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Totale Kriegsdienstverweigerung oder Zivildienst?

Konsequentes Handeln oder effektive Strategie?

Von Andreas Speck

In Deutschland - Ost und West - blieben die Totalverweigerer eine radikale Minderheit in der breiten Masse der Kriegsdienstverweigerer, die Zivildienst leisteten. Es waren selten mehr als ein paar Dutzend, die sich für diesen konsequenten, aber mit strafrechtlichen Konsequenzen verbundenen Schritt entschieden. Innerhalb der etablierten KDV-Organisationen stieß die totale Kriegsdienstverweigerung (TKDV) lange Zeit auf Ablehnung. Welche Rolle also spielte sie innerhalb der KDV-Bewegung?

Eine alte Debatte

Innerhalb der internationalen KDV-Bewegung, so z.B. der War Resisters’ International (WRI), ist die Debatte um totale KDV oder Ersatzdienst wohl so alt wie die Organisation selbst. Bereits 1925 verabschiedete die WRI eine Resolution, die die Debatte auf den Punkt brachte: "Diese Konferenz sieht davon ab, eine allgemeine Regel zum Ersatzdienst zu verabschieden, in Anbetracht der unterschiedlichen Meinungen und Situation der affiliierten Organisationen. Sie stellt jedoch fest, dass die Akzeptanz des Ersatzdienstes so interpretiert werden kann, dass sie die Anerkennung des Rechtes des Staates, einen Militärdienst zu verhängen, beinhaltet. Die War Resisters’ International erkennt dieses Recht nicht an, und mahnt, dass in Zeiten des Krieges der Ersatzdienst abgelehnt werden sollte, denn ein jeder solcher Dienst wird zum Teil der Kriegsorganisation."

In einer ähnlichen Erklärung von 1967 bestätigte die WRI im wesentlichen diese Position, räumte aber ein, dass "in Ländern, in denen es eine Wehrpflicht gibt, die Einrichtung eines Ersatzdienstes … ein Schritt nach Vorne" sein könnte.

Trotz dieser ideologischen und theoretischen Debatte, in der die vehementesten UnterstützerInnen der totalen KDV im Wesentlichen aus Ländern kamen, die traditionell keine Wehrpflicht hatten (so z.B. aus Großbritannien), optierten jedoch die wenigsten WRI-Mitgliedsorganisationen für eine organisierte Kampagne der totalen Kriegsdienstverweigerung. Dies änderte sich erst in den 80er Jahren mit der beeindruckenden Totalverweigerungskampagne der spanischen WRI-Organisationen.

KDV und Totale KDV in Deutschland

In Deutschland - West - wurde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung 1949 im Artikel 4 (3) des Grundgesetzes verankert. Erst mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht 1957 wurde dieses Recht jedoch praktisch relevant. Erst 1960 wurde ein erstes Gesetz über den zivilen Ersatzdienst verabschiedet. Die ersten 340 KDVer traten am 10. April 1961 ihren Ersatzdienst an.

Bis zum Ende der 60er Jahre - der Diskussion um Notstandsgesetze, der StudentInnenbewegung, und allgemein dem Aufschwung neuer sozialer Bewegungen - blieben die KDV-Zahlen jedoch niedrig. Auf die Politisierung der KDV in den 70er Jahren reagierte der Staat mit Repression - frühe Einberufung vor Abschluss des KDV-Verfahren und niedrigere Anerkennungsquoten. Diese Politisierung der KDV war das Umfeld, in dem in der Bundesrepublik die ersten totalen KDVer auftraten, die öffentlich sowohl den Militärdienst als auch den zivilen Ersatzdienst verweigerten. (Vorher hatten vor allem Zeugen Jehovahs aus religiösen Gründen total verweigert, und wurden dafür oft mehrfach bestraft, bis das Bundesverfassungsgericht dem 1967 ein Ende machte.)

Die Politisierung der KDV führte jedoch zunächst auch zu politischen Aktivitäten im Zivildienst - so wurde z.B. 1971 die Selbstorganisation der Zivildienstleistenden (SOdZDL) gegründet, die auch mehrfach politische Streiks mit großer Beteiligung organisierte. So beteiligten sich z.B. am 27. Januar 1983 11.000 Zivildienstleistende - ca. ein Drittel - an einem Streik gegen ein neues KDV-Gesetz.

Nachdem die Repressionsstrategie des Staates gescheitert war, kam es zu einem Kurswechsel: Vereinnahmung und Entpolitisierung der KDV durch die Betonung des Zivildienstes.

Die Rolle der totalen KDV

Es lässt sich kaum darüber streiten, dass die totale KDV die letztlich konsequentere Form des Handelns darstellt(e). Das allein macht jedoch TKDV nicht zur Massenbewegung, wie die Erfahrungen in den meisten europäischen Ländern zeigen. Zu hoch ist der Preis, der für dieses konsequente Handeln zu zahlen war: oft langwierige Gerichtsverfahren mit dem Risiko von mehreren Monaten Gefängnis. Auch wenn z.B. in Deutschland in der Regel höchstens ein Drittel der totalen KDVer zu Gefängnisstrafen ohne Bewährung verurteilt wurden, so war das Risiko doch real.

