durch Pestizide. Wie viele sich vergiften, wurde bisher stark unterschätzt.

Von Daniela Gschweng

Fast die Hälfte der weltweit in der Landwirtschaft Tätigen erleidet jedes Jahr eine Pestizidvergiftung, 11.000 Menschen sterben daran – Suizide nicht mitgezählt. Das sind 385 Millionen Menschen – oder 44 Prozent der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung.

Die meisten nicht tödlichen Vergiftungen treten in Südasien auf, gefolgt von Südostasien und Ostafrika. Auf die Bevölkerungsdichte bezogen sind Vergiftungen mit Pflanzenschutzmitteln in Westafrika am häufigsten; es folgen Südasien, Nordafrika und Südostasien.

Spitzenwerte in Burkina Faso, Pakistan und Kuwait

Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die im Dezember 2020 im Magazin "BMC Public Health" veröffentlicht wurde. Seit der letzten Schätzung 1990 haben Vergiftungsfälle damit stark zugenommen.

Einen Spitzenwert erreicht Burkina Faso, wo sich jedes Jahr fast 84 Prozent der in der Landwirtschaft Arbeitenden eine Vergiftung zuziehen. Nur wenig tiefer liegt der Wert in Pakistan und Kuwait. In den USA und Australien liegt der Anteil der landwirtschaftlich Arbeitenden, die sich versehentlich mit Pestiziden vergiften, unter einem Prozent. In den europäischen Ländern sind mit 32 Prozent am meisten Menschen in Portugal und Spanien betroffen. Die ausgewerteten Daten haben einige Lücken, für Osteuropa liegen beispielsweise keine Daten vor.

Bisherige Schätzungen weit übertroffen

Vor 30 Jahren schätzte die WHO noch, dass sich jährlich etwa eine Million Menschen eine schwere Pestizidvergiftung zuziehen. Die vom Umweltverband "Pestizid Aktions-Netzwerk" (PAN) in Auftrag gegebene Studie hat die damalige Schätzung damit weit übertroffen. Der weltweite Pestizideinsatz hat sich von 1990 bis 2017 aber ebenfalls stark erhöht, vor allem in Südamerika und Asien. In Europa ist er leicht zurückgegangen.

In der Studie ausgewertet wurden bisherige Arbeiten, die sich mit Vergiftungen durch Pestizide beschäftigen. Aus 800 zwischen 2006 und 2018 erschienenen Studien wählten die Autorinnen und Autoren 157 geeignete Arbeiten aus und ergänzten sie mit Daten aus der Todesfall-Datenbank der WHO. Die Ergebnisse decken 141 Länder ab. Suizide und Suizidversuche wurden explizit von der Zählung ausgeschlossen.

Dunkelziffer ist wahrscheinlich höher

Die Autorinnen und Autoren gehen davon aus, dass die ermittelten Zahlen dennoch eine eher konservative Schätzung abgeben. Vergiftungen würden oft nicht gemeldet, viele Betroffene besuchen nicht einmal einen Arzt. Viele Länder haben kein Melderegister, bei anderen sind die Daten lückenhaft.

Auch in der Wissenschaft herrscht keineswegs Einheitlichkeit, stellten die Analysten fest. Selbst neuere Publikationen unterschieden nicht ausreichend zwischen versehentlichen und absichtlichen Vergiftungen oder Auswirkungen anderer Chemikalien. Fokus und Design der vorliegenden Arbeiten seien zudem unterschiedlich. So gab es nur vier Datensätze, die tödliche Pestizidvergiftungen bei Kindern enthielten, und in Südkorea stammten Daten aus einer repräsentativen Umfrage bei nur männlichen Bauern.

Konzentration auf tödliche Vergiftungen ist ein Fehler

Grundsätzlich sei es ein Fehler, sich bei der Gefährlichkeit von Pestiziden ausschliesslich auf tödliche Vergiftungen zu konzentrieren. Ohne Daten zu akuten Vergiftungen bleiben auch Schätzungen zu deren Langzeitschäden lückenhaft. Pestizide werden unter anderem mit Krebserkrankungen, neurologischen Schäden und Fruchtbarkeitsstörungen in Verbindung gebracht.

Pflanzengifte können die Zellteilung stören und Allergien auslösen. Das letzteres keinesfalls harmlos ist, zeigt zum Beispiel eine "Arte"-Dokumentation , die den Unkrautvertilger Glyphosat mit der steil ansteigenden Zahl an Glutenallergien in Verbindung bringt. "Greenpeace" erinnerte zum Welt-Parkinson-Tag an die Langzeitfolgen von Pestizidverbrauch.

Organisationen wie "PAN" weisen darauf hin, dass viele Pestizide, die in Europa verboten sind, in anderen Ländern legal verwendet werden dürfen. Hergestellt und verkauft werden sie oft von europäischen Konzernen. Europäische Exporte machen beispielsweise ein Fünftel der Pestizid-Importe in den Mercosur-Staaten aus.

Hersteller und Verarbeiter kritisieren die Zahlen schon immer als zu hoch

Die Studie aktualisiert nicht nur überholte Daten, sie zeigt auch die Wichtigkeit der Datenerhebung auf. Einen langewährenden Streit beenden wird sie eher nicht: Pestizid- und Nahrungsmittelhersteller kritisieren Zahlen zu Vergiftungen und Todesfällen durch Pestizide seit jeher als zu hoch.

"Swissfood" beispielsweise kritisierte die Zahlen der WHO nach der "jährlich 200.000 Menschen" an Pestizidvergiftungen sterben, als zu hoch (Ein Tippfehler – die WHO rechnete 1990 mit 20.000 Todesfällen pro Jahr), weil darin auch Selbsttötungen eingeflossen seien. Nachgewiesene Langzeitschäden wiederum können Konzerne Milliarden kosten, wie sich am Beispiel des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat bei Bayer/Monsanto zeigt .

Weiterführende Informationen:

Quelle: Infosperber.ch - 05.05.2021.

Veröffentlicht am

10. Mai 2021

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