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USA: Gefechtsfeld Wahlen

Die Biden-Regierung läuft Gefahr, das Verhältnis mit Russland irreversibel zu schädigen

Von Daniela Dahn

Für die Schlagzeilen schon wieder ein Bericht über russischen Einfluss auf US-Wahlen. Diesmal von der US-Koordinatorin für Geheimdienste, Avril Haines. Darin keine Namen, keine Details, ganz milieugerecht. Bis auf einen natürlich – Putin persönlich habe die Aktion "genehmigt und durchgeführt". Jeder Journalist, jeder Wissenschaftler, jeder Zeuge ist gehalten, seine Behauptungen zu beweisen, wenn er als seriös gelten will. Nur geheime Ermittler genießen das Privileg, umso einflussreicher zu sein, je hemmungsloser sie ihre Unterstellungen im Dunkeln lassen. Sobald ein Hinweis auch nur von einem Lichtstrahl getroffen wird, kann es schwierig werden.

Einmischung in der Ukraine

Einziger konkreter Hinweis auf vermeintliche Desinformationskampagnen ist im Bericht die Forderung russischer Medien nach Ermittlungen über die Rolle von Bidens Sohn Hunter in der Ukraine. Über diesem Wunsch hätte selbst Präsident Trump beinahe sein Amt verloren. Dabei wären Ergebnisse interessant geworden. Denn nach dem, was allein westliche Medien einst aufdeckten, bedarf es keiner Desinformation, um Empörung zu schüren: Im April 2014 besucht der damalige US-Vizepräsident Joe Biden das vom Maidan-Aufstand geschüttelte Kiew. Unmittelbar danach wird sein Sohn Hunter in den Vorstand des einflussreichen Gaskonzerns Burisma berufen. Hunter kennt sich weder im Gas-Sektor noch in der ukrainischen Politik aus. Der wegen seiner Alkohol- und Drogenabhängigkeit schon aus US-Funktionen entlassene Gründer eines Hedgefonds verkauft seinen Namen und Insiderwissen. Dafür bekommt er vier Jahre lang monatlich bis zu 50.000 Dollar. Obendrein haben die USA im Kampf um Ressourcen und Kapital bei Gasgeschäften in der Ukraine nun einen Fuß in der Tür – mehr, einen ganzen Sohn.

Doch der ukrainische Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin ermittelte wegen Steuerhinterziehung und Korruption gegen die Gasholding. Manchen zu viel, manchen zu wenig. Joe Biden brüstete sich 2016 bei seiner Rückkehr aus Kiew mit seiner Verhandlungsführung. Er habe gedroht, er sei noch sechs Stunden da. Wenn der Staatsanwalt bis dahin nicht gefeuert sei, bekämen sie den Kredit von einer Milliarde Dollar nicht. Der "Mistkerl" wurde entfernt und durch jemanden, der "zuverlässig" war, ersetzt. So geht legale Einmischung. Die Washington Post sprach von Vetternwirtschaft und Ruchlosigkeit. Bei einer solchen Faktenlage ist Information wirksamer als Desinformation. In diesem einzig bekannt gewordenen, konkreten Punkt entbehrt der neue Geheimdienst-Bericht jeglicher Glaubwürdigkeit.

Es lohnt auch, sich zu erinnern, worin 2016 die russische Beeinflussung bestanden haben soll. Vier Wochen vor der Wahl hatte Julian Assange brisante Enthüllungen angekündigt. Sofort behauptete Hillary Clintons Wahlkampfleiter John Podesta: Wikileaks sei der Propaganda-Arm der russischen Regierung. Dass es einen Zeugen gibt, der die Daten an Assange weitergegeben haben will, erschüttert die Legende nicht, dieser Zeuge kam in der deutschen Lücken- und Linien-Presse einfach nicht vor. Nur auf Plattformen wie den Nachdenkseiten oder im Guardian. Gegenüber der Daily Mail hat der einstige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, bekannt, er selbst habe die E-Mail-Daten von einem Mitarbeiter von Hillary Clinton bekommen, der frustriert war über die Intrigen gegen Bernie Sanders. Ein Insider-Whistleblower also, das habe Assange "kristallklar gemacht", so Murray. Welche Strafe darauf steht, wird aller Welt nicht weniger kristallklar demonstriert.

Angenommen, es waren zusätzlich russische Hacker am Werk. Auch hier Wahlfälschung durch Veröffentlichung der Wahrheit? Weil es nur auf einer Seite geschehen ist? Vielleicht. Doch wann sind Hacker, egal woher, eigentlich Whistleblower, die öffentlich machen, was Wähler wissen sollten? Schließlich muss das Geheimhaltungsinteresse des Staates hinter den Interessen der Öffentlichkeit und der Meinungsfreiheit im Zweifelsfall zurückstehen. Die Washington Times titelte: "Waren es doch nicht die Russen?" Craig Murray: "Das Schlimmste an alldem ist, dass es den Konflikt mit Russland verschärft. Das bringt für alle Gefahren – nur nicht für die Rüstungsindustrie und natürlich das größere Budget für die CIA." Der Dank, der Julian Assange gebührt, und die Gefahr, der er seit Jahren ausgesetzt ist, stehen im umgekehrten Verhältnis zu den eher dürftigen Solidaritätsbekundungen, die er erfährt.