Doch auch ohne Massencharakter spielte die totale KDV - auch in Deutschland - eine wichtige Rolle. Sie bemühte sich, den antimilitaristischen Inhalt der Kriegsdienstverweigerung sichtbar zu erhalten, was insbesondere mit der Entpolitisierung der legalen KDV nach der Abschaffung der Anhörungsverfahren 1985 wichtig war. Zu viele der etablierten KDV-Organisationen - darunter auch große Teile der DFG-VK - propagierten unkritisch den zivilen Ersatzdienst, was in der Öffentlichkeit den Eindruck einer freien Wahl zwischen Wehrdienst und Zivildienst erweckte. Der politische Inhalt der KDV - die Ablehnung des Kriegsdienstes - ging dabei unter, und 1995 sprach die grüne Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Bundestages Antje Vollmer bei einem Empfang für den türkischen totalen KDVer Osman Murat Ülke gar von einem "Recht auf Zivildienst" - rechtlich und politisch falsch und schlicht Schwachsinn, denn sowohl im internationalen als auch im deutschen Recht gibt es nur ein Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes. In den 90er Jahren ging diese Entpolitisierung so weit, dass vergleichende Umfragen zwischen Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden keine relevanten Unterschiede zwischen den Einstellungen zu zentralen Themen der deutschen Außen- und Militärpolitik mehr feststellen konnten.

Totale KDV als Massenbewegung: Beispiel Spanien

Spanien ist wohl das einzige Land, in dem es gelungen ist, die totale KDV als Massenbewegung zu organisieren. Hier spielten jedoch die Erfahrung des Bürgerkrieges 1936-39 sowie die Franco-Diktatur eine wichtige Rolle, und von daher lassen sich die spanischen Erfahrungen nicht so ohne weiteres auf andere Länder und Situationen übertragen. Und es sollte auch nicht verschwiegen werden, dass selbst in Spanien - mit der Ausnahme des Baskenlandes und Kataloniens, wo nationalistisch motivierte Ablehnung des spanischen Militärs auch für die totale KDV förderlich war - die totalen KDVer im Vergleich zu Ersatzdienst leistenden KDVern eine Minderheit darstellten. Eine Minderheit allerdings, die stark genug war, die öffentliche Wahrnehmung und Debatte um Militärdienst und Kriegsdienstverweigerung zu bestimmen.

Und so ist Spanien wohl das einzige Land, in dem die KDV - und die totale KDV - einen nennenswerten Anteil an der Entscheidung zur Abschaffung der Wehrpflicht spielte.

Das Verhältnis von totaler KDV und "legaler" KDV - ein Beitrag zur Debatte

In der internationalen Arbeit der War Resisters’ International zur Kriegsdienstverweigerung - von Kolumbien in Lateinamerika über Griechenland in Europa bis hin zu Südkorea in Ostasien - kommt das Thema der totalen KDV immer wieder auf. Leider wird diese Debatte selten konstruktiv geführt. Zu oft wird rein ideologisch argumentiert, und zu selten werden Fragen der politischen Strategie einbezogen. Zu oft auch wird unreflektiert das Beispiel Spaniens hochgehalten.

Aus meiner Perspektive ist die entscheidende Frage für jede KDV-Bewegung die Beibehaltung einer deutlich antimilitaristischen Perspektive. Letztlich ist die KDV - ob als TKDV oder mit Ableistung eines Ersatzdienstes - nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel im Hinblick auf das Ziel einer Entmilitarisierung unserer Gesellschaften. Ihr geht es um die Abschaffung der Wehrpflicht als einen Schritt zur Abschaffung aller Armeen. Sie ist aber auch ein Protest gegen das Recht des Staates, über seine "Untertanen" zu verfügen, und diese als Kanonenfutter oder für sonstige Zwecke zwangsverpflichten zu können.

So verstanden ließe sich der Konflikt zwischen totaler KDV und "legaler" KDV entspannen. Die totale KDV ist ein notwendiger radikaler Bestandteil einer jeden KDV-Bewegung, da sie auf den Zwangscharakter der Wehrpflicht hinweist sowie radikal jeden Kriegsdienst in Frage stellt, und somit auch den antimilitaristischen Inhalt der KDV hoch hält. Sie ist jedoch in den meisten Fällen nicht die einzige Form der KDV. Eine legale, aber trotzdem politisch verstandene KDV - mit einem politisierten zivilen Ersatzdienst, in dem die Ersatzdienstleistenden nicht gehorsame Zwangsdienstleistende sind, sondern ebenfalls konstruktiv und gewaltfrei Widerstand gegen Missstände leisten und organisieren - kann aber ebenfalls den antimilitaristischen Charakter einer Bewegung stärken, und ist auch für Menschen machbar, die aus zahlreichen Gründen nicht bereit oder in der Lage sind, potenzielle Gefängnisstrafen in Kauf zu nehmen. Hierbei ist es mir wichtig, den Ersatzdienst nicht als positive Alternative zum Militärdienst zu propagieren, sondern politisch als Teil der Wehrpflicht und als Zwangsdienst zu thematisieren, ohne zu erwarten, dass jede und jeder ihn verweigert. Ein positiver Bezug auf den zivilen Ersatzdienst jedoch führt die Bewegung auf die gefährliche Rutschbahn hin zur Systemintegration und Entpolitisierung.

Mit der Aussetzung der Wehrpflicht (sie ist nicht abgeschafft!) in Deutschland - an der weder die KDV-Bewegung, noch die Friedensbewegung allgemein einen Anteil hatten - ist es für diese Debatte in Deutschland zu spät. International ist es jedoch wichtig, sie zu führen, und eine politische Strategie zu finden, die angepasst an die politische Situation im Land einen Weg beschreitet, der irgendwo zwischen TKDV als Massenstrategie (wie in Spanien) und der Entpolitisierung der KDV (wie in Deutschland) liegt. Aus beiden Erfahrungen gibt es noch viel zu lernen.

Andreas Speck war Pressesprecher von Action AWE während des Burghfield Disarmament Camp. Seit Mitte September lebt er in Sevilla und engagiert sich im Red Antimilitarista y Noviolenta de Andalucia (RANA). mail@andreasspeck.info, http://andreasspeck.info

Quelle: FriedensForum 1/2011.

Veröffentlicht am

19. Februar 2011

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