Wer hat dann das angeblich gehackte Material verbreitet? Was Hillary Clinton später als den Hauptgrund ihrer Niederlage bezeichnete, passt heute nicht mehr ins Bild. Dass nämlich der republikanische FBI-Chef James Comey zwei Wochen vor der Wahl verkündet hat, die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Clinton würden wegen neuer Funde auf ihrem privaten E-Mail-Server wieder aufgenommen. Erst nach der Wahl stellten sich die Funde als belanglos heraus. "Wie das FBI Wahlkampf macht", titelte der Tagesspiegel damals. Nach heutiger Erinnerung hat nur einer Wahlkampf gemacht: Putin.

Verdikt "Killer"

Zweifellos gehört auch zur russischen Außenpolitik die Einmischung in Politik und Wahlen anderer Länder. Nach einer Statistik aus der Doktorarbeit des Politologen Dov H. Levin vom Institute for Politics and Strategy in Pittsburg hat die UdSSR beziehungsweise Russland zwischen 1946 und 2000 36-mal in Wahlen eingegriffen, vorrangig in einstigen Sowjetrepubliken, aber auch in Venezuela oder Syrien und anderswo. Solche Statistiken bekommen ihren wirklichen Stellenwert aber erst dann, wenn man sie in Relationen sieht, was Levin akribisch belegt. Im gleichen Zeitraum haben die USA 81-mal Wahlbeeinflussung im Ausland betrieben. Insider können über die Vorwürfe gegen die Russen "nur müde lächeln", schrieb Andreas Mink, New-York-Korrespondent der NZZ, am 4. März 2018. "Die wahren Profis dieses Metiers sind die Amerikaner selbst."

So hat das kurze Gedächtnis der Medien längst in Vergessenheit geraten lassen, dass die Russländer allen Grund hätten, den Amis eine schicksalhafte Wahlbeeinflussung heimzuzahlen. Diese hatten 1996 jedes Interesse daran, dass Boris Jelzin wiedergewählt würde, ein Mann, der die neoliberale Schocktherapie fortsetzen, die Wirtschaft des Kontrahenten ruinieren würde. Als Jelzins Popularität auf fünf Prozent abgesunken war, zogen US-Experten ins Moskauer Hotel "President". Unter ihnen Bill Clintons Wahlhelfer Richard Dresner und der PR-Mann Steven Moore. Sie brachten 100 Millionen Dollar Wahlkampfhilfe von unbekannten Sponsoren mit. Bis dahin hatten die Staatsmedien Jelzin wegen seines Tschetschenien-Krieges verdammt. Sein Gegenkandidat, der KP-Vorsitzende Sjuganow, hatte beachtliche Umfragewerte. In der Woche vor der Stichwahl brachten die großen Fernsehsender wie von Zauberhand 114 positive Beiträge zu Jelzin und 158 kritische zu seinem Konkurrenten. Begleitet von einer Diffamierungskampagne gegen Sjuganow, etwa durch "Wahrheitsschwadronen", die ihn auf seinen Veranstaltungen mit Fake News aus der Fassung bringen sollten. Jelzin willigte ein, als zentrale Botschaft die Gefahr eines Bürgerkrieges zu beschwören, falls die kommunistische Mangelwirtschaft wiederkehre.

Nach Jelzins Sieg schilderte das US-Magazin Time am 15. Juli 1996 detailgenau, wie man sich massiv eingemischt hatte: "Verdeckte Manipulation führt zum Erfolg", hieß es dort. Man konnte auch noch Meinungsfreiheit demonstrieren, Kritik an solchen Gaunereien war nicht zu erwarten. Auch der Spiegel widmete dem Vorgang einen kurzen Beitrag, der keine Empörung hervorrief. Dank Jelzins westlichen Beratern, die hemmungslose Privatisierung priesen, wurde eine Kaste russischer Oligarchen mächtig. In der Amtszeit dieses protegierten Präsidenten halbierte sich das Nationaleinkommen, bis Russland 1998 zahlungsunfähig, chaotisch und gedemütigt war. Diese Art von Destabilisierung ist im Westen kaum gerügt worden, im Gegenteil, man wollte nie verstehen, dass Putins verbliebener Rückhalt darauf beruht, dass er seinen Landsleuten ein gewisses Selbstwertgefühl zurückgegeben hat.

Joe Biden hat selbst seine Aussage überliefert, er habe Putin in die Augen gesehen und keine Seele entdeckt. Mit dieser Gewissheit ist es nicht weit bis zum Verdikt: Killer. Diese irrationale Moralität, die nicht nur Feindbilder aufrüstet, ist auch deshalb so fatal, weil sie Wahlen – die einzige Institution der repräsentativen Demokratie, die den Bürgern Teilhabe an Macht verspricht – ad absurdum führt. Wenn die eigene Stimme nur in eine Lostrommel voller Propaganda, haltloser Wahlversprechen und fragwürdiger Kandidaten geworfen werden kann, geraten Misstrauen und Politikverdrossenheit zum Dauerzustand.

Quelle: der FREITAG vom 26.03.2021. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

28. März 2021

